Aussteiger – Wege aus der rechten Szene

Von Burkhard Schröder
Taschenbuch, Ravensburger Buchverlag; Auflage: 1 (2002)
ISBN-10: 3473581755
ISBN-13: 978-3473581757

Prolog – ausführliche Fassung

Wer rassistische und antisemitische Vorurteile hat, muss nicht zur rechten Szene gehören. Wer aber den politischen Gegner mit Terror einschüchtern will, wer Menschen, die vorgeblich „fremd“ sindAussteiger bedroht, anpöbelt und sie mit Gewalt vertreiben will, wer von einer nationalen „Volksgemeinschaft“ träumt, der passt in das tiefbraune Milieu. Und wer von einer Wiedergeburt des nationalen Sozialismus träumt, der ist ein Neonazi. Davon gibt es mehrere Zehntausend in Deutschland, nicht nur Jugendliche mit dem typischen „Skinhead“-Outfit, sondern genug Ältere, Unbelehrbare, die andere verführen und in den rechten Sumpf hineinziehen wollen. Wer als Heranwachsender unter den Einfluss rechter Demagogen gerät, ist Argumenten kaum noch zugänglich, der übernimmt irgendwann widerspruchslos jede Propaganda der Szene, mag sie auch noch so dumm und bar jeder historischen Fakten sein.

Das rechte und neonazistische Milieu ist nicht immer straff organisiert. Einzelne Wortführer und Drahzieher arbeiten seit vielen Jahren daran, immer neuen Nachwuchs heranzuziehen, aber die kleinen politischen Parteien am rechten Rand der Gesellschaft bilden nur eine Art Durchlauferhitzer für rassistische Einstellungen. Viele, die in diese TitelblattSzene hineingeraten sind, wechseln von einer Gruppe in die andere, ohne sich um theoretische Diskussionen viel zu kümmern. Was zählt, ist der angebliche Zusammenhalt der“Kameradschaft“, die „Action“, der gemeinsame Besuch von Konzerten rechter Bands, punktuelle Gewalt auf der Straße gegen Linke und Menschen, die die Neonazis für Ausländer halten wie zum Beispiel Afrodeutsche.

Wer aus diesem Milieu aussteigt, zieht sich meistens ins Privatleben zurück und meidet die Gewalt, die politische Meinung ändert sich jedoch nicht. Die wenigen Aussteiger, die ihren Schritt öffentlich gemacht haben, haben über ihre Vergangenheit und die Motive nachgedacht und versucht zu verstehen, warum sie ihre Meinung geändert haben. Einige vermarkten sich, andere verhalten sich still und versuchen gar, die ehemaligen „Kameraden“ davon zu überzeugen, dass ihr Weg der falsche ist. Wieder andere wollen vom braunen Milieu gar nichts mehr wissen, vielleicht auch aus Scham, den Unfug, der dort gepredigt wird, ohne Widerspruch hingenommen zu haben. Programme, gar von staatlicher Seite, haben jedoch noch niemanden dazu gebracht, seine politischen Irrtumer einzusehen. Einem Aussteiger aus der Neonazi-Szene kann kein Außenstehender helfen. Der Weg aus diesem sektenählichen Milieu hinaus dauert lange, manchmal Jahre, und ist schwierig, weil kaum jemand nachvollziehen kann, was im Inneren vorgeht.

Dieses Buch schildert die Lebensgeschichten von vier führenden Neonazis, drei von ihnen stammen aus den neuen Bundesländern. Ingo Hasselbach, der prominenteste unter ihnen, war über Jahre Dauergast in Talkshows und in allen Medien präsent. Er hat selbst zwei Bücher geschrieben. Jemand, der seine Biografie kennt und schon vor seinem Ausstieg einen Einblick in das Milieu hatte, in dem er verkehrte, sieht viele Dinge unter einem anderen Blickwinkel. Nicht alles, was in den Medien über ihn gesagt wurde und wird, entspricht den Tatsachen.

Die anderen drei Aussteiger haben sich bisher öffentlich nicht präsentiert, obwohl sie in der rechten Szene überregional bekannt waren und zahlreiche jugendliche Sympathisanten und Mitläufer über Jahre aufgehetzt und in neonazistische Organisationen eingebunden haben. Detlef Nolde war mehr als zehn Jahre fanatischer Nationalsozialist, Aktivist der heute verbotenen FAP, Organisator der so genannten Anti-Antifa und Anführer mehrerer „Kameradschaften“ in Berlin, der er selbst gegründet hatte. Danny Thüring stammt aus Wittenberg in Sachsen-Anhalt und lebt heute als erfolgreicher Computer- und Multimedia-Spezialist in Frankfurt am Main. Es führt kein gerader und logischer Weg vom Neonazi-„Kameradschaftsführer“ aus Sachsen-Anhalt zum politisch links denkenden Webdesigner in Hessen. Thüring hat sich, ohne dass er mit jemandem darüber reden konnte, für den Ausstieg aus der Neonazi-Szene entschieden, ohne vorher zu wissen, dass das nur Vorteile für ihn haben würde.

Michael Petri aus Hessen hat mit seiner Vergangenheit restlos abgeschlossen und lässt sich ungern daran erinnern. Petri widerlegt alle Legenden vom dummen Jungen aus problematischem Elternhaus, der, wie viele Sozialarbeiter meinen, aus „Orientierungslosigkeit“ oder „Frust“ beinahe automatisch zum Rassisten und Antisemiten hat werden müssen. Alles das trifft auf ihn nicht zu. Nichts in seiner Biografie ließ seine Neonazi-Karriere erahnen. Das stimmt auch nachdenklich: Wenn es keine hinreichenden Indizien dafür gibt, wenn man nichts darüber sagen kann, wann es wahrscheinlich ist, dass jemand in das ultrarechte Milieu geraten kann, wenn er nur die „falschen“ Leute kennenlernt – dann gib es keine Garantie dafür, dass Jugendliche, die ohne sichtbare Probleme aufwachsen, nicht auch gefährdet sein könnten, in die falsche politische Richtung abzudriften.

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Ravensburger-Verlag
Lost Sons – Film von Fredrik von Krusenstjerna (2000)
– Fotos (ausser Thüring und Petri): Dietmar Gust.
Fischen im braunen Teich – Deutsche Welle, 10.06.2002
„Kein politisches Konzept“ – Interview in der taz, 06.06.2002
Der Computer, der Kamerad – über Danny Thüring, Tagesspiegel, 22.07.1999
Nicht die rechte Verbindung – über Michael Petri, Tagesspiegel, 25.04.2001
Ingo Hasselbach – Wikipedia

Last update: 05.01.2008