Über die Streuobstwiese

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Touristen kommen hier eigentlich nie hin. Wir sind mitten in Berlin-Neukölln, im alten Rixdorf. Der öffentliche Weg führt vom Richardplatz zur Böhmischen Strasse. [Andere Perspektive für das erste Foto]

Man überquert die hier schon vor fast zehn Jahren erwähnte Streuobstwiese. Ich habe natürlich so fotografiert, dass der ultrahässliche Neubauklotz, den irgendein mental verwirrter Architekt samt Parkplatz daneben geknallt hat, nicht zu sehen ist.

Streuobstwiese Rixdorf

Streuobstwiese

Gestern interviewte mich eine Geografin über eine kleine Streuobstwiese in Rixdorf. Das hört sich langweilig und banal an, ist es aber nicht.

Man ahnt schon, worum es geht, wenn man sich einen ersten Überblick bei Wikipedia verschaft: „Es liegen zahlreiche lokale und regionale Erhebungen vor, die zwischen 1965 und 2000 einen Rückgang der Streuobstwiesen in Deutschland und Mitteleuropa von ca. 70 % belegen. Dies gilt sowohl für die Fläche als auch für die Anzahl der Obstbäume. In Deutschland gibt es nach Schätzungen des NABU nur noch rund 400.000 ha Streuobstwiesen. Die verbliebenen Bestände sind lückig und vergreist, da absterbende Bäume nicht mehr ersetzt werden. Bestehende Bestände werden kaum gepflegt. Darüber hinaus hat sich die Artenzusammensetzung mit der Nutzung verändert. Allen voran ist die Zahl der anspruchsvollen Apfelbäume drastisch gesunken, da viele fruchtbare Flächen umgenutzt wurden. In den 1920er Jahren begann in Europa die Trendwende zur Obstplantage. Das unüberschaubare Sortiment an Kernobst sollte im Erwerbsbau auf je drei Apfel- und Birnensorten beschränkt und durch das Prädikat ‚Reichsobstsorte‘ gefördert werden.“

Die Wiesen mit vielfältigen Obstsorten werden im Kapitalismus also tendenziell ersetzt durch Plantagen – das bringt mehr Profit. Nur Obstsorten, die Gewinn bringen, dürfen noch angebaut werden. Alles andere, auch wenn es besser schmeckt, kommt auf den Müll und wird verboten.

Hier am Richardplatz, versteckt hinter Höfen und kleinen Häusern, gibt es noch eine kleine Streuobstwiese, weit und breit die letzte ihrer Art. Niemand hat sie bisher genutzt, nur ein paar Hundehalter, zu denen ich auch gehörte, als Ajax von Teufelslauch noch hier wohnte. Die Eigentumsverhältnisse der Wiese sind verworrren; das Areal ist eine öffentliche Grünfläche, die vor dreißg Jahren dafür gedacht war, dass die unmittelbaren Anwohner sie als Treffpunkt nutzen sollten. Das hat nicht funktioniert, vor allem auch, weil ein gräßlicher Neubauklotz den Weg versperrt.

Jetzt gibt es einen „Konflikt“ zwischen denen, die die Wiese noch nutzen und einer Gruppe von älteren Damen, die die Schnapsidee hatten, das Areal zu einem „Garten der Poesie“ um zuwidmen. Man muss sich das ungefähr so vorstellen: Ein paar Multikulti-Tussen sitzen zusammen, eingedenk dessen, dass Fördergelder für irgendwelche Projekte nur fließen, wenn man „Kultur“ als Logo draufpappt – der Kartoffel- und Gemüseanbau an sich würde nicht gefördert – und beschließen dann, dass man die Einwanderer mit dem Robbenbaby-Effekt (Polen und Russen kommen also nicht vor) mit dem beglückt, was deutsche Mittelschichts-Muttis unter „Kultur“ verstehen: Gereimtes in Ausländisch vorzutragen und irrig zu vermuten, weil es vor einiger Zeit mal die hängenden Gärten von Babylon gab, arabische Immigranten in Neukölln würden sich auch heute noch zuhauf gern dem kollektiven Gartenanbau widmen.

Wie es bei jedem Interessenkonflikt üblich ist, beschreiben sich die Parteien gegenseitig so, dass es möglichst hämisch klingt: Das Quartiersmanagement behauptet, „die Hundebesitzer“ würden die Streuobstwiese demolieren und seien gegen Kultur. In schönstem Bürokraten-Neusprech heisst es: „Die Streuobstwiese im QM-Gebiet wurde 2009 mit Mitteln der ‚Sozialen Stadt‘ durch den Verein Netzwerk Stadtraumkultur e.V. hergerichtet. Der Verein hat ein Konzept für einen ‚Interkulturellen Garten der Poesie‘ erarbeitet und möchte die Wiese für die Bewohnerschaft reaktivieren und neun kleine Gemüsegärten anlegen.“ [Berlin Amtsgericht Berlin (Charlottenburg) VR 27983]

Neun kleine Gemüsegärten – bruhahahaha. Wie lange die wohl überleben würden in Neukölln, so ganz ohne Jägerzaun und Selbstschussanlage drumherum? „Kultur“ – von oben oktroyiert: das entspricht auch dem paternalistischen Multikulti-Verständnis von Einwanderern. Einwanderer auf deren vermeintliche Folkore zu reduzieren – das ist Sarrazin auf Multikulti.

Eine Wiese darf im Kapitalismus nicht einfach eine Wiese bleiben, die irgendwie keinem gehört – sie muss geplant „benutzt“ werden, am besten von einem Verein. Natürlich könnten die Anwohner, die in den Häuschen rund um die Wiese wohnen, blöden Hundebesitzern (blöde Hunde gibt es nicht) das Handwerk legen oder sie wegmobben. Aber dazu sahen die bisher offenbar keinen Anlass. Dass bei „Bürgeranhörungen“ herumgemault wird, wird niemanden überraschen – das darf man in Berlin ohnehin nicht so tierisch ernst nehmen. Berliner sind daran gewohnt, sich mit nervertötenden Zeitgenossen irgendwie arrangieren zu müssen.

Mir gehen ältliche LyrikerInnen jedenfalls mehr auf den Senkel als etwa ein deutscher Boxer, die mich zwar nicht kennt und ein paar Mal ängstlich prophylaktisch vor mir herumbellt (Boxer sind harmlos, sie sehen nur nicht so aus), um mich einzuschüchtern, dann aber bei einem strengen Kommando mit Handzeichen „Sitz“ macht und angesichts eines von mir angebotenene Hundeküchleins anschließend anbiedernd herumhechelt.

Fazit: Lasst die Weise so, wie sie ist, pflanzt ein paar Büsche und hört auf, uns mit Poesie zu behelligen – Lichterketten haben wir schon genug. Gärten der Poesie zu Streuobstwiesen!

Streuobstwiese

Kehrwoche | Rixdorfer Subbotnik

Müll

Heute haben einige Bürgerinnen und Bürger, darunter auch ich in Begleitung von Tölchen aka Ajax vom Teufelslauch, die Streuobstwiese am Richarplatz von Müll gereinigt. Der Besitzer des größten Teil des Areals, eine Wohnungsbaugesellschaft, kümmert sich nicht darum. Zum Subbotnik war vom Quartiersmanagements Richardplatz Süd aufgerufen worden. Ein gutes halbes Dutzend Erwachsene und rund zehn Kinder waren dem Aufruf gefolgt. Ceterum censeo: Auf die Streuobstwiese gehört keinGarten der Poesie„, sondern ein prosaischer Garten für alle, inklusive Tölchen. Von den direkten Anwohnern ließ sich kaum jemand blicken. Aber die zahlen über die Betriebskostenabrechnung ohnehin für die „Pflege“ des Platzes. Kein Wunder, dass sie nicht freiwillig auch noch dafür arbeiten wollen. Die Kinder hatten zunächst Angst vor Tölchen, das ich frei laufen ließ. Aber das legte sich. Kinder sollten lernen, dass Hunde im Normalfall weder bellen noch beißen. Leider kann man nicht immer erkennen, ob die Hunde bekloppt und schlecht erzogen sind. Aber oft sieht man es sofort an den Besitzern.

Willkommen in der Wirklichkeit

Agitprop

„Willkommen in der Wirklichkeit“, meint der Rixdorfer Stadtschreiber zu Recht ironisch und berichtet von einer Versammlung gestern, auf der ich auch war. Es ging um die Streuobstwiese am Richardplatz, die in keinem guten Zustand ist, aber auch von den Hundehaltern genutzt wird.

Es läuft so wie immer: Niemand hat Geld. Auch das Bezirksamt nicht. Dann kommen einige, die vom Verwalten Anderer leben, auf die Idee, irgendwas mit „Multikulti“ zu machen. Beliebt ist auch die sinnfreie Zeichenkette „interkulturell“. Das gibt es genausowenig wie „zwischenkulturell“. Derartige hohle Phrasen werden gern von den LichterkettenträgerInnen benutzt, die unpolitisch den Einwanderern eine „Kultur“ unterschieben, womit meistens Folklore gemeint ist. Sie kapieren nicht, dass „Kultur“ von Immigranten immer schon das Resultat einer Anpassung mit der Realität im Einwanderungsland ist. [Wer mehr dazu lesen will: Kien Nghie Ha: „Ethnizität und Migration RELOADED – Kulturelle Identität, Differenz und Hybridität im postkolonialen Diskurs“.] Auch hier wurde den arabischen und türkischen Familien hier im Kiez paternalstisch ein Interesse an „Multikulti“ und Gärtnerei untergeschoben, das real nicht existiert. Von denen war aber niemand da. Und auf meine Fragen, mit wem man aus der türkischen und arabischen Community geredet hätte, kam nur vages Gestammel.

Aber natürlich geht es immer auch ums Geld. Die Fördermittel für einen „interkulturellen Garten“ auf der Streuobstweise nördlich des Richardplatzes sind schon bewillig worden, ohne dass sdie Anwohner vorher gefragt wurden. Die Frauen (Männer sind offenbar nicht beteiligt) haben sich jetzt ihren „multikulturellen Garten“ in den Kopfgesetzt und schon vor vier Wochen den Verein „netzwerk Stadtraumkultur“ (VR 27983) gegründet, der aber im Wesentlichen aus denselben Leuten gehört, die auch im Quartiersmanagement Richardplatz Süd arbeiten. Der Verein bekommt vermutlich das Geld usw… Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Zum Glück waren die Anwohner mehrheitlich gegen den Garten, der auch aus biologischer Sicht totaler Blödsinn ist. Eine Streuobstiwese eignet sich eben nicht zum Gartenbau; außderm würden die Bette vermutlich das Wurzelwerk beschädigen. Einige verließen aus Frust auch schon vorher die Versammlung.

Der Rixdorfer Stadtschreiber: „Man darf also gespannt sein, wie es mit dem ‚Fall Streuobstwiese‘ weitergeht. Bis Ende diesen Monats wollen Struzyk und Rieckmann ein Konzept erstellen, ‚das von den Anwohnern mitgetragen wird‘. Diese Ambitionen hatten sie auch schon beim Projekt KANU, das doch gewisse Parallelen aufweist, in 2007 mit 31.000 Euro gefördert und dann wieder eingestellt wurde.“

Jetzt sind wir schon zwei Blogs, die die Angelegenheit aufmerksam verfolgen. Das ist auch gut so. Nur mein Layout ist besser. Und ich habe einen Mitgliedsantrag in dem Verein „netzwerk Stadtraumkultur“ gestellt. mal sehen, ob es da mit rechten Dingen zugeht.