POLITIK | | Aktuell | 21. März 2005 |
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ANMERKUNGEN IN EIGENER SACHE ZUM AUSSTEIGER-MARKT Was macht eigentlich Kamerad Nolde?Von Burkhard Schröder |
In einem erzprotestantischen Land wie Deutschland ist der öffentliche politische Diskurs stark ritualisiert: es geht nie um die wahren Probleme, um den kontroversen Austausch von Meinungen, sondern um Schuld und Sühne, um das Bekennen, Bereuen, das Herzeigen der richtigen Gesinnung, der heiligen Tücher, der Symbole des Guten, Schönen und Wahren. Der Deutsche an sich ist der geborene Denunziant. Sein Bestreben richtet sich primär darauf, den Nachbarn als jemanden zu entlarven, der aus dem Zwangskollektiv der richtigen Meinung ausgeschert ist. Wenn es einen Job gibt, den die deutsche Leitkultur der Menschheit geschenkt hat und die deutsche Seele in ihrem Innersten anspricht, dann ist es der Blockwart.
Zu dieser Gemengelage passt auch der "Aussteiger", wahlweise aus dem Sekten-, Drogen- oder Neonazi-Milieu. Eine Debatte über den so genannten "Ausstieg" ist nicht politisch, sondern ausschließlich Moraltheologie: jemand, der zum Beispiel bestimmte psychotrophe Substanzen nicht mehr konsumiert, dient als pädagogisch wertvolles und öffentlich herzeigbares Exempel für die protestantische Askese, ja als personifizierte Parabel für das zentrale Gebot des Kapitalismus: du sollst dich nicht freiwillig dem Arbeitsmarkt entziehen. Auch der "Sektenaussteiger" existiert nur vor der Folie des staatlich sanktionierten Christentums. Einen signifikanten Unterschied zwischen einem durchgeknallten Scientologen und einem sich selbst täglich geißelnden Opus-Dei-Mitglied gibt es selbstredend weder religionssoziologisch noch psychologisch.
Die zentrale Lebenslüge der Republik dokumentiert der "Neonazi-Aussteiger" jedoch am besten. Zahlreiche Projekte stricken an dieser Lüge mit, der Verfassungsschutz verschleudert sogar die Steuergelder ganz offiziell dafür. Diese Lüge ist: es gebe einen signifikanten Unterschied zwischen dem völkischen und rassistischen Denken der "Neonazis", die man gern "Extreme" nennt, um das Thema zu entpolitisieren, und dem politischen Mainstream. Wie eine Art Selbstkasteiung wirkt das gebetsmühlenartig vorgetragene Credo, man sei nicht "extrem" und gehöre daher zu den Guten.
Daher muss man dem Neonazi-"Aussteiger" Detlef Nolde dankbar sein, dass er - vermutlich unfreiwillig - den bräsigen Diskurs aufmischt. Auf indymedia postete ein - natürlich anonymer - Meinungs-Blockwart die Meldung, der Ausstieg Noldes, der in meinem Buch "Aussteiger - Wege aus der rechten Szene" dokumentiert wurde, sei ein Fake, also vorgetäuscht worden. Die Diskussion darüber ließ zahlreiche Web-Foren überquellen: auf board24, bei inidia.de, nazis.de (beide von Markus Rabanus) und anderen lieferte man sich digitale Wortgefechte, die in der Regel in wüste Beschimpfungen bar jeden Niveaus ausarteten. An vorderster Front immer dabei: Jörg Fischer, ein Ex-Lohnschreiber des Neonazis Gerhard Freys, ebenfalls ein "Aussteiger" aus dem ultrabraunen Milieu. Fischer betätigt sich seitdem in zahlreichen anderen Politsekten wie der West-PDS, hält es aber nie allzulange dort aus.
Die Hassliebe zwischen den beiden "Aussteigern" hat eine lange Vorgeschichte. Schon 2002 publizierte Fischer einen Artikel in der nationalbolschewistischen Zeitung "Junge Welt", natürlich ohne Nolde oder gar mich als Autor des Buches vorher gefragt oder gar zu einer Stellungnahme aufgefordert zu haben. Im Februar 2005 wiederholte sich die Kampagne in einem Kommentar, der vage etwas mutmaßt, ohne die Leser mit Fakten zu belästigen. Das denunziatorische Geschrei wurde untermalt von den üblichen Verdächtigen wie Markus Rabanus, der unter verschiedenen Pseudonymen ins gleiche Horn stieß.
Es geht natürlich nicht um Inhalte, sondern um die strategische Positionierung, im kleinen Markt für Neonazi-Aussteiger möglichst viele Segmente zu besetzen. Nolde verweigert sich bis jetzt, seinen "Ausstieg" zu kommerzialisieren und den Beruf Ex-Neonazi zu wählen - ganz im Gegensatz zu Fischer.
Die teilweise recht unappetitliche Angelegenheit lässt sich jedoch durch Original-Zitate Detlef Noldes etwas aufhellen. Nolde schreibt: "Ein 'Nazi-Ausstieg' kann viele Gründe und Facetten haben, aber braucht kein Ausstieg aus dem breitgefächerten 'nationalen Lager' sein, geschweige denn, wenn man nicht mehr aktiv sein will, aus welchen Gründen auch immer, aus nationalen Denkweisen."
Eine interessante Frage: Wer ist ein RAF- Austeiger? Wer nach dem Ausstieg in die CDU eintritt? Wer die Waffen nur fallen läßt, weil die militärische Lage der Stadtguerilla aussichtslos war? Wer öffentlich bereut und die ehemaligen GenossInnen ans Messer liefert? Und wer ist ein Neonazi-Aussteiger? Wer erst bei den Mormonen landet, wie Jörg Fischer, und dann in die PDS flüchtet? Und welche Kriterien legt der Gesinnungs-TÜV an die politische Meinung an? Darf ein "Aussteiger" bei den Scientologen anschließend Lutheraner werden oder gilt der "Ausstieg" erst dann als vollzogen, wenn er sich der Verehrung höherer Wesen oder Gurus ganz verweigert?
Detlef Nolde denkt immer noch "national": "Ich bin keiner, der zur roten Antifa übergelaufen ist, der mit Exit Kontakt oder Kameraden 'verraten', der in Talkshows Asche über sein Haupt geschüttet, der jedes normale nationale Denken abgelegt hätte, der auf geraubtes deutsches Land innerlich verzichten könnte, der eine Politik, die an den Interessen des deutschen Volkes orientiert ist, nicht gutheißen würde, keiner, der sich nicht mehr auch als Deutscher fühlen, also (auch) national denken würde." Wer über "geraubtes" Land räsonnieren will, muss nur bei den Vertriebenenverbänden vorbeischauen oder sich bei bestimmen Burschenschaften umsehen, um die dazu passenden Textbausteine hören zu können. Gehört Edmund Stoiber mit seinen einschlägigen Zitaten ins "nationale Lager"? Aber ganz gewiss.
Nolde schrieb in diesem Forum im Oktober 2004: "Nein, ich sehe mich nicht mehr als 'führertreuen Nationalsozialisten', das stimmt, nicht mehr als jemand, für den das Thema 'Rasse' und historischer NS noch eine grundlegende Bedeutung für mein politisches und sonstiges Denken spielen würde, insofern ist das, wenn man die klaren Unterscheidungen im 'nationalen Lager' kennt, durchaus für den Betreffenden ein Bruch, den auch er erst einmal zu verarbeiten hat, und den man durchaus als 'Ausstieg' bezeichnen kann."
Ein "Ausstieg" ist nichts anderes als die Gewissheit, eine Phase des eigenen Lebens irreversibel hinter sich gelassen zu haben und das Gefühl, einen Bruch der Biografie erlebt zu haben. Bei Nolde war der Anlass, aus dem militanten Milieu auszusteigen, der Doppelmord unter Neonazis im April 1997. Aber unstrittig hängt Nolde heute immer noch antisemitischen Verschwörungstheorien an und würde mit seinem völkischen Ideen an den meisten CDU-Stammtischen nicht unangenehm auffallen.
Der letzte Satz in meinem Buchkapitel über Detlef Nolde stammt von ihm selbst: "Ich möchte denjenigen Mut machen, die sich immer noch in dieser sektiererischen Szene aufhalten und insgeheim an ihr zweifeln. Es ist nie zu spät. Nichts ist für immer, auch nicht die politische Gesinnung. Deshalb sage ich euch: Hört auf eure innere Stimme, nicht auf vorgefertigte Meinungen von anderen. Geht offen auf alle Menschen zu, nicht mit Vorurteilen. Lebt mit Verständnis für den anderen und lebt in Freiheit!"Bild oben: Detlef Nolde mit einem seiner Kinder in seiner Zeit als Neonazi, aus: "Aussteiger - Wege aus der rechten Szene". Mitte: Schlagzeile der Berliner BZ (Ausriss) am 17.04.1997. Das Bild unten zeigt nicht Jörg Fischer, sondern eine Lithografie A. Paul Webers: "Der Denunziant" (1962) ------------------------------------------------------------------------------------BURKS ONLINE 21.03.2005 Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des BurksVEB.
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