Der Imam ist es nie oder: Die Klassenfrage im „Tatort“

tatort

Beim Abendessen habe ich mir jeweils einen „Tatort“ per Laptop zu Gemüte geführt. Meine wenigen Vorlieben beschränken sich – inklusive Polizeiruf 110 – auf Dortmund (wegen Jörg Hartmann alias Peter Faber), Rostock (wegen Charly Hübner alias Alexander Bukow), Köln und Münster (eigene Kategorie).

Wenn man die Websites der Anstalten öffnet, schwappen einem, neben unsäglichem Quatsch in großer Anzahl, jede Menge Krimis entgegen. Man soll nachzählen, wieviele Tote es fiktiv täglich gibt – mehr als in der Realität auf jeden Fall. Offenbar will das Publikum so etwas.

Kriminalfilme sind pure Pädagogik, also gut gemeint. Das Böse darf nicht siegen. Zum Klassenkampf darf auch nicht aufgerufen werden, zu allem anderen schon. Der Krimi stellt auch nicht die Systemfrage, zumindest nicht im deutschen Fernsehen, weil man sich dann Gedanken machen müsste, was nach dem Kapitalismus kommen könnte. Der Rahmen des Plots ist also eng und vorgegeben.

Ich war bei den beiden obigen „Tatorten“ jedoch überrascht, dass die Klassenfrage, wenn auch nur indirekt, unübersehbar durchschimmerte. Bei Borowski und das Glück der Anderen geht es um einen Mord „von unten nach oben“. Die Mittelschicht bringt sich also, was die Regel ist, nicht gegenseitig um, sondern jemand, der „die da unten“ verachtet und das auch ausspricht, kriegt seine gerechte Strafe muss daran glauben. Ein Rezensent macht daraus „Vorstadtfrust“. Ich sehe da mehr. Was, wenn alle plötzlich meinten, sie müssten jetzt ein Stück vom Kuchen abkriegen und ganz richtig merken, dass das mit Fleiß und Arbeit nicht zu schaffen ist in diesem System?

Der Dortmunder „Tatort“ Heile Welt ist noch besser, allerdings kommt am Schluss die von den Anstalten gewünschte Weltsicht und Moral mit dem Holzhammer. Nicht der Plot ist außergewöhnlich, sondern die Rolle der Kommissarin Anna Schudt alias Martina Bönisch, die plötzlich und unfreiwillig zwischen allen Fronten steht. Die Bilder erinnerten mich an eine hier schon erwähnte Seminararbeit während meines Studiums:

revolution

Was ist, wenn Riots und Randale ausbrechen und man mittendrin ist? Kann man etwas Vernünftiges tun? Werden diejenigen obsiegen, die auch das Richtige denken? Nein, werden sie nicht. Die Revolutionäre werden am Ende von denjenigen weggefegt, die im Hintergrund gewartet haben, wer gewinnt und sich dann auf die richtige Seite geschlagen haben. Die Revolution frisst immer ihre Kinder.

Ich kann mich erinnern, dass „meine“ K-Gruppe sich immer minutiös, strategisch, taktisch, inhaltlich auf studentische Vollversammlungen (wir sagten: VauVaus) vorbereitete, und immer stand dann jemand auf, meistens eine charismatische Frau, die vorgab, zu keiner Gruppe zu gehören, und die dann unter dem Jubel der Massen eine meistens von uns unerwünschte Richtung vorgab.

Ich glaube, der alte Friedrich Engels hat komplett recht. Wogt die Masse erst hin und her, kann man das kaum steuern.

Man müsste sich trauen, ein anarchisches Drehbuch zu verfassen. Im deutschen Fernsehen sind die Rollen mehr oder minder vorgeben, wenn auch nur im Entferntesten Einwanderer oder der Islam im Hintergrund lauern. Ein Imam darf reaktionär, streng, bekloppt sein, aber nie der Täter. Wenn das doch so wäre, gäbe es Randale. Und ich ginge dann solange, je nach Jahreszeit, paddeln oder Käsekuchen backen, und guckte mir viel später und vergnügt das Ergebnis an.

tatort