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burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
Beiträge: 6757
Wohnort: Berlin-Neukoelln

BeitragVerfasst am: 05.10.2003, 23:57 Antworten mit ZitatNach oben

die Leiche und der Wellensittich

Fortsetzung von [Feuerwehr 1] Von Kielschweinen und Samaritern

Der Hund guckt genau so verwirrt wie die weißhaarige Dame unter ihren auf Dauer gewellten Locken. Der Dackel wedelt mit dem Schwanz, die Frau mit dem Armen. Beide blicken vorwurfsvoll in Richtung Küche, aus der beissender Geruch und eine schmutzigbraune Wolke in die gute Stube quellen. Löschhilfsfahrzeug "LHF", Tanklöschfahrzeug "TLF" und Rettungstransportwagen "RTW" samt kompletter Besatzung warten fünf Stockwerke tiefer, und endlich den Wohnungsbrand löschen zu dürfen, den besorgte Nachbarn telefonisch gemeldet hatten.

Den haben mein vorgesetzer Zugführer und ich schnell im Griff. Ein Geschirrtuch um die Hand gewickelt, die Pfanne mit dem bis zur Unkenntlichkeit verschmorten Hundefutter vom herd genommen und die rauchende Bescherung unter den Wasserhahn gehalten.

Ich recherchiere mit allerhöchster Erlaubnis in einer der Klingelwachen Berlins. Dort werden im Zwölf-Stunden-Rhythmus mehr als 900 Einsätze im Monat gefahren. Alle anderen weniger frequentierten Wachen arbeiten im 24-Stunden Turnus, wechseln aber nicht so häufig Tag- und Nachtschichten. Morgens um sieben Uhr habe ich meinen Dienst angetreten. Ausser dem brennenden Hundefutter bewältigen meine Kollegen, ausschließlich Männer, und ich folgende Aufgaben:

Um 10.05 Uhr brechen wir eine Wohnungstür auf, vor der sich Post und in Alufolie gefülltes Mittagsessen stapeln. Bei dieser Gelegenheit lerne ich, woran man Leichenstarre erkennt und wie sich sich anfühlt. Ausserdem fangen wir einen Wellensittich ein, indem wir ein rosarotes Nachthemd der Verstorbenen hin- und herschwenken und damit dem Vögelschen so viel Vertrauen einflößen, dass es freiwillig in seinen Bauer zurückkehrt.

Um 11.00 Uhr: Oma zwei poltert und röchelt vernehmlich, aber öffnet nicht, berichtet der besorgte Neffe. Die Wohnung im achten Stock bietet wahrscheinlich eine wunderbare Ausrede. Für die Feuerwehr ist das weniger bequem. Ich bewundere meine Kameraden, die im Duett die 30 Meter lange Drehleiter besteigen. Sicher oben angelangt, stellen sie fest, dass die Dame neben dem Sofa auf dem Fußboden sitzt, nicht mehr recht begreift, was um sie herum geschieht, ausserdem extrem schlecht hört und deshalb nicht auf Feuerwehrmänner achtet, die sich von aussen an ihrer Wohnungstür zu schaffen machen. Um so mehr wunderte sie sich, als die plötzlich ihren Balkon entern.

Um 11.40 Uhr: Der Fahrer eines Kleintransporters ist der Meinung, zwei Kanister Altöl auf der Ladefläche würden die Schlingerbwegungen seines Fahrzeugs unbeschadet aushalten. Das funktioniert natürlich nicht, sie fallen schon in der ersten Kurve um. Die in allen Farbnuancen schillernde Flüssigkeit ergiesst sich auf einer Länge von 100 Metern über die Fahrbahn und motiviert die folgenden Fahrzeuge zu unkontrollierten Kurvenfahrten. Wir rücken aus und streuen Bindemittel. Die Kollegen möchten nicht, dass ich mich beschmutze und beordern mich zur Seite. Die bewundernden Autofahrer halten mich, weil ich untätig herumstehe und leihweise den Helm eines Feuerwehrhäuptlings trage, für den koordinator der Atkion.

12.00 Uhr. Mittagessen, genießbar, obwohl von einem Feuerwehrmann gekocht. Ein Kollege: "Frauen? Hier? Die könnten sich bei Kneipenschlägereien keinen Respekt verschaffen. Oder es muss 'ne Lesbe sein, die hat nichts Weibliches an sich. Oder eine wie unsere Gisela. die schlägt ganz allein 'ne Kneipe zusammen."

15.40 Uhr. Steter Benzintropfen höhlt den Tank eines parkenden autos. Wir rücken an, saugen ab, füllen es in einen Kanister und benachrichtigen den noch ahnungslosen Eigentümer mit Hilfe eines Zettels, dass er sich den Sprit bei uns abholen kann. Die Feuerwehr klaut nicht, sondern beschenkt noch einen besonders leutseligen Polizeibeamten mit einem Sack Sand, weil die Ordnungsmacht nie daran denkt, Streumaterial vorrätig zu haben.

16.00 Uhr. Während der Rückfahrt erreicht uns über Funk eine Feuermeldung. Noch ist die letzte Anweisung nicht verklungen, knöpfen die Kollegen Jacke und Kragen zu, zurren Atemschutzgerät und Luftflasche fest, ziehendie Helmriemen straff und setzen entschlossene Mienenauf. Mit Elan betreten wir eine schmuddelige Wohnung, in der ein Telefonkabel die Tapete in Brand gesetzt hat. Die Kameraden klären mich über die Eigenarten antiquierter Vorkriegskamine auf. Hier wurde ein Metallstück, das sinnloserweise in der Mauer eines Schornsteins steckte, heiß und übertrug die Hitze auf das Telefonkabel, mit dem es, genauso sinnlos, in Tuchfühlung stand.

Kollege Siggi, von der Statur eines doppeltürigen Kleiderschranks, greift sich die Kettensäge und durchtrennt unter höllischem Getöse, umrahmt von sprühenden Funken, einen Teil des Fußbodens. Unser aller Chef, der Zugführer, wird in die Küche geschickt, um einen Suppenlöffel zu organisieren. Er erhebt keinen Einspruch gegen diesen niedrigen Auftrag, kehrt aber ohne Erfolg zurück, weil die Wohnungsinhaber offenbar ohne ein derartiges Haushaltsgerät auskommen. Mit einem ersatzweise beschafften Esslöffel schaufelt Siggi die Asche zur Seite und füllt die Miniatur-Baugrube sicherheitshalber mit Wasser. Auf der Rückfahrt beklagen sich die Kollegen. Nach zwei Jahren sei der anfängliche Idealismus vorbei. Die Beamten der Klingelwachen sehen ihre Ehefrauen, wenn die berufstätig sit, nur jeden zweiten Abend. Und gemeinsame Freizeit? Ernst, ein stiler älterer Mann, der sich kaum am Gespräch beteiligt, meint, ihn habe noch niemand dazu aufgefordert. Siggi darauf: "Seit acht Jahrenhabe ich dir durch die Blume gesagt, dass du mich besuchen sollst!"

19.10 Uhr. Ein Mann hat sein Wohnzimmer in Parterre vom Hof aus mit einem Schlauch unter Wasser gesetzt. Ihm gefällt das so, und er möchte die Feuerwehr nicht dabei haben. Es dauert zehn Minuten, bis er das Tatbestandsprotokoll unterschreibt. Er meint, er müsse die Feuerwehr bezahlen; wir beruhigen ihn und versichern, dafür käme der Steuerzahler auf. Ich habe mittlerweile aus begeisterung und weil ich mich noch frisch fühle, beschlossen, auch die nächste Schicht durchzuhalten.

Fortsetzung folgt.

Die - hier leicht gekürzte - Reportage wurde 1988 geschrieben. Sie erschien in meinem Buch Unter Männern, 1998 bei Rowohlt. Sie wurde 1995 als Fortsetzungsgeschichte nachgedruckt in "B 112", dem Magazin der Feuerwehr Berlin/Brandenburg.

06.10.2003
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