Jaxa am Schildhorn und mehr

Havel

Leider muss ich wieder etwas zusammenpaddeln mixen, was gar nicht zusammengehört – die Weltläufte mit Leibesübungen, die slawischen Urgesellschaft mit dem Bundesverfassungsgericht, himmelblaue Bikinis mit Hevellern, gepflegtes Bier mit Gendersprache. Die Leser seien gewarnt.

Morgens um neun ist die Havel noch in Ordnung, das heißt ohne heulende Motorboote mit ebenso bekloppten Männern, die keinen mehr hoch kriegen Lärm mit Erektionen verwechseln, oder Jugendliche, die auf dem Wasser mit merkwürdigen, aber dennoch schwimmenden Flößen Wasserfahrzeugen Party machen, nicht ohne die Um- und Mitwelt mit Techno-Mucke der allerekelhaftesten Sorte zu belästigen, dafür aber um so lauter.

Havel

Ich paddelte friedlich vor mich hin, nicht ohne einen heimlichen Plan im Kopf zu haben, wohin es gehen schwimmen sollte. ⊗Leibesübungen

Da dümpelte mir, obzwar angeankert, beim DLRG und dessen Wasserrettungsstation (die offenbar so geheim ist, dass Google Maps sie gar nicht anzeigt), ein Nachen entgegen, der auf den Namen Horst Friedrich getauft worden war (liebe Studenten: Das war ein Plusquamperfekt, also in etwa vergleichbar mit „mein rosa Smartphone war schon kaputtgegangen, bevor ich auf Tik Tok Blödsinn posten konnte“).

Die Wasserwacht ist erfreulicherweise noch nicht divers umgerubelt worden. Horst Friedrich? Warum nicht Mandy Hengameh? Ist doch auch ein schöner Bootsname. (MDR: Eine deutliche Mehrheit lehnt Gendern in jeder Form ab.) ⊗Gendersprache

Havel

Zu dem Plan: Wie aus Propellerflugzeugsicht Drohnensicht unschwer zu erkennen, liegt westlich der Havel der Sacrower See und Königswald.
Am Ufer des südlichen Lehnitzsees als nördliche Fortsetzung des Jungfernsees befindet sich zwischen Sacrow und Krampnitz das hoch aufragende Bodendenkmal einer ehemaligen Wallanlage, der sog. Römerschanze oder dem sog. Königswall.

„Die Bezeichnung Römerschanze ist irreführend. Sie wurde nie von einem Römer betreten.“ O du Wikipedia, woher willst du das wissen? Immerhin sind die Römer mindestens bis an die Elbe gekommen.

„Es ist wohl unzweifelhaft ein alter Camp, ein wendischer Lager- oder Verteidigungsplatz aus jenem Jahrhundert her, wo sich Christen- und Heidentum hier bekämpften.“ O du mein Theodor Fontane, woher willst du das wissen? (Theodor Fontane: Fahrland)

Schon auf der To-Do Liste, auch wenn hier die Lausitzer der Bronzezeit gesessen haben mögen oder die Wandalischen oder auf jeden Fall die slawischen Wilzen. (O wie peinlich und o ihr Heveller, über die Slawen in Berlin weiß ich auswendig so gut wie gar nichts.) ⊗Heveller

Ich war scharf auf den suchte also den Schiffgraben, über den man noch 1929 in den Sacrower See gelangte. Hätte ich mich vorab in neueren Quellen informiert, wäre mir bekannt gewesen, dass der See schreit, dass der künstliche Graben so verschlammt ist, dass noch nicht einmal genug Wasser für den See hindurchkommt.

Das obige Foto zeigt den „Eingang“ – kein Loch, nirgends. Eine superschöne MILF Blondine in einem himmelblauen Bikini hatte unweit meiner Paddel ihren supergeformten Allerwertesten auf das Heck eines superteuren Motorboots platziert, ließ ihre superlangen Beine elegant ins Wasser baumeln, las ein vermutlich superspannendes Buch, und gab auf meine superfreundliche Frage, ob ein Durchkommen zum See sei, die superfreundliche Antwort: „nein“. Zu mehr Konversation reichte es nicht, da ich jeden Moment mit dem Auftauchen eines superwaschbrettbäuchigen Ehemannes rechnete, mit dessen supergoldenen Kreditkarte ich ohnehin nicht konkurrieren vermochte. ⊗himmelblaue Bikinis.

Havel

By the way: Ich habe noch nie so hohe Wellen auf der Havel gesehen, obwohl kaum eine Wolke am Himmel war. Eine steife Brise vom Feinsten, die mir manchmal das Wasser ins Boot schlagen ließ. Wo sich der Wannsee in die Havel ergießt, treibt einen die Strömung irgendwo hin und zurück, und man muss richtig ackern, um in der „Bahn“ zu bleiben. In der Nähe der Pfaueninsel sah ich von fern einen gefühlt 100 Meter langen motorisierten Treidelkahn (Foto oben), der mit Müll beladen und der in Richtung Hafen Spandau unterwegs war. Auch die Fähre Wannsee-Kladow begegnete mir, ohne mich umzufahren.

Havel

Treten Wind und Wasser und Sonne gleichzeitig auf, kann man in Berlin (West) damit rechnen, dass alles segelt, was segeln kann und alles, was Segel hat, auf der Havel ist. Ich begrüßte es sehr, schon kurz noch Mittag auf dem Rückweg zu sein, denn mir kamen unzählige Schiffe entgegen, mit erfahrenen Steuerleuten und auch welchen, denen ich zutraute, mich unter Wasser gedrückt zu haben, wäre ich nicht per Muskelkraft a priori weit ausgewichen. Bei den Wellen und nach schon fünf Stunden Paddelei muss man mit den Kräften haushalten, zumal ich noch nicht wirklich so fit wie vor zwei Jahren bin, als ich nach neun Stunden noch nicht einmal Muskelkater bekam.

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Ich bin schon oft am Schildhorn vorbeigepaddelt, ohne mir Gedanken über die Sage zu machen, die jeder Preußenromantiker (vgl. das Denkmal auf dem Foto unten) vermutlich kennt.

Grot Wendenfürst, dorch Dine Mut
Es hier dat Denkmal obgebut,
doch hite geft kin Fersten mehr,
De drever swemmt mit Schild und Speer.

Die Rede ist vom slawischen Warlord Jacza von Köpenick (auch Jaxa oder Jaksa von Miechów). „Slawisch“ ist so eine Sache: Gern berufen sich Nationalisten heutiger Couleur auf vermeintliche Vorfahren, um ihre aktuellen Herrschaftsansprüche möglichst weit in die Vergangenheit zu prolongieren (nein, hier und heute keine einfache Sprache, nur über meine Leiche). Berlin war also mal slawisch. So what? Königsberg war auch mal preußisch. Und das heutige Polen hat mit Jacza so viel zu tun wie Kaiser Nero mit dem Lord of All the Beasts of the Earth and Fishes of the Seas and Conqueror of the British Empire in Africa in General and Uganda in Particular.

Jacza regierte Köpenick ungefähr zu der Zeit, als das Nibelungenlied gedichtet wurde, tiefster (oder höchster) Feudalismus also. Auch in der so genannten Spätantike gab es slawisch sprechende Völker in, um und um Berlin herum. Sie siedelten dort, wo sich die Germanen im Zuge der Völkerwanderung nach Süden aus dem Staub gemacht hatten.

Schildhorn Jaxa

Apropos: Wenn man sich da reinliest, wird es interessant: „Völker“, die noch im Stadium der Urgesellschaft sind, also Bauern ohne etablierte Klassenstruktur, aber mit Ansätzen einer Krieger-Elite, wehren sich dagegen, dass Warlords aus dem Westen sie unterjochen wollen. Das zu der Zeit, als sich in Zentraleuropa der Feudalismus schon etabliert hatte. Aber hallo, die Abodriten haben sogar Hamburg geplündert! Heute würde man „Kolonialkrieg“ sagen. ⊗Urgesellschaft

altstadt Spandauburks

Da ich mit dem Niu unterwegs war, machte ich noch einen Abstecher zur Altstadt Spandau und zum Kolk, welchselbigen ich noch aus der Zeit kannte, als ich mir das Geld mit Taxifahren erarbeitete (und in Südamerika wieder verballerte). Und dann – ziemlich platt, muss ich zugeben – gönnte ich mir noch ein Mahl und ein kühles Bier am Richardplatz, dort, wo man nur bar bezahlen kann – ein hübscher Anachronismus, und Chinesen kommen da eh nicht hin. ⊗kühles Bier

Su Nuraghe

By the way. Ich bin anderer Ansicht als Fefe. Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde abgelehnt, die sich mit der gesetzlichen Befugnis des Staates befaßte, die Bürger virtuell auszuspionieren („staatliche Nutzung von IT-Sicherheitslücken“). Ich habe das Urteil gelesen. Wie üblich, ist der Text juristischer Jargon vom Feinsten und verschachtelt wie Doktor Faustus. Aber das Gericht urteilte – wie ich das nicht anders erwartete – nur über Formalia und mitnichten über das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. Sehr oft kommt vor: „die Beschwerdeführenden haben nicht hinreichend dargelegt“, was immer heißt: Drückt Euch gefälligst präzise aus und argumentiert logisch. ⊗Bundesverfassungsgericht

Habe ich was vergessen?