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 Das Wort zum Sonntag und den Nibelungen Nächstes Thema anzeigen
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burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
Beiträge: 6757
Wohnort: Berlin-Neukoelln

BeitragVerfasst am: 06.04.2003, 12:05 Antworten mit ZitatNach oben

In der österreichischen Kloster-Bibliothek Zwettl (www.stift-zwettl.at:8080/xx/zwettl) sind Fragmente einer sehr alten Handschrift der Nibelungen-Sage aufgetaucht, vielleicht die älteste Version des Epos überhaupt, verfasst ungefähr um 1200. Was haben die Nibelungen mit dem Irak-Krieg zu tun? Ziemlich viel. Rein medienmetatheoretisch gesehen. Das Nibelungenlied (vgl. www.nibelungenlied.com/MATERIAL/sources.html) ist so etwas wie eine Pressekonferenz von US-General Tommy Franks: reine Propaganda. Oder auch: alles gelogen und zurechtgebogen.

Auch schon damals waren die Bilder - beim Nibelungenlied: die Worte - mächtiger als die Realität. Ganz schöne Medienprofis, die Rittersleut. Es gibt nur ein Problem: trotz des massenhaften Hauens und Stechens ging es im Nibelungenlied gar nicht um die Ritter. Was das Thema der Geschichte sei, darüber haben Germanisten ganze Bibliotheken vollgeschrieben - oft ist das nur Schrott. Leider denkt man beim Wort "Nibelungen" auch an Richard Wagner, großes Getöse auf Bühnen und irgendwelche Sänger oder Schauspieler mit Hörnern auf Helmen und Zottelhaaren. Alles falsch: Wagners Nibelungen haben mit dem Original aus dem 13. Jahrhundert so viel zu tun wie ein Wellensittich mit dem Archäopterix.

Nur weil heute Sonntag ist: die geneigte Leserin und der wohlwollende Leser werden mir fünf Minuten eines bildungsbürgerlichen Ausfluges gönnen. Frage: warum, um eines höheren Wesens willen, sollte man diesen mittelhochdeutschen Krempel überhaupt noch lesen?

Zitat:
Daz was von Tronege Hagene und ouch der bruoder sîn, 
Dancwart der vil snelle, von Metzen Ortwîn, 
die zwêne marcgrâven Gêre und Ekkewart, 
Volkêr von Alzeye, mit ganzem ellen wol bewart. 
Dann doch lieber gleich bulgarische Kulturfilme mit französischen Untertiteln?

Nur wer die Antwort wirklich wissen will, sollte jetzt weiterlesen. Vorab zum Genießen für den, der plant, seine kostbare Lebenszeit mit Mittelhochdeutsch zu verschwenden - die unsterblichen Worte Heinrich Heines:
Zitat:
Jedenfalls ist aber dieses Nibelungenlied von großer, gewaltiger Kraft. Ein Franzose kann sich schwerlich einen Begriff davon machen. Und gar von der Sprache, worin es gedichtet ist. Es ist eine Sprache von Stein, und die Verse sind gleichsam gereimte Quadern. Hie und da, aus den Spalten, quellen rote Blumen hervor wie Blutstropfen oder zieht sich der lange Epheu herunter wie grüne Tränen. Von den Riesenleidenschaften, die sich in diesem Gedichte bewegen, könnt ihr kleinen, artigen Leutchen euch noch viel weniger einen Begriff machen.
Antwort: Der Verfasser des Nibelungenliedes klaut aus allen Mythen Mitteleuropas Versatzstücke zusammen. Nur wer sich auskennt, versteht die Zitate. Das Original ist so facettenreich wie der Film "Matrix". Das nur für Germanisten. Und was macht der Verfasser daraus? Er gaukelt dem Publikum vor - und das ist auch seine offizielle Pflicht -, es gehöre zu einer sozialen Schicht mit bestimmten Qualitäten. Ist aber gelogen. Welche Schicht - das kriegen wir gleich.

Beweis: Wenn es um Ritter und Hauen und Stechen im 13. Jahrhundert oder früher ginge, dann wären die Hierarchien eindeutig geregelt. Stichworte: Feudalgesellschaft, Lehnswesen. Dann gäbe es nur Vasallen und ihre Chefs. Und dann müsste man auch die Fachbegriffe dafür finden - "Vasall" zum Beispiel. Wer das ist, weiß genau, was er zu tun oder zu lassen hat. Und wenn er das nicht macht, gibt es Hauen und Stechen, eine offizielle und ritualisierte Fehde (vgl. www.hausarbeiten.de/rd/faecher/hausarbeit/lim/19779.html). Krieg mit Ansagen eben.

Die Pointe im Nibelungenlied ist: es tut so, als gäbe es die feudalen und streng hierarchischen Hierarchien stellenweise gar nicht. Wenn also ein Rittersmann behauptet, er sei der "Freund" (friunt) des anderen, ist das ungefähr so sinnfrei, als würde ein ostelbischer Grossgrundbesitzer vor 200 Jahren einen halb verklavten Bauer seinen "Freund" nennen. Also komplett falsch. Agitprop wie von Tommy Franks. Und das permanente und blutrünstige Hauen und Stechen, für das das Nibelungenlied berühmt ist, thematisiert keine Gefühle irgendwelcher Individuen wie ein heutiger Roman, sondern ausschliesslich die Frage: wer steht zu wem in welcher sozialen Stellung oder auch: die Klassenfrage.

Und noch eine Pointe: Das Publikum waren nicht "Ritter", sondern Ministeriale ([url]home.wtal.de/Orbis-Temporum/texte/lexikon/ministeriale.htm[/url]), die in der Realität mitnichten hauten und stachen, sondern ganz brave, sogar unfreie Untertanen waren. Aber soziale Aufsteiger. Das Nibelungenlied ist also eine ziemlich alte Rambo-Verfilmung in Versform. Ein armes spilleriges Würstchen von heute kann sich mit Cola und Popcorn vor die Glotze hocklen und davon träumen, mit Megawaffen im Urwald megamässig die Sau rauszulassen. Und die Ministerialen konnten sich von den vortragenden Sängern etwas Ähnliches vorgaukeln lassen: Hauen und Stechen. Und den erbitterten Kampf um Grund und Boden und schöne Frauen (vgl. www.erfatal-museum.de/g-4.htm).

Und am nächsten Morgen mussten sie in ihren kalten, kleine Burgen mit Aussenklo, die nicht so aussahen wie in Ritterfilmen, mühsam sehen, wo sie etwas zum Beißen herkriegten. So hübsche Harnische, wie man es immer auf Bildern sieht, hatten die gar nicht. Die gab es erst 300 Jahre später. Konnte sich sowieso keiner leisten. Wer um 1200 ein Kettenhemd besaß, war ein Hightech-Krieger und so glücklich wie ein irakischer Infantrist mit schusssicherer Weste.

Das Thema ist ganz nett - erinnert mich schwach an mein Staatsexamen und ein halbes Jahr Blut, Schweiß und Tränen, gebeugt über Büchern, mit dem hier noch irgendwo herumliegenden und mit einer Scheibmaschine mühsam getippten Traktat: "Feudale Identität und epische Form im Nibelungenlied".

www.univie.ac.at/Germanistik/texte/textkorpus/nib2.zip - Der Text der Handschriften A B und C des Nibelungenliedes

06.04.2003
© BurkS
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