Nein, nicht Möllemann. Über den habe ich hier schon eine hochqualifizierte Kolumne geschrieben - und nur ein paar Dutzend Leute wollten die lesen. Ausserdem gilt der Leitsatz der alten Römer: De mortuis nihil nisi bene. Ergo: reqiescat in pace. Und Techniker informieren sich hier über weitere Details.

Wir wenden uns heute der AutoPoiesis zu. Motiv: eine E-Mail 4 me, die da lautete: "...ich studiere derzeit an der Humboldt-Universität und beginne, im nächsten Monat meine Staatsexamenarbeit zu dem Thema "Hyperfiction im Deutschunterricht" zu schreiben. Zur einer der Grundlagen würde ich gern einen Ihrer Texte machen, wahrscheinlich Cypherguerilla." Ursprünglich hieß die SF-Story aus dem Jahr 1996 Das Einstein-Bose-Kondensat. Ganz im Sinne Luhmanns werde ich sie daher selbstreferentiell rezensieren, damit die unzähligen Literaturwissenschafter, die in späteren Jahrhunderten darüber promovieren und habilitieren werden, nichts verkehrt machen oder gar auf den interpretativen Holzweg geraten.

Die AutoPoiesis wird definiert als eine Klasse dynamischer Systeme, die - als Einheiten - verwirklicht werden als Netzwerke der Produktion (und Auflösung) von Bestandteilen, welche durch ihre Interaktionen in rekursiver Weise an der Verwirklichung des Netzwerks der Produktion (und Auflösung) der Bestandteile mitwirken, das sie selbst erzeugt, Man kann es einfacher sagen: Leute schreiben etwas, und andere Leute schreiben über das, was erstere geschrieben haben. Einer sichert dem anderen den Lebensunterhalt. Als Institution nennt man dieses System Feuilleton. Wir machen also unser dynamisches Feuilleton selbst, ganz im Sinne von open source.

Die Story Cypherguerilla besteht aus ca. einem Dutzend Websites, die den Leser zwingen, eine bestimmte Reihenfolge der Rezeption enzuhalten. Der Einstieg simuliert eine heute veraltete Methode, Dokumente im Internet zu finden - die Suche nach Files via Archie-Anfrage. Die Suchmaske ist eine Fiktion: dem technisch unbedarften Leser erschliesst sich nicht gleich, dass jede Möglichkeit zu immer demselben Ergebnis führt.

Dem Autor gelingt es damit, die Interaktvität der multimedialen Nutzeroberfläche World Wide Web zu thematisieren. Im Jahr 1996 gab es einige der FTP-Server nicht, die per default in der Abfrage der Suchmaske eingetragen sind. Heute, sieben Jahre später, lässt sich das nicht mehr so einfach erkennen - eine Metatheorie verlangte mindestens Habilitations-Niveau und mindestens drei Wochen Informatiker-Studium. Die Story entwickelt in ihrem Verlauf ohnehin mehrere Ebenen, je nach Anspruch des Lesers - ähnlich einem Schachspiel, dessen Regeln auch dem Laien ersichtlich sind, dessen Ästhetik aber nur Profis beurteilen können.

Zwischen einer SF-Online-Story und einem Weblog gibt es einen gravierenden Unterschied: Kein Mensch liest ein Weblog, dessen Lektüre mehr als fünf Minuten in Anspruch nimmt. Wenn ich Cypherguerilla ernsthaft rezensieren wollte, brauche ich zwanzig Manuskriptseiten. Ich entschließe mich daher ganz spontan, die schöne und schmeichelhafte Aufgabe, einer der ersten Hypferfiction-Texte überhaupt auf ihren wahren literarischen Gehalt zu untersuchen, denen zu überlassen, die dazu gezwungen werden, wie Studenten, die Examensarbeiten schreiben müssen, oder anderen Arbeitern der Stirn, die ein fettes Gehalt beziehen. [Burks ab. Sardonisches Gelächter hinter den Kulissen.]

06.06.2003
© BurkS