www.burks.de Foren-Übersicht www.burks.de
Burkhard Schr�ders [Burks] Forum - f�r Kosmopoliten und Kaltduscher
burks.de: Forum für Kosmopoliten und Kaltduscher
burksblog.de: ab 01.01.2008 geht es hier weiter!
privacyfoundation.de: German Privacy Foundation
 FAQ  •  Suchen  •  Mitgliederliste  •  Benutzergruppen   •  Registrieren  •  Profil  •  Einloggen, um private Nachrichten zu lesen  •  Login
 [Spuren der Macht] Der Name der Tulpe 3: Non Nächstes Thema anzeigen
Vorheriges Thema anzeigen
Neues Thema eröffnenNeue Antwort erstellen
Autor Nachricht
burks
Webmaster
Webmaster


Anmeldungsdatum: 07.10.2002
Beiträge: 6757
Wohnort: Berlin-Neukoelln

BeitragVerfasst am: 02.07.2003, 23:49 Antworten mit ZitatNach oben

Diese - hier stark gekürzte - Geschichte erschien 1990 in meinem Buch Spuren der Macht im Rowohlt-Verlag. Ich hatte mich eine Woche in einem Kloster einquartiert. Dort erfuhr ich von einem mysteriösen Todesfall und recherchierte in der Klosterbibliothek...
In Vigil und Laudes geht es um das Leben der Benediktiner. In Sext stürzt sich ein Novize aus dem Fenster, und sein Novizenmeister verschwindet spurlos im Reintal bei Garmisch. Doch bevor das Rätsel dessen Verschwindens aufgeklärt wird, zunächst zu etwas ganz anderem....


[Der Name der Tulpe 3] Non: Im Refektorium

"Bier gibt es nicht", sagt mir ein Pater, als müsse er sich dafür entschuldigen, "erst ab Feiertagen zweiter Ordnung." Ich solle noch ein paar Tage, bis "Mariä Lichtmess", warten. Trotz des Alkoholverbotes leben die Mönche nicht allzu asketisch. Die Nahrungsaufnahme ist jedoch strengen Regeln unterworfen. Man diniert gemeinsam, aber schweigend.

Bevor ich den Speisesaal - das Refektorium - betrete, werden mir die klösterlichen Tischsitten erläutert. Jeder warte brav auf seinem Platz, bis der Abt und vier altehrwürdige Pater an der Schmalseite des langgezogenen Raumes Aufstellung genommen haben. Die schweren Holztische an den Längsseiten sind vom Celleraren und seinen Gehilfen gedeckt worden. Der Tischleser steht hinter seinem Pult, dem Abt genau gegenüber. Durch die hohen, halbrunden Fenster dringen Sonnenstrahlen auf den gefliesten Boden und seine Mäandermuster und bescheinen die dunkelbraune und mannshohe Holzvertäfelung sowie die an der Wand fortlaufenden Bänke. Langsam legt sich das Rascheln der Kutten, das Gescharre der vielen Füße und das Murmeln der Mönche.

Jetzt hebt der Abt mit hoher und schon dünner Stimme zum Tischgebet an: er dankt für die Speisen, und wir antworten den Refrain im Chor. Dann huschen alle auf ihre Plätze. Ich beachte die kleine Stufe, vor der ich gewarnt worden war, eingedenk anderer Gäste, vor mir, die mit großem Holterdipolter auf ihrer Bank gelandet waren.

Noch immer greift niemand zum Besteck. Der Tischleser ruft: "Im Namen des Herrn Jesu Christus!" - als wenn daran Zweifel bestünden, "Amen. Aus dem Buch Judith, das dreizehnte Kapitel." Die jüngeren Mönche kichern, weil der Mann am Pult wohl den Tonfall irgendeines anderen imitiert. Der Abt blickt milde, was ohnehin seine einzige mimische Äusserung ist. Nach den ersten Sätzen, wir verharren noch immer still und stumm, greift er einen kleinen hölzernen Hammer und schlägt leicht auf den Tisch, das Zeichen, dass wir zu den Servietten und zum Besteck greifen dürfen.

Die Brüder, die zum Tischdienst eingeteilt worden waren, schieben Servierwagen und verteilen auf jeden Tisch, jeder für vier Personen, eine Terrine mit der Suppe. Wer links sitzt, greift zuerst nach dem Dargebotene, füllt sich auf und reicht die Brühe an seinen Nebenmann weiter. Selbst darüber hatte sich der Ordensgründer Benedikt Gedanken gemacht: "Was zum Essen und Trinken nötig", sagte er, sollen sich die Brüder gegenseitig zureichen, so dass keiner um etewas zu bitten braucht."

An anderen Tagen beginnt die Lesung mit Abschnitten aus den Benediktiner-Regeln. Während ich die Markklößchen auf der Zunge zergehen lasse. fällt mir auf, dass der heute vorgetragene Text für ein Mittagsessen etwas unpassend ist: "Und Judith hieb zwei Mal in den Hals mit aller Macht", rezitiert der Mönch aus dem Bibeltext, "und schnitt Holofernes den Kopf ab." Ich beschließe, mich künftig bei ähnlichen Stellen ganz auf meinen Teller zu konzentrieren.

Der Terrinen werden abgeräumt und Schweinshaxe mit Kraut und Kartoffeln sowie Salat aufgefahren. Wir dürfen erst dann zugreifen, wenn der Abt damit begonnen hat, das dampfende Stück Fleisch auf seinem Teller zu zerteilen. Der für die Betreuung der Gäste zuständige Pater riet mir, mich zu beeilen, denn die Benediktiner speisten "sehr schnell". Ich sollte mich aber ruhig satt essen, ohne Scheu.

Auch in den nächsten Tagen werde ich nicht enttäuscht. Ich begegne Hühnerfrikassee mit Ananas, in Sahnesoße eingelegten Thunfisch, italienischen Nudeln, mit gut gewürzten Pilzen angerichtet; abends werden die Reste vom Mittag nebst vier Sorten Brot und Aufschnitt verzehrt, das Sauerkraut vom Mittag, jetzt mit deftigen Wurstscheiben vermengt. Zum Nachtisch offerieren die Brüder von der Küche auch schon einmal Vanilleeis mit Mandelsplittern und Schokoladensoße, nicht zu vergessen die Schlagsahne.

Während des Hauptgerichts wechselt der Tischleser das Thema. Ein dicker Schmöker, weniger blutrünstig, dient zur geistigen Erbauung: "Thomas Morus" - eine Biografie - nicht das absolut Neueste und Spannenste, aber, so man neben der Verdauung der Schweinshaxe noch etwas Energie übrig hat, nicht uninteressant.

Ist das Glas leer, eilen sofort die dienstfertigen Geister durch den Saal und bieten wahlweise Obstsaft oder Mineralwasser an. Drohen die Kartoffeln oder etwas anderes an einem Tisch auszugehen, suchen sie auf den anderen nach Nachschub, ein prompter Service, der manchem Restaurant der höheren Preisklasse gut anstehen würde.

Die ältesten Mönche sind, offenbar durch jahrelanges Training, zuerst fertig. Der Weißhaarige neben dem Abt: starker Bauchansatz, etwas schläfriger Gesichtsausdruck, der aber dem fetten Mahl und dem vollen Magen geschuldet sein könnte, die Hände, wie von fast allen Mönchen, wenn sie nichts zu sagen haben, in der Kutte verborgen. Er hat das Kinn auf die Brust gelegt und die Augen geschlossen. Sein Nebenmann: in der gleichen Stellung, mit gesundem Gesichtsausdruck wie ein Bauer, der immer an der frischen Luft gearbeitet hat. Rechts neben dem Abt ein bebrillter Asket, dessen hagere Züge durch einen humorvollen Ausdruck um den Mund gemildert werden. Er scheint einen der oberen Ränge zu bekleiden, vielleicht den des Priors, denn später, während der Messen, vertritt er schon mal den Abt im Ritual. Rechts außen der Betagteste des Klosters, wie mir zugeflüstert wird: er ist weit über achzig, hält sich steif, fast im Hohlkreuz, als wenn er einen Besen verschluckt hätte, stapft mit seinem Stock schnurgerade zu seinem Platz, macht aber nur kleine Schritte, so dass sein Gang wie der einer aufgezogenen Spielzeugmaus wirkt.

Gegenüber, am ersten Tisch an der Längsseite des Refektoriums, zwei Pater, die Brüder sein könnten. Beide sind korpulent, beide mit nur spärlichem Haarwuchs, beide scheinen einem guten Tropfen nicht abgeneigt. Sie könnte ich mir als Keller- oder Braumeister vorstellen, wenn es hier so etwas gäbe. Die Arme auf dem Tisch und die Hände nach dem Essen gefaltet, wirken sie wie der Inbegriff der Zufriedenheit. Daneben mehrer Pater undefinierbaren Alters. Natürlich - eines meiner Vorurteile bestätigt sich - wäre es ein fataler Irrtum zu glauben, in einem Kloster könnte man einer Ansammlung männlicher Schönheiten begegnen. Da alle die gleiche unvorteilhafte Tracht tragen, fallen die markanten Merkmale des Gesichts um so mehr auf: da fehlt ein Kinn, hier könnte die Brille etwas modischer, dort sollte die Körperhaltung etwas entspannter sein, zu den Frisuren passten eigentlich nur Sack und Asche.

Auffallend bei vielen ein kindlich-naiver Ausdruck, keine neugierigen, sondern ausweichende Blicke. Dem Gedächnis fällt es schwer, sich an die Gesichter zu heften. Eine fast körperlich spürbare Schüchternheit, die sich nur unter Vertrauten zu kleinen Neckereien wandelt. Ein Bruder, fast am Ende der langen Tafel - also auch der Rangfolge -, mampft in aller Gemütsruhe seinen Nachtisch, eine Schale mit diversen eingekochten Früchten, während alle anderen schon längst fertig sind und Cellerar und Helfer die Tische leergeräumt haben. Der Abt blickt, mit gefalteten Händen, immer noch gütig, die Älteren scheinen ein Nickerchen zu halten, und der Rest der Gemeinschaft wartet auf das Zeichen mit dem Hämmerchen, sich zu erheben. Da es ausbleibt und der Tischleser immer noch monoton diverse Einzelheiten aus theologischen Debatten des Thomas Morus mit seinen Zeitgenossen dahinleitert, sammeln sich allmählich die Blicke bei dem Säumigen. Seine Tischnachbarn reichen ihm, wohl damit es schneller geht, ihre Löffel, die er dankend, aber wortlos ablehnt.

Endlich hat er es geschafft, seine Serviette eingerollt, die Schale an den vorderen Rand des Tisches gestellt zum Zeichen, dass er nichts mehr möchte, das Besteck separat danebengelegt und sein Glas Apfelsaft geleert. Der Hämmerchen fällt, alle erheben sich und postieren sich wieder vor ihren Tischen. Das gleiche Ritual, inklusive Gesang des Abtes und Refrain des Mönchschores. Danach sind wir entlassen, der Gast darf zuerst hinausgehen.

Abends verliest der Mönch hinter dem Stehpult Todesdaten verschiedener Ordensangehöriger. "Heute, am Dienstag, im Jahre 1906, verstarb Pater Ambrosius", oder auch, etwa im Jahre 1939, Abtissin Soundso aus einem befreundeten Benediktiner-Kloster. Niemand wird jemals aus dem Gedenken gestrichen - der "soziale Tod", der erst dann eingetreten ist, wenn sich niemand mehr an den Verstorbenen erinnert, verschiebt sich bis in alle Ewigkeit. Nur beunruhigt die Vorstellung, in hundert Jahren, wenn es dann noch Klöster gibt, würde die Reihe der zu erwähnenden Toten so lang, dass sich der Leser während des gesamten Essens der Sterbeliste widmen müsste.

Nächste Folge: Vesperale: Gedenkt meiner in Fürbitte!

[Der Name der Tulpe 1] Vigil und Laudes
[Der Name der Tulpe 2] Sext
[Der Name der Tulpe 4] Vesperale
[Der Name der Tulpe 5] Komplet

Bild oben: Thomas More (Morus)
Bild unten (anklickbar): Tizian: Judith mit dem Haupt des Holofernes, Galleria Doria-Pamphili, Rom

Der Name der Tulpe - die 5teilige Serie im pdf-Format, 1 Euro, ca. 600 kb

03.07.2003
© BurkS

Benutzer-Profile anzeigenPrivate Nachricht sendenE-Mail sendenWebsite dieses Benutzers besuchen
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:      
Neues Thema eröffnenNeue Antwort erstellen


 Gehe zu:   



Nächstes Thema anzeigen
Vorheriges Thema anzeigen
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht mitmachen.


Powered by phpBB © 2001, 2002 phpBB Group :: FI Theme :: Alle Zeiten sind GMT + 1 Stunde