Shtisel, du Stiesel!

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Manche Filme beschreibt man am besten dadurch, dass man aufzählt, was nicht darin vorkommt. Von Shtisel (Netflix) habe ich jetzt beide Staffeln angeschaut. No sex please, we are Haredim. Keine Küsse, noch nicht einmal Händchenhalten, keine Gewalt, keine Politik, kein Terror der „Palästinenser“, keine Merkavas, keine sichtbaren langen Haare bei Frauen, keine emanzipierten Frauen, keine Bikinis, keine Schwulen, keine Lesben. Ist das noch das reale Leben in Israel? Oder ist Shtisel einfach nur eine soap opera à la Bollywood, aber in einem – auch visuell – „exotischen“ Ambiente, das sich vom Rest der Welt abschottet, vergleichbar mit den Amischen oder Jehovas Zeugen?

Mir fiel es teilweise schwer, die Episoden anzuschauen – und das ist vermutlich rein gar nicht für das hier lesende Publikum repräsentativ. Das lag zum einen an den durchweg hervorragenden Schauspielern, die in ihre Rolle so überzeugten, dass ich sie manchmal am liebsten angeschrien oder geschüttelt hätte: Wie könnt ihr nur so bescheuert sein? Zum anderen kam mir manches „unheimlich“ bekannt vor, dass ich mich einerseits gruselte, andererseits vor Wut kochte. (Wir hatten das hier schon ausführlich.)

Ich stimme Dorothee Krings zu, die in der Rheinischen Post rezensiert: „Shtisel“ ist in erster Linie eine Familienserie mit starken, ambivalenten, wahrhaftigen Charakteren. Es geht um Liebe, Kindererziehung, die Erwartungen der Alten, um den Tod. Es geht um Tradition und zaghaftes Aufbegehren, um Menschen, die einander Leid zufügen, weil sie es gut meinen, um Zuneigung und Zusammenhalt. Das Drehbuch von Yehonatan Indursky ist mit Witz, Wärme und großer Menschenkennerschaft geschrieben, und obwohl es oft um Klischees geht, sind die Dialoge nie plump. Das ist intelligente Unterhaltung, die die wahren Konflikte um die ultraorthodoxe Minderheit in Israel ausblendet, aber wahrhaftig von den universellen Konflikten in Familien erzählt.

Ja, ich musste manchmal auch herzlich lachen und oft schmunzeln. Die Ultraorthodoxen aus Ge’ula sind natürlich zerstritten, wenn es um religiöse Themen geht. Spöttische Bemerkungen fallen über die messianischen Chabad Lubawitscher, und man erinnert sich sofort an die Volkfront von Judäa.

Weltliche Israelis und Juden sind „Zionisten“, die man verachtet. Die Schüler einer Jeschiwa müssen (im Film) auch in weltlichen Feiertagen des Staates Israels lernen, aber heimlich schauen sie dann doch aus dem Fenster, um eine Flugshow zu sehen.

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Hanna Rieber als Großmutter Malka Shtisel

Die Großmutter des Helden lebt im Heim und schaut Liebesfilme, obwohl das „verboten“ ist – die Dialoge zwischen den tüddeligen Damen auf Jiddisch sind zum Kaputtlachen (mit Untertiteln schauen! Überragend ist auch Ruth Geller als Rebetzen Erblich).

The Atlantic über das Sprachwirrwarr: As Shayna Weiss, the associate director of the Schusterman Center for Israel Studies at Brandeis University, has noted, the older characters in Shtisel—Shulem; his misanthropic brother, Nukhem (Sasson Gabai); and his riotously funny mother (Hanna Rieber in the first season and Leah Koenig in the second)—generally speak to one another in Yiddish. The younger characters speak mostly in Hebrew. But even haredi Hebrew is distinct. It includes Yiddish expressions, and many haredim use Ashkenazi (European) pronunciations that differ from the Sephardic (Middle Eastern) pronunciations that are normative in modern Hebrew. If that’s not complicated enough, the characters sometimes employ religious terms drawn from Aramaic.

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Nela Riskin

Die Frauen in Shtisel haben ein interessante Rolle: Sie sind einerseits total unterwürfig, also rein gar nicht emanzipiert im heutigen Sinn, andererseits sind sie „lebenstüchtiger“ als die meisten Männer, was in den Ehen dazu führt, dass sie letztlich bestimmen, wo es langgeht. Ein Paradebeispiel ist Nela Riskin als „Giti Weiss“: Die Frau bzw. ihr Verhalten brachte mich zu Kochen, und ich musste mich selbst immer wieder daran erinnern, dass es nur ihre Rolle war. Die Frauen sind oft „reaktionärer“ als ihre Männer und achten mehr darauf, dass auch die – für uns – lächerlichen Regeln eingehalten werden. Das gilt auch für Shira Haas (die Hautdarstellerin von Unorthodox). Wenn man die fast ausnahmslos sehr schönen Schauspielerinnen „normal“ sieht und dann in ihrer verhuschten Rolle als unattraktive orthodoxe Jüdin, kann man kaum glauben, dass es dieselben Personen sind.

In Deutschland könnte so eine Serie nicht gedreht werden. Hier wäre die Angst viel zu groß, in irgendwelche Fettnäpfchen zu treten oder politisch „inkorrekt“ zu sein. Sieht nicht Sasson Gabai als Nuchem Shtisel aus wie der „ewige Jude“ aus irgendeinem antisemitischen Propagandafilm? Und verhält er sich in seiner misanthropischen feilschenden Geldgier nicht genauso so wie man das aus den gängigen Vorurteilen kennt? Deutsche Filmemacher würden sich das nicht trauen, aber ich wette, dass Ori Elon und Yehonatan Indursky genau wussten, was sie taten. Wahrscheinlich haben sie gegrinst. Ich glaube auch nicht, dass die Serie im deutschen TV zu Prime Time gezeigt werden wird, dazu sind die alle in den Anstalten viel zu feige. Und erst das Frauenbild! Denkt jemand an die Kinder? Und gar nichts gegendert, kein cis, kein trans, kein Quotenneger?? Darf man das überhaupt zeigen?

Die Serie soll jetzt USA adapiert werde. Dadurch kann sie nur schlechter werden – wie schon bei Hatufim und der US-amerikanischen Variante Homeland.

Fazit: Sehenswert, aber um eines höheren Wesens willen nicht synchronisiert!




Nationaler Alleingang beim Kampfbegriff

Wie war das noch gleich? „Der Begriff ‚Vorratsdatenspeicherung‘ sei ein Kampfbegriff ihrer Gegner, weil er suggeriere, dass der Staat Daten auf Vorrat für datenarme Zeiten sammeln wolle“, sagt Günter Krings, Staatsekretär im Innenministerium.

Spiegel online heute: „Die Bundesregierung will in einem nationalen Alleingang die umstrittene Vorratsdatenspeicherung einführen.

Ich sage voraus, dass sie damit wieder eine Klatsche vom Bundesverfassungsgericht einfangen. Die Überwachungs-Lobby ist bekanntlich belehrungsresistent. Sie werden es so lange versuchen, bis es irgendwann klappt. Rationale Argumente sind vergebene Liebesmüh.




CDU erwägt Putsch gegen das Bundesverfassungsgericht

Die CDU will den Putsch gegen das Bundesverfassungsgericht. Laut Rheinischer Post soll Günter Krings, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU, gesagt haben, es sei „zu überlegen, wie wir die Regelungskompetenz vom Verfassungsgericht zurück zum Bundestag bekommen“.

Krings, da weiß man, was man hat und was zusammengehört: „Seit seiner ersten Wahl in den Bundestag 2002 setzt sich Günter Krings als Rechtspolitiker für einen stärkeren Schutz des geistigen Eigentums und eine verbesserte Rechtsdurchsetzung im Internet“ ein. Aber sicher. Ein Lobbyist der Content-Mafia neigt natürlich auch dazu, das Pivateigentum, die heilige Kuh des Kapitalismus, über die Bürgerrechte zu stellen.

Das ist ja eine sehr effiziente Methode. Wenn das Bundesverfassungsgericht wieder mal ein schlampig gemachtes Gesetz in die Tonne tritt oder urteilt, ein Gesetz sei verfassungswidrig, nimmt man dem Gericht einfach die Kompetenz weg, darüber entscheiden zu dürfen. so kann man dann endlich auch die anlasslose Totalüberwachung aller Bürger und andere Dinge durchpeitschen. Ich frage mich, warum Bosbach noch nicht darauf gekommen ist.

Der Krings ist Jurist. Ich frage mich, ob der jemals etwas von Gewaltenteilung gehört hat. Die Formulierung „vom Verfassungsgericht zurück zum Bundestag bekommen“ suggeriert, dass der Bundestag erst dem Bundesverfassungsgericht erlaubt hätte, über bestimmte Dinge zu urteilen. Das ist aber mitnichten so.

Interessant finde ich die Thesen von Udo Hochschild, einem Richter vom Verwaltungsgericht Dresden, dazu:

In Deutschland ist die Justiz fremdbestimmt. Sie wird von einer anderen Staatsgewalt – der Exekutive – gesteuert, an deren Spitze die Regierung steht. Deren Interesse ist primär auf Machterhalt gerichtet. Dieses sachfremde Interesse stellt eine Gefahr für die Unabhängigkeit der Rechtsprechung dar. Richter sind keine Diener der Macht, sondern Diener des Rechts. Deshalb müssen Richter von Machtinteressen frei organisiert sein. In Deutschland sind sie es nicht.

Quod erat demonstrandum.




Darf man Aliens und andere negative Inhalte töten?

Assassin's Creed

Ein neuer Beitrag zum Thema „Unter Irren“: Der CDU-Abgeordnete Uwe Schummer und andere rechtspopulistische Pappnasen fordern ein „Verbot der Herstellung und des Vertriebs von Computerspielen mit negativen Inhalten“. Die Westdeutsche Zeitung berichtet: „Der Willicher Abgeordnete, selbst Mitglied im Kinderschutzbund, sagt: ‚Was im wirklichen Leben verboten ist, muss auch virtuell verboten sein.'“

Deswegen fordert der Templerorden (der Templerorden wurde 1312 vom Papst aufgelöst, die obige Truppe ist eine Art frömmelnder Kostümverein) auch ein Verbot von „negativen Computerspielen“, womit vermutlich nicht nur Assassin’s Creed gemeint ist.

Was im wirklichen Leben verboten ist, muss auch virtuell verboten sein. Aha. Welchen Intelligenzquotienten muss man eigentlich haben, um sich so einen Satz auszudenken? Den vom Internet-Zensur-Fan Krings?

Ist es im wirklichen Leben verboten, Aliens wegzuballern? Oder Avatare? Oder muss ich dazu erst ein Formblatt beim zuständigen Jugendschutzinternetbockwart ausfüllen?

Irgendwie erinnert mich das alles an eine Wortschöpfung aus der DDR: „negativ-dekadente Persönlichkeit.“ Ich denke dabei aber an Uwe Schummer und Konsorten.




Futter für das gesunde Volksempfinden

Na also. Gestern sagte ich telefonisch zu einem Kollegen, es sei noch eine Verschwörungstheorie, wenn man vermute, dass die CDU mit der Justizministerium einen Deal gemachte habe: Die Zensur-Loobby verzichtet auf symbolische Sperren von Websites und Leutheusser-Schnarrenberger leistet im Gegenzug weniger Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung, wobei Letztere sich nach Maßgabe des Wahrheitsministeriums verkleidet und als Worthülse „Anti-Terror-Befugnisse“ daherkommt.

Politik in Deutschland streitet bekanntlich nicht um Inhalte, sonders man schachert um populistische und Bild-Zeitungs-kompatible Sprechblasen. Die darf entweder der total merkbefreite niedersächsische Innenminister Schünemann persönlich vortragen oder sie werden von den Lakaien der Zensur-Lobby bei Focus oder in der Neuen Osnabrücker Zeitung untergebracht. Es ist wie auf einem Beduinenmarkt, nur dass nicht Kamele und Schafe verkauft werden, sondern dass die mit Futter vollgestopft werden, um das gesunde Volksempfinden noch gesunder werden zu lassen.

(By the way: natürlich lautete meine Frage in meinem gestrigen Interview mit Alvar Freude: „Woher kommt der plötzliche Mut der Regierung, sich gegen das gesunde Volksempfinden zu stellen?“ Den LeserInnen der taz kann man Polemik aber nur bis zu einem gewissen Grad zumuten, sonst kommt ihnen das Müsli wieder hoch – deshalb wurde mir das „gesunde“ herausgestrichen.)

Heute schon ist das, was ich gestern sagte, keine Verschwörungstheorie mehr. Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem Schünemann kroch. „‚Einen Verzicht auf Internet-Sperren gegen Kinderpornografie wird es nur geben, wenn gleichzeitig zahlreiche befristete Anti-Terror-Befugnisse der Geheimdienste entfristet werden‘, sagte Fraktionsvize Günter Krings (CDU) der Neuen Osnabrücker Zeitung. Am Mittwochabend hatte Frings bereits den Verzicht auf Internetsperren als als Überlebenshilfe für den Koalitionspartner bezeichnet.“

(Der Titel seiner Dissertation lautet: „Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche – Die subjektiv-rechtliche Rekonstruktion der grundrechtlichen Schutzpflichten und ihre Auswirkung auf die verfassungsrechtliche Fundierung des Verbrauchervertragsrechts.“ Der gute Mann ist also ausgewiesener World-Wide-Web-, Usenet-, IRC-,Telnet-, FTP- und E-Mail-, wenn nicht sogar Internet-Experte und könnte sofort bei Akte ohne Manuskript über den Gebrauch des Internet Explorer oder gar über Word referieren.)

Quod erat demonstrandum. So was könnte sich selbst Kafka nicht ausdenken. Die haben die rechtspopulistische Idee, für die Censursula sich stark gemacht hat, man müsse das World Wide Web zensieren, nur zeitweilig zurückgenommen, damit ein paar geistig Minderbemittelte denken, man könne ja doch die FDP wählen, weil die auch einen Heiner Geissler haben, nur das der eine Frau ist und Leutheusser-Schnarrenberger heißt.




Union fordert: Das Internet muss in Deutschland mehr zensiert werden

In Ägypten wurde die Zensur des Internet gerade wieder abgeschafft. Die CDU will ab März die Zensur des Internet in Deutschland wieder einführen.

Laut Osnabrücker Zeitung (via netzpolitik.org) sagte der so genannte „Unionsexperte“ (was ist das denn?) Günter Krings: „Ich erwarte, dass die Bundesregierung nun Kinderporno-Sperren bei nachgewiesener Erforderlichkeit auch einsetzt – so, wie das Gesetz es vorsieht„.

Der Titel der Doktorarbeit Krings‘ lautet: „Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche – Die subjektiv-rechtliche Rekonstruktion der grundrechtlichen Schutzpflichten und ihre Auswirkung auf die verfassungsrechtliche Fundierung des Verbrauchervertragsrechts“.

„Wieder einführen“ ist nicht korrekt, weil das Internet in Deutschland ohnehin schon zensiert wird. Das größte Problem bei der Diskussion ist, dass die Medien sich fast ausnahmslos die Sprachregelungen der Zensur-Lobby aufschwatzen lassen. Sogar die c’t spricht von „Kinderporno-Sperren“.

Darum geht es aber überhaupt nicht – niemandem würde es einfallen, die Internet-Zensur in China als „Falung-Gong-Sperren“ zu benennen. Zensur machen nur die anderen, so sagt das deutsche Wahrheitsministerium, bei uns heisst das [Das-Ultimative-Böse]-Sperren. Was die Union will, ist ganz einfach: Das Internet muss in Deutschland mehr zensiert werden.

Werden wir diese Schlagzeile in irgendeinem Holzmedium in Deutschland lesen? Nein, garantiert nicht. Die verstehen unter „Journalismus“, „Krieg“ als „friedenserzwingende Maßnahmen“ zu bezeichnen oder „Internet-Zensur“ als „ZugErschwG„.