Simpler, more enjoyable, relevant, accessible, relevant and engaging

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Er hört sich bei den LindenLabs an wie eine Frontbegradigung: „Linden Lab Restructures to Generate Efficiencies and Support Investment in New Platforms“. „Restrukturierung“ kann immer auch bedeuten: „Wir ziehen uns geordnet aus Stalingrad zurück“, „Deutschland muss sparen“, „Wieder mehr variables Kapital auf dem Arbeitsmarkt verfügbar“ oder „Gute Nachricht: Griechische Staatsanleihen jetzt besonders günstig!“ Was also ist gemeint?

„Today’s announcement about our reorganization will help us make Second Life® even simpler, more enjoyable, relevant and engaging for consumers starting with their first experience. It will also enable us to invest in bringing 3D to the web and will strengthen our profitability,“ said Mark Kingdon, chief executive officer of Linden Lab. According to Kingdon, the restructuring also better aligns Linden Lab with its two longer-term goals. First, the company aims to create a browser-based virtual world experience, eliminating the need to download software. Secondly, Linden Lab will look to extend the Second Life experience into popular social networks. ‚Ultimately, we want to make Second Life more accessible and relevant to a wider population,‘ he said.“

Die Berichterstattung deutscher Medien – inklusive der Mainstream-Blogs – über Second Life kann man komplett vergessen. Genausogut könnte man auch eine saudi-arabische Zeitung über die Kreuzzüge befragen. Deswegen hier ein paar Details mehr.

Auf ReadWriteWeb („one of the most popular technology blog“) wird das noch erläutert: „Linden Lab intends to move the Second Life environment to a browser- and mobile-based platform, obviating the need to download software. It will combine its product and engineering divisions. Future plans include migration to social networks, like Facebook.“ PaidContent schreibt: „The company’s financial state isn’t known. Linden Lab has raised about $19 million in funding but hasn’t raised outside cash since 2006. At least two of its backers have sold their stakes; one unnamed investor sold its holdings to late-stage investment firm Stratim Capital a year ago…“

Die „Lindens“ wollen also die Hemmschwelle tiefer legen: man muss immer noch einen Client (ein Programm, das den Zugang ermöglicht) installieren, bevor man die größte virtuelle Welt der Welt betreten kann. Ich habe mich von einem guten Freund technisch belehren lassen, dass es in absehbarer Zeit möglich sein könnte, 3d-Rendering per Browser adäquat umsetzen zu können.

Das Problem von Second Life ist bekanntlich, dass eine Kommunikationsplattform nur zwei Geldquellen hat: Ausspionieren und Verkaufen des Nutzerverhaltens sowie das Geld, was die Nutzer „inworld“ ausgeben. In beiden Punkten übertrifft Second World um Längen, nur eben nicht in den Nutzerzahlen. Die Zahl der aktiven Nutzer wird sich um eineinhalb Millionen Nutzer bewegen, obwohl offiziell das Zehnfach angeben wird: Sehr viele Avatare, die während des Medienhypes 2007 geschaffen wurde, sind inaktive Karteileichen, und aktive Nutzer (wie ich) haben fast immer mehrere Avatare (ich habe vier) für unterschiedliche Segmente der virtuellen Welt und deren Szenarien. (Mein ältester Avatar heisst übrigens Burkhard Schroeder, „geboren“ im Januar 2007.)

Second Life

Der Sceenshot unten zeigt die Ergebnisse, die man in der Second-Life-internen Suchmaschine erzielt, wenn man „deutsch“ eingibt und „erwachsene“ Inhalte zulässt. Ich möchte die deutschen Jugenschutzwarte anstacheln zu jammern: „Dass muss man doch melden, durchführen und verbieten!?“ Damit könnten sie sich noch lächerlicher machen, was ich bekanntlich lebhaft begrüßen würde. Aber im Ernst: Wer bei Gor In Second Life die Nase rümpft, hat eben keine Ahnung: Der Avatar ganz oben stammt aus Gor und ist wesentlicher appetitlicher als der Schund und Müll, der einem im deutschen Segment der 3D-Welt entgegenbrodelt.

SMeet und andere – alles, was zählt

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Da kaum ein Journalist kontinuierlich etwas Substanzielles über virtuelle Welten berichtet, bekomme ich mittlerweile zahlreiche (leider unverschlüsselte) E-Mails von Werbeagenturen und Unternehmen, die mich auf die jeweils Ihre aufmerksam machen. Mein Posting über ExitReality ließ eine Nachricht eintrudeln, die mir Smeet zum Testen empfahl. Gern geschehen, ich möchte Marktführer im Online-Journalismus über 3D-Chats sein. Risiko und Nebenwirkung: Ich bin kritisch und lasse mich vom Gesäusel von Werbefuzzies nicht einlullen, sondern versuche hinter die virtuellen Kulissen zu schauen und den praktischen Nutzen abzuwägen.

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Smeet funktioniert ohne Download einer Software, sondern, wie ExitReality, direkt über den Browser. Der Avatar läuft dorthin, wo man mit der Maus klickt. Das ist einfach und niedlich, aber technisch nur ein wenig anspruchsvoller als Larry auf einem Atari. Was tun, sprach der Avatar? Gemeinsam Musik hören, virtuell shoppen und Chatten in 3D. Smeet bietet als Schmankerl zusätzlich Telefonieren an, eine Art 3D-Skype. Das kennen wir schon aus Second Life – Voice-Chat, leider nur für Windows. Das 3D-Chat-Forum wendet sich vor allem an Schüler und Jugendliche, ist „jugendfrei“, also nach deutscher Sitte klostertauglich. Man wird unerbittlich geduzt wie in Second Life, nur dass dort der Altersdurchschnitt zwei Jahrzehnte höher liegen dürfte.

Alles, was wirklich zählt, steht in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen und wird in dem einen Satz im obersten Screenshot perfekt zusammengefasst. Hony soit qui mal y pense. Je mehr du die Hosen runterlässt, um so interessanter bist du als werberelevante Zielgruppe oder: Früh übt sich, wer ins Schäuble-Zeitalter passen will. Ich bin also definitiv nicht die Zielgruppe von Smeet, zumal meine Browsereinstellungen mindestens die Hälfte der Features verboten haben.

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Mich regen die dämlichen Artikel in deutschen Medien über 3D-Welten leider noch zu sehr auf. Vermutlich müssen immer nur die Praktikanten ran, die das Handwerk des Journalismus für so relevant halten wie Klaus Störtebeker das Handelsrecht. Nehmen wir computerzeitung.de: „Virtuelle Büros dürfen direkten Kontakt nicht verdrängen“. Ja, lustiges Thema, daraus könnte man etwas machen. Sogar einen originellen Screenshot bekammt man zu sehen: Zwei grottenmäßig gestylte Avatare bei Sun, wo sich die Mitarbeiter virtuell austauschen. Aber was lehrt uns das? „Die Technik darf jedoch nicht überhand nehmen oder gar die menschliche Kommunikation komplett ersetzen.“ Wer hätte das gedacht. Wäre ja auch komisch, wenn in einem deutschsprachigen Bericht keine moraltheologische Warnung vor den pöhsen 3D-Welten und deren Gefahren auftauchte. Ich will keine unreflektierten Halleluja-Orgien wie während des Second-Life-Hypes im letzten Jahr, aber wenn schon berichten, dann bitte auch fragen, warum die Deutschen so etwa wie Sun oder SAP gar nicht tun und warum sie sich vor virtuellen Welten so fürchten. Ich ahne es: In der männlich geprägten Kultur deutscher Firmen, wo Herrschaftswissen und „Dienstanweisungen“ zentrale Machtfaktoren sind, ebneten Avatare die Hierarchien ein, wenn der Chef seine Sektetärin darum bitten müsste, seinen Avatar ordentlich anzuziehen, er denselben aber mit seiner Maus nicht über die nächstbeste virtuelle Treppe bewegt bekäme.

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Auch die Netzeitung bekleckert sich nicht mit Ruhm (ja, Beiträge freier Mitarbeiter werden nicht mehr genommen – so sieht das auch aus.) „Avatar-Mörderin in Japan verhaftet“. Eine geile Schlagzeile. Es geht aber nicht um Second Life, sondern den einen primitiven Manga-Chat Maple Story. Jemand hat den Account eines anderen gelöscht. Vermutlich kleben Nutzernamen und Passwort am Monitor. Die Story ist ohnehin nicht selbst recherchiert, sondern von CNN abgeschrieben. CNN bebildert Maple Story mit einem Screenshot aus Second Life – als benutzte man bei einem Bericht über das LKW-Aufkommen am Kamener Kreuz ein Foto aus einem Bahnhof der Bundesbahn als Illustration. Man fasst es nicht – für wie geistig beschränkt halten die eigentlich die LeserInnen?

Die Moral von der Geschicht‘ kommt bei der Netzeitung wie der legendäre Monthy-Python-Satz: „Wir begrüßen sie in der Mitte des Films“: „Aber es gibt auch positive Meldungen aus der Welt der Online-Spiele.“ Wer hätte das wiederum gedacht – und das in einem deutschen Medium! (By the way: Second Life ist kein „Online-Spiel“ – aber das kapieren die ohnehin nie.) Die Meldung: „In den letzten 12 Monaten ist unser Umsatz um 67 Prozent gestiegen‘, sagte Kingdon der britischen Zeitung ‚Times'“. Ach ja. Schon wieder abgeschrieben, ohne die Quelle zu verlinken. (Ja, eine abhängige Quelle, nicht mindestens zwei unabhängige, wie es wäre, wenn man seriös recherchierte. Das Portrait Mark Kingdons in der Times ist übrigens hervorragend und interessant geschrieben und besteht nicht nur aus Textbausteinen wie der Artikel der Netzeitung.) Der seichte Stumpfsinn lässt sich noch steigern: „‚Second Life‘ war in den letzten Monaten immer mehr in Vergessenheit geraten. Bei dem Spiel sind 15 Millionen User registriert, diese sind aber längst nicht alle aktive Spieler.“ In Vergessenheit geraten? Bei wem? Ist das ein Kriterium? Was will uns der Schreibkünstler damit sagen?

„Beim DJV sind gut 30.000 Menschen Mitglied, diese sind aber längst nicht alle aktive Journalisten.“ Das wäre immerhin eine korrekte Tatsachenbehauptung. Am liebsten würde ich bei manchen Journalisten das tun, was man jetzt in sMeet virtuell kann (Kommafehler im Original): „Neben der Tanz- und Winkfunktion, kannst du jetzt auch mit Kissen auf Andere schmeißen! Probier‘s mal aus…“

This way out | Die taz und Second Life

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Heute, liebe wohlwollende Leserin und lieber geneigter Leser, widmen wir uns dem Journalismus an sich, wie er nicht sein sollte und wie man ihn bei der taz studieren kann. Leider müssen wir, obwohl es für das Stammpublikum zum Erbrechen ist, wieder die berüchtigte 3D-Welt Second Life als pädagogisch wertvolles – in diesem Fall abschreckendes Beispiel nehmen. (Außerdem kann man das Thema so schön bebildern.) Anlass: Der Artikel vom 22.09.: „Pleitewelle in ‚Second Life'“. Der Autor ist Dietmar Kammerer, Kulturwissenschaftler und Filmkritiker, der auch ein kluges Buch geschrieben hat, dessen Klappentext sich interessant anhört.

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Vermutlich, und damit beginnt meine Nörgelei, besitzt er keinen Avatar und hat auch nicht in Second Life recherchiert. Der Screenshot, der seinen taz-Artikel bebildert, stammt von dpa, was uns lehrt, das niemand in der taz in der Lage war, selbst ein aussagekräftiges Bild beizusteuern. Was wiederum eine gewisse Aussagekraft hat. Und siehe da: Die taz gibt sogar zu, dass es sich beim dem Text um kein Produkt journalistischer Recherche handelt, sondern um bloßes Abschreiben aus der Wrtschaftswoche: „Philip Rosedale – Dem Second-Life-Gründer laufen die Kunden davon“, heißt es da. So kommen ohnehin die meisten Artikel zustande. Ich könnte jetzt versuchen, den taz-Text umzuschreiben und den der FAZ oder einer anderen Zeitung anzudrehen. Aber dazu bin ich zu blöd – ich bin kein Kulturwissenschaftler, sondern nur gelernter Altgermanist und blogge ein bisschen.

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„In ‚Second Life‘, dem Tummelplatz für Leute, die ihr erstes Leben lieber vor dem Rechner verbringen, hat die Pleitewelle nun Dimensionen angenommen“, schreibt Kammerer. Schön, dass man dämliche Vorurteile nicht nur am Stammtisch hört, sondern sie in einer vormals „alternativen“ Zeitung nachlesen kann. Die taz ist offenbar ein Tummelplatz für technikfeindliche Journalistik-Azubis, die ihre Texte lieber aus der Wirtschaftswoche übernehmen als die Fakten selbst zu überprüfen. Es geht munter so weiter: „Mark Kingdon, Vorsitzender des Second Life-Erfinders Linden Lab, sieht die Schuld für den massenhaften Exodus im Medienhype, der um die Web-Welt entstanden war. Für einen echten Belastungstest sei Second Life noch unausgereift. ‚Ich empfehle Geschäftsleuten, eher abzuwarten‘, vertraute er dem Focus an.“ Dem Focus. Das ist fast aktuell – der betreffende Artikel (die taz weiß nicht, was Links ins Internet sind) stammt vom 09. Juli. Auch Burks‘ Blog berichtete. Der aktuelle Anlass kann das Interview eigentlich nicht sein. Google hat die Recherche offenbar komplett ersetzt.

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„Von den weltweit 15 Millionen registrierten Nutzern besuchen nur ein Bruchteil regelmäßig die bunte Inselwelt. Die meisten User melden sich kostenlos an, sehen sich in der optisch eher reizarmen Umgebung um, kommen mit der komplizierten Steuerung nicht zurecht und verabschieden sich auf Nimmereinloggen.“ Ach ja. Haben wir das Fakten, gar eine empirische Basis? Mitnichten. Der Autor faselt einfach irgendwelchen Blödsinn, den er sich nach dem Motto „Die Welt als Wille und Vorstellung“ kulturpessimistisch zusammenerfunden hat. Ein Besuch der Website von Second Life reichte aus, um sich sachkundig zu machen, zum Beispiel in der Rubrik economic statistics: 500.000 aktive Nutzer pro Woche, insgesamt 15 Millionen Avatare (nicht Nutzer – man kann auch mehrere Avatare besitzen). Es ist auch falsch, dass nur 50 Avatare gleichzeitig an einem Ort sein können. Hätte der Autor Links zu seinen (nicht vorhandenen) Quellen gesetzt oder setzen müssen, wäre der Quatsch gleich ersichtlich. Das kommt davon, wenn man sich dem „Online-Journalismus“ störrisch und belehrungsresistent wie ein Lehrer verweigert.

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Ach ja, es gebe Konkurrenz. Die taz schafft es aber nicht, Twinity richtig zu schreiben und vergisst – nur was die Nutzerzahlen angeht – die einzigen ernst zu nehmenden Konkurrenten – Lively und HiPiHi. Was der Autor eigentlich mitteilen will und die Moral von der Geschicht‘ haben sich mir nicht erschlossen. Vielleicht musste man nur das Blatt vollkriegen. Ich empfehle: Schreibt doch beim nächsten Mal einfach aus Burks‘ Blog ab. Auch die hiesigen Screenshots dürfte die taz gratis verwenden – bei ordentlicher Quellenangabe. Dann wäre die taz beim Thema Second Life nicht mehr so optisch und faktisch reizarm.

Screenshots: „Orientation Island“ von Linden Lab in Second Life (1,2), die SIM Cymric (Burks‘ kleines Dampfboot vor der Küste, Mitte, und Burks‘ Strand beim Sonnenaufgang, unten), Hanja Welcome Area, Hangeul, in der Mitte Burks‘ Spinner (2. von unten).

Second Life rät Firmen von Second Life ab

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Golem.de schreibt: „Der neue Chef des Betreibers von Second Life rät Firmen derzeit davon ab, in der virtuellen Welt eigene Niederlassungen zu gründen. ‚Second Life befindet sich noch ganz am Anfang‘, bekennt Linden-Labs-Geschäftsführer Mark Kingdon. (…) In naher Zukunft sollten sie zurückkommen, „um dem ‚Zweiten Leben‘ eine zweite Chance zu geben“, sagte er dem Magazin Focus. Der Medienhype in der Vergangenheit sei der Online-3D-Welt nicht gut bekommen“. (By the way: Focus online entblödet sich nicht, wieder mal das uralte Bild mit den drei Avataren zu nehmen, das schon während des Hypes vor einem Jahr ständig zu sehen war. Und golem.de kann offenbar keine Links an der richtigen Stelle setzen.)

Mit Verlaub: Ich sehe das anders als der SL-CEO. Wie lang soll denn die Pause sein, und was soll in der Zwischenzeit geschehen? Vermutlich nur ein paar Updates, dass der Zugangsclient nicht ständig abstürzt – Nutzer von Online-Computerspielen würden sich das nicht bieten lassen. Der Rest – also das Prinzip – wird sich kaum ändern müssen. Es müssen aber neue Konzepte des Branding Building her. Geld verdienen geht nicht, aber Erfahrungen sammeln. Aufwand und Nutzen stehen in einem äusserst günstigen Verhältnis. Listen to the words of Andrew McGregor and his wisdom!

[Montage: Burks]