Vulgärökonomie

vulgärökonmie

Karl Marx: Das Kapital. Marx erwähnt hier lobend William Petty, den „Vater“ der englischen Nationalökonomie.

Wolfgang Münchau in Spiegel online: „Und die Ökonomen sind so hilflos wie noch nie. Schlimmer noch. Jedes Jahr wiederholen sie die alten Fehler. Der Lerneffekt ist gleich null. (…) Die Modelle, welche den Prognosen zugrunde liegen, funktionieren nicht mehr. Aber die Ökonomen wollen das nicht wahrhaben.“

Wo er recht hat, hat er recht. Der Appell, die „Volkswirte“ zu feuern, wird wirkungslos verhallen. „Volkswirtschaftslehre“ ist eine quasi-religiöse Esoterik, das herrschende kapitalistische System ideologisch zu legitimieren.

Ich schrieb hier am 12.02.2014: „‚Philosophie‘ wäre die Frage zu stellen, ob es nachvollziehbare Gesetze der Ökonomie gebe. ‚Metaphysik‘ wäre zu behaupten, es gebe keine und ‚der Markt‘ sei ein höheres Wesen mit künstlicher Intelligenz. ‚Theologie‘ ist Volkswirtschaftslehre. ‚Wissenschaft‘ wäre die Methode von Marx und der klassischen bürgerlichen Ökonomie, die immerhin versucht hat, die Gesetze wirtschaftlichen Handelns und deren Voraussetzungen zu verstehen.“

„Volkswirtschaftler“ gab es schon zu Marx‘ und Ricardos Zeiten. Marx nannte die schlicht „Vulgärökonomen„.

Wertpapiere, oder: Banken im Kapitalismus, revisited

richardplatz

In meinem letzten Artikel „Unter Schnellballsystemikern und Couponschneidern“ vertrat ich die These, das Prinzip der Staatsanleihen sei ein Schnellballsystem. Das muss ich insoweit relativieren, als ich nur meinte, es funktioniere strukturell als ein solches. Das bedeutet nicht, das ein Zusammenbruch automatisch erfolgen müsste. Die Diskussionen der wohlwollenden Leserinnen und geneigten Leser verfolge ich natürlich aufmerksam und wäge die Argumente in meinem Herzen hin und her.

Das Handelsblatt („Pflichtblatt der Wertpapierbörsen“ liest sich immer wieder nett*) ist heute voll von Artikeln, die sich hervorragend eignen zu erklären, wie der kapitalistische Finanzmarkt funktioniert und wie der von Marx analysierte quasireligiöse Geldfetisch die Köpfe vernebelt. Zur Erinnerung: „Einem Fetisch werden Eigenschaften oder Kräfte zugeschrieben, welche dieser von Natur aus nicht besitzt.“

Geld arbeitet nicht und schafft keine Werte. So weit zu den Fakten. Und jetzt zu dem, was die Wirtschaftsredakteure der Medien daraus machen.

„Nur Bares ist Wahres“, titelt das Handelsblatt hingegen. Oder: „Die Sorge des guten Kaufmanns“ – „Konzerne ziehen Milliarden Euro Bares aus dem Euro-Raum ab und transferieren ihr Geld in sichere Dollar-Anlagen. Was soll ein Finanzchef auch sonst tun? Er muss die Liquidität sichern.“ Oder: Kauft Wertpapiere aus „Schwellenländern“. Am untersten Ende des theoretischen Tiefgang und des intellektuellen Niveaus steht Spiegel online mit Spiegel online mit Wolfgang Münchau: „Somit gibt es auf die Frage nach dem optimalen Schuldenstand nur die unbefriedigende Antwort: Es kommt darauf an.“

Gibt es bald eine Revolution oder nicht? Geht der Kapitalismus nun unter oder nicht? Es kommt darauf an.

Der Artikel „Kauf von Staatsanleihen 1975 – Als die Bundesbank ein Tabu brach“ bestätigt übrigens, dass man gar keine Ahnung haben kann und trotzdem etwas über „Wirtschaft“ veröffentlichen darf. Die Bundesbank „stemmt sie sich heute vehement dagegen, dass die Europäische Zentralbank (EZB) Staatsanleihen aus Euro-Krisenländern aufkauft“, heisst es da. Die kennen noch nicht einmal Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, der der EZB genau das verbietet.

Wertpapiere – o welch ein schönes Wort! Wie funktioniert das also mit den Banken, die dem Staat Geld leihen – und welche Rolle spielt die Bundesbank?

Banken arbeiten nach dem Prinzip der Teilreserve – ein Lieblingsthema für obskure Zins-Theoretiker und ihre Groupies, „eigentümlich freie“ Ökonomie-Astrologen und Verschwörungstheoretiker aller Sorten. Teilreserve ist nichts Geheimnisvolles, sondern bedeutet ganz einfach: Das offizielle Geld, das gesetzliche Zahlungsmittel, darf in Deutschland nur die Bundesbank herausgeben. Die leiht es den anderen Banken. Jenes ist das Zentralbankgeld, dieses das Buchgeld. Man kann auch sagen: Zentralbankgeld und „Geschäftsbankgeld“.

Kurze Unterbrechung, weil ich gerade zwei Stunden mit einer bezaubernden jungen Dame (live – nicht virtuell!) über dies und das plauderte, sonst wäre dieses Posting schon längst fertig.

Das Buchgeld oder Giralgeld der Banken ist also nur ein Anspruch, eine Forderung an meine Bank, falls ich Bargeld (also Zentralbankgeld) auf mein Konto eingezahlt habe. Deswegen heisst Buchgeld auch Sichtguthaben. „Das Entstehen von Buchgeld aus einer Bargeldeinzahlung kann noch nicht als eigentliche Geldschöpfung verstanden werden, weil hier keine Geldvermehrung stattfindet, sondern lediglich eine Geldform in eine andere umgewandelt wird – Bargeld in Sichtguthaben.“

Jetzt kommt die Pointe: Die Bank kann das von mir eingezahlte Geld wiederum bei der Bundesbank als Sichtguthaben einzahlen – als so genannte Mindestreserve. Meine Bank kann aber mit ihrem Buchgeld ebenso Kredite vergeben oder Vermögen kaufen, aber auch Staatsanleihen! Jetzt wird es lustig: „Auf diese Weise entsteht auf Grundlage des eingezahlten Bargelds ein Vielfaches an Buchgeld, da sich der Prozess wiederholen kann.“

Wenn plötzlich alle, die etwas angezahlt haben, die also über ein Sichtguthaben verfügen, gemeinsam zur Bank gingen und ihr Geld haben wollten, wäre die Bank bankrott, könnte sie sich von der Bundesbank nicht kurzfristig Geld leihen. Sie hatte mehr Geld „ausgegeben“ als sie „hat“.

Genau das läuft auch zwischen der europäischen Zentralbank und den Staaten der Europäischen Union ab. Bei Spiegel Online wurde gerade erwähnt: „Die EZB schlägt den Umweg über die griechische Notenbank ein und erlaubt ihr die Ausgabe von zusätzlichen Notkrediten an die Kreditinstitute des Landes. Diese wiederum sollen für das Geld griechische Anleihen mit kurzer Laufzeit kaufen. Vier Milliarden Euro sollen so zusammenkommen. Die griechische Notenbank akzeptiert die Wackelanleihen als Sicherheit und stattet die ebenfalls völlig maroden Geschäftsbanken des Landes mit frisch gedruckten Euro aus – die letztlich von der EZB kommen.“

Die Europäische Zentralbank (EZB) leiht also den griechischen Banken Zentralbankgeld, und die kaufen damit Staatsanleihen vom griechischen Staat, von denen sie wissen, dass sie nie und nimmer zurückgezahlt werden. Die griechischen Banken, die eh schon pleite sind, produzieren Buchgeld, damit sie noch pleiter werden. Gleichzeitig erklärt die EZB, dass sie selbst keine griechischen Staats-„Wert“papiere akzeptiert. Sehr witzig. Aber so ist er – der Kapitalismus in der Krise.

Das Beispiel Spanien ist auch sehr lehrreich, was das Verhältnis zwischen Zentralbankgeld und Buchgeld angeht. In Spanien benötigte man so gut wie gar kein Eigenkapital, um eine Immobilie zu kaufen. Die Banken produzieren also unglaubliche Summen von Buchgeld – in der Hoffnung, die Besitzer der Häuser würde ihre Raten auch zahlen können. Das ging aber schief. Die Situation ist der so genannten „Finanzkrise“ in den USA nicht unähnlich.

Kurzes Intermezzo: Wie war das mit dem Staatsbankrott Argentiniens 2002?
Am Höhepunkt der Krise (Mitte 2002) stieg die Armutsrate auf 57 %, die Arbeitslosenrate erreichte 23 %. (…) Eine Privatisierungswelle Anfang der 90er Jahre, bei der viele Staatsbetriebe zum Teil unter Wert verkauft wurden, führte dazu, dass weite Teile der argentinischen Wirtschaft vom Ausland abhängig wurden. Dies machte das Land anfällig für Spekulation und Kapitalflucht, ein Phänomen, das Ende 2001 maßgeblich zur Bankenkrise beitrug.“

Übrigens: Griechenland wird zur Zeit dazugezwungen, alle Staatsbetriebe zum Teil weit unter Wert zu privatisieren. Kommt das irgendjemandem jetzt bekannt vor?

Im Jahr 2004 wurden den Vertretungen der Gläubiger mehrmals Vorschläge unterbreitet, die einen Kapitalschnitt von 75%, später 65% vorsahen. Sie stießen zunächst besonders bei den ausländischen Gläubigern, die mehr als 55% des Schuldenvolumens reklamieren, allgemein auf Ablehnung und trübten auch Argentiniens Verhältnis mit dem IWF. Durch mehrere diplomatische Missionen gelang es jedoch Argentinien, die meisten Gläubigergruppen zu überzeugen, Widerstand gab es bis zum Ende noch von den deutschen und vor allem von den italienischen Gläubigern.

Die Währung Argentiniens wurde nach dem Staatsbankrott gegenüber dem Dollar extrem abgewertet. Aber: „Das Wachstum in Argentinien blieb seit Mitte des Jahres 2003 stetig hoch. Dieses Wirtschaftswachstum kann vor allem durch die positiven Erfolge der Abwertung begründet werden.“

Abwertung = Wirtschaftswachsum. Alles klar soweit? Puls und Atmung noch normal?

Wenn Griechenland den Staatsbankrott erklärte, würde der Kurs des Euro gegenüber der wieder eingeführten Drachme extrem ansteigen – wie damals der Kurs des Dollar gegenüber dem argentinischen Peso.

Ich darf mich noch einmal selbst zitieren: Nach einem Austritt Griechenlands oder dem Zerfall der Union würde das deutsche Kapital weit weniger Profite machen, da die Landeswährungen abgewertet würden. Es wäre genauso wie das Verhältnis zwischen Dollar und Euro. Ein schwacher Euro ist gut für den Export. Das heißt: Die deutschen Kapitalisten müssen alles dafür tun, dass Exporte des Ausland nach Deutschland nicht billiger werden.“

Das, was ich hier schreibe, kommt zwar so nicht in den Mainstream-Medien vor, die Kapitalisten wissen das aber. So doof sind die nicht, dass sie nicht kapiert hätten, wie das alles endet.

Wie denn? fragen die wohlwollenden Leserinnen und geneigten Leser. Es ist irgendwie wie immer: Marx hatte Recht, je ein Kapitalist schlägt viele tot, je ein Zentralbankfinanzkapitalist schlägt auch viele kleine Finanzkapitalisten tot, es wird – wie in Argentinien – eine gigantische Vernichtung von Volksvermögen geben und gleichzeitig eine gigantische Umverteilung von unten nach oben. Kapitalismus, also known as „freie soziale Marktwirtschaft“ – wie wir sie alle lieben und verehren.TM

* Burks.de – Pflichtblatt für Kapitalismus-Kenner

Gehirnklemmen sind gefährlich, aber vermeidbar

„Die amerikanischen Business Schools sind doch vor allem das ideologische Transport-Vehikel des Finanzkapitalismus. (…) Die Theorie, die heute vermittelt wird, hat substantiell versagt und ist moralisch verrottet.“

Das sagt nicht ein wiedergeborener Karl Marx, sondern Thomas Sattelberger, Personalvorstand und Arbeitsdirektor der Deutschen Telekom.

Er hat natürlich recht, man muss sich nur mal das Gefasel von Wolfgang Münchau anschauen: „Kreditklemmen sind gefährlich, aber vermeidbar“.

Noch einmal zum Mitschreiben: Die „Berichte“ in den Medien über Ökonomie sind fast ohne Ausnahme suggestive Kapitalismus-Apologien und von keiner Sachkenntnis getrübt.