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 [Latinoblog 8: Venezuela 7] An der Grenze zur grünen Hölle Nächstes Thema anzeigen
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burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
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BeitragVerfasst am: 06.07.2003, 23:49 Antworten mit ZitatNach oben

An der Grenze zur grünen Hölle

[Die Bilder in Originalgrösse sind nur für registrierte Nutzer des Forums zugänglich.]

Das ist das Ende der Welt: San Fernando de Atababo, der letzte Ort am oberen Orinoco, den man noch mit "öffentlichen" Verkehrsmitteln erreichen kann - sogar in der Trockenzeit nur per Boot. "Man sollte allerdings bedenken", schreibt der Reiseführer, "dass solche Touren auf eigene Faust nicht ganz ungefährlich sind, man bewegt sich hier schon am Rande der "zivilisierten" Welt. Gen Süden und Westen gibt es nur noch selten Orte - den Casiquiare aufwärts ist das Gebiet fast menschenleer (vgl. die Karte Venezuela bei Nacht, San Fernando de Atabapo ist der zweitsüdlichste Punkt auf der rot markierten Grenze).

Nur zwei Tagesreisen östlich, und man ist auf dem Territorium der Yanomami. Ein italienischer Ethnologe hatte mir aber in Puerto Ayacucho mit Augenzwinkern erzählt, die Yanomami seinen die "Drosophila" der Ethnologie - kaum ein Volk sei besser erforscht. Und die Erforschten wüssten das und verhielten sich dementsprechend. Das bedeutet: dass Gringos wie Rüdiger Nehberg denken, ihre Lebensart sei "ursprünglich". Die "Indianer" hätten ganz andere Probleme: Goldsucher schürften in ihrer Gegend, es gäbe zahlreiche illegale Minen. Bei der Goldsuche fiele Quecksilber ab, und die Quellflüsse des Orinoco seien schon vergiftet. In dieser gottverlassenen Region leben noch andere Völker, um die sich kaum jemand kümmert, und die kämpften schlicht ums Überleben. Der Ethnologe warnte mich: Wer dort allein reiste, per Boot, dem könnte es geschehen, dass ihm Pfeile um die Ohren flögen, weil man für einen Goldsucher oder einen Sekten-Missionar gehalten würde, etwa vom berüchtigen fundamentalistischen Summer Instituts of Lingustics. Und die Indianer könnten verdammt gut mit Pfeil und Bogen umgehen...

Ich wusste, dass ich nicht genug Zeit und Geld hatte, um diese Tour zu machen - wenn ich das nächste Mal nach Venezuela fahre, weiß jeder, der dieses Weblog liest, wo ich dann zu finden bin: Entweder im Jeep irgendwo nördlich des Rio Meta in den Llanos (nicht in der Regenzeit), oder im Flussdreieck Orinoco - Casiquiare - Rio Atabapo, in Sichtweite der majestätischen Tafelberge, den Tepuis.

In einer Story über meine Reise schrieb ich: "San Fernando de Atabapo: ein verschlafener Ort mit 3000 Einwohnern. Eine Kirche. Ein Restaurant: der folgenlose Genuss des Tagesmenüs setzt eine tropentaugliche Darmflora voraus. Das einzige Hotel (Bild links obene) an der Plaza Bolivar: nur drei Zimmer, weit jenseits von mitteleuropäischem und Komfort. Mittendurch eine Heerstraße für Ameisen und die in Volksliedern liebevoll besungenen Cucarachas. Am Abend schauen auch ein paar Kröten herein, die der kurze, aber um so heftigere Tropenregen unternehmungskustig macht. Hängematte und Moskitonetz gehörten zur Grundausstattung des Reisenden wie Toilettenpapier und Plastikfolie, um Papiere und Geld vor Feuchtigkeit zu schützen."

Es war viel netter: die hübsche Hausgehilfin des Hotels (obere Reihe, 4.v.l.), natürlich alleinerziehende Mutter, drückte mir eine Schaufel in die Hand, nachdem ich lange auf sie eingeredet und ihr eine Menge Komplimente gemacht hatte. Angeblich war das "Hotel" voll. Aber ich durfte dann doch das einzige leere Zimmer (obere Reihe, 3.v.r.) vom Müll befreien. Es war, vom Globetrotter-Maßstab aus gesehen, recht komfortabel. Die junge Dame brachte mir, verlegen lächelnd, sogar einen Ventilator. Draussen eine Terasse mit Tisch und Stuhl, allerdings standen überall leere Bierkästen und anderes Gerümpel herum. Ich rückte den Stuhl an die kleine Mauer mit Blick auf den Zusammenfluss von Atabapo und Guaviare, warf meinen Ofen an und kochte mir eine heisse Suppe, die erste Mahlzeit seit vier Uhr morgens. Brot hatte ich auch noch. Während ich meine Mahlzeit löffelte, sah ich direkt nach Westen und ließ die Gedanken schweifen. 1982 hatte ich an demselben Fluss gestanden, weit im Westen, in den kolumbianischen Lllanos...

Das grandiose Panorama entschädigt für die Müllkippe des Ortes in Reichweite - im Gestrüpp zwischen Flussufer und Hotel. Eine Gewitterwolke dräut über dem satten Dunkelgrün des Urwalds, die letzten Sonnenstrahlen gleißen durch das kitschige Abendrot und lassen die Sandbänke weiß leuchten. Hier fließen drei Ströme zusammen: Guaviare, Atabapo (Bild links, 3.v.o.) und Orinoco. Der Guaviare, breiter als der Rhein, entspringt tausend Kilometer westlich in den kolumbianischen Anden und hat, so schreibt Alexander von Humboldt, "weisses Wasser, und der ganze Anblick seiner Ufer, seiner gefiederten Fischfänger, seine Fische, die großen Krokodile, die darin hausen, machen, daß er dem Orinoco weit mehr gleicht." Von Süden ergießt sich der Atabapo in den Guaviare (Bild obere Reihe, 2.v.l.: rechts und "geradeaus" der Guaviare, links der Rio Atabapo, die Insel in der Mitte gehört schon zu Kolumbien.). Wassertemperatur des Rio Atabapo: erstaunliche 37 Grad. Der sonnendurchglühte Granit (Bild linke Reihe, 2.v.o.) heizt den Fluss auf. Er ist dunkel wie schwarzer Tee, aber klar bis auf den Grund. Die Färbung rührt von Gerbsäure, die Insekten abhält, ihre Eier zu legen.

In den folgenden Tagen ging ich jeden Tag zum Fluss, die Sandbänke tauchten wie schneeweiße Fische aus dem Wasser auf (Bild oben rechts). Das Wasser war wirklich, so wie Humboldt es beschrieben hatte, wärmer als in einer Badewanne und, abgesehen von der dunkelbraunen Farbe, glasklar. Ich setzte mich in den warmen Sand ins Wasser, und tausende winzige und glitzernde Fische schwommen um mich herum, als hätten sie keine natürlichen Feinde. Die mächtigen Bäume am Ufer zeigten alle Schattierungen der Farbe grün, der Himmel war wolkenlos und dunkelblau - mir schien es, als sei ich in eine Kitschpostkarte hineingeraten. Und ich war ganz allein. Warum ist hier sonst niemand? habe ich mich damals gefragt. Ich habe, bis auf Grenada in der Karibik, nirgends einen besseren Sandstrand und schöneres Wasser gefunden. Nun gut, es gibt weder ein Restaurant, das diesen Namen verdiente, noch ein Hotel... Aber von Berlin aus braucht man nur drei Tage, wenn alles gut geht...

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07.07.2003
©BurkS

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