Hier also die angekündigte Fortsetzung des gestrigen Blogs "Zeitreise zu den Nachbarn". Ich war 1982 nach Polen gereist, weil ich den Ort ausfindig machen wollte, an dem der Bauernhof meines Urgroßvaters Staaatsbibliothek Berlin besorgt hatte. Mein Großvater Hugo, der damals noch lebte, hatte mir aus seiner Erinnerung beschrieben, wo ungefähr das Anwesen gelegen hatte. Der Hof (Foto 5. Reihe rechts) ist 1944 abgebrannt, meine beiden Urgroßeltern sind kurz darauf gestorben.
Hohensalza, das heutige Inowroclaw, war damals, in den Zeiten des realen Sozialismus, ein verschlafenes Städtchen (Bild 1. Reihe links), in dem mein Rucksack und ich von den wenigen Passanten bestaunt wurden wie ein Fabelwesen. Ich marschierte kurz nach Sonnenaufgang über Feldwege strikt nach Norden, in Richtung Solec Kujawski (vgl. Karte oben). Es war ein nebliger Sonntagmorgen, und in den wenigen Ortschaften krähten mir fröhlich die Hähne entgegen (Fotos 1. Reihe Mitte und links). Die Bauern liefen aufgeregt zusammen und fragten mich aus, ich verstand aber nur Bahnhof. Auf meiner Karte zeigte ich ihnen nur den Ort, an den ich wollte: Dabrowa Mala (früher: Mittenwalde). Heute noch höre ich die aufgeregten Rufe hinter mir: "Niemec, niemec" und sehe ein halbes Dutzend Männer und Frauen auf einem Feldweg, die mir wild gestikulierend den richtigen Weg zeigen.
Auf der oberen Karte, fast genau in der Mitte, ist ein dunkler Waldstreifen, der sich nach Westen zieht. Nördlich dieses Waldstücks liegt eine gerodete Fläche, die von Osten her wie eine zerfledderte Zunge in den dunklen Wald hineinreicht. Am südlichen Rand dieser hellen Fläche liegt Mittenwalde, die Heimat meiner Urgoßeltern. Der Hof jedoch hat mitten im Wald gestanden (vgl. Karte unten, zwei oder drei Kilometer südlich von Dabrowa Mala).
Klicken Sie auf ein Bild, um die Fotostrecke zu starten (23 Bilder). (In Originalgröße nur für registrierte Nutzer des Forums. Username und Passwort finden Sie - wie gewohnt - hier.) Ich will die wohlwollenden Leserinnen und geneigten Leser nicht mit privatem Kram langweilen. Auch sind die Fotos fast alle nichtssagend und hätten auch woanders aufgenommen werden können. Ich jedoch was damals ziemlich aufgeregt. Es war ein kaum beschreibbares Gefühl, wie auf einer Expedition. Am späten Nachmittag hatte ich den Waldstreifen durchquert und fragte mit Händen und Füßen beim nächstbesten Bauern, ob ich mein Zelt neben ihrem Hof aufstellen dürfe. Die guten Leute waren sehr nett und gaben mir Wasser aus dem Ziehbrunnen und ein Stück Brot.
Am nächsten Tag fand ich dann die Überreste des Hofes, nur ein paar Mulden (Fotos neben der Schwarz-Weiß-Aufnahme), in denen unzweifelhaft die Bauten gestanden hatten, zwei Kilometer südlich im Wald. Mein Großvater erkannte später anhand der vielen Fotos, die ich vorsichtshalber gemacht habe, das Gelände wieder. Auch der polnische Bauer verstand wohl anhand meiner Karte, um was es ging, nickte und wies mir den Weg. Er wusste wohl noch, dass in der Nähe die Ruinen eines großen Hofes gestanden hatte. Sie waren "Vertriebene" aus den polnischen Ostgebieten und hatten sich dort angesiedelt, wo früher die Deutschen lebten. Ich fand in den nächsten Tagen auch die alte Dorfschule in Krossen (heute: Chrosna, Fotos: vorletzte Reihe), in die mein Großvater gegangen war. Die Bauern schlachteten nach ein paar Tagen zu meinen Ehren ein Huhn, und ich wurde in die gute, aber sehr ärmliche Stube zum Essen eingeladen.
Nach einer Woche hatte ich genug gesehen. Von Bauernhof zu Bauernhof marschierte ich in Richtung Südosten nach Gniewkowo, an halber Strecke zwischen Inowroclaw und Thorn (heute: Torún) gelegen. Von dort fuhr ich mit einem Lokalzug weiter nach Norden. Die polnische Pampa war damals genau so abenteuerlich wie eine Reise nach Südamerika, nur dass der Regen ein bisschen kälter war.
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