Arminius turbator Germaniae

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M(arco) Caelio T(iti) f(ilio) Lem(onia tribu) Bon(onia)
[I] o(rdini) leg(ionis) XIIX ann(orum) LIII s(emissis)
[ce]cidit bello Variano ossa
[i]nferre licebit P(ublius) Caelius T(iti) f(ilius)
Lem(onia tribu) frater fecit

Barbaren“ auf Netflix ist eine Seifenoper in pseudohistorischen Kostümen und (für mich) nicht sehr spannend. Sechs Folgen à 50 Minuten. „Gucken Sie das bloß nicht“ sage ich jedoch nicht. Ich habe immer gern Historien-Schinken konsumiert, wenn sie nicht allzu albern waren.

Das ist kein Vorwurf an die Macher Barbara Eder und Steve Saint Leger. Niemand hat behauptet, dass es sich um ein Dokumentarfilm handele, genausowenig wie Pearl Habor einer ist. Fantasy ist es aber auch nicht – es fehlen die Drachen und die Quoten-NegerAfrogermanen, die man heutzutage bei Massenware erwarten muss. Sex habe ich bisher nicht viel gesehen, auch kein Lotterleben der Römer.

Gewalt: Klar, das macht den Reiz aus, aber wirklich grausam ist „Barbaren“ nicht, sondern eher kindertauglich. Gut, ein bisschen weniger kindertauglicher als die Schlägereien von Bud Spencer, eher in Richtung 300, wo man zwar Blut spritzen sieht, aber keine Eingeweide.

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Arminius turbator Germaniae, Segestes parari rebellionem saepe alias et supremo convivio, post quod in arma itum, aperuit suasitque Varo, ut se et Arminium et ceteros proceres vinciret: nihil ausuram plebem principibus amotis; atque ipsi tempus fore, quo crimina et innoxios discerneret.

Die gute Nachricht: Das Thema – der Krieg der Römer gegen die „Germanen und die so genannte Varusschlacht ist spannend, leider aber schon historisch vergiftet, weil durch den deutschen Nationalismus in der Geschichte bis zur Unkenntlichkeit verfremdet. Andererseits gibt es kaum verlässliche und authentische Quellen. Tacitus schrieb seine Annalen ein Jahrhundert nach den Ereignissen, sein Werk ist so historisch „korrekt“, als schilderte ich ich Ersten Weltkrieg und hätte nur den Großen Brockhaus und Ernst Jünger als Quellen.

Alle Rezensenten erwähnen selbstredend, dass die Römer in „Barbaren“ Lateinisch mit starkem italienischen Akzent sprechen. Warum sprechen aber die „Germanen“ dann nicht Althochdeutsch? Einer der Autoren sagt: „Wir wollten so verstärken, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer die germanischen Stämme, und nicht — wie sonst — die Römer sympathischer finden. Das ist ein klares Alleinstellungsmerkmal der Show. Wir möchten die Geschichte aus Sicht der „Barbaren“ erzählen — deshalb heißt die Serie ja auch so.“

Das ist natürlich Quatsch. Die Sprache der Darsteller klingt wie eine Mischung aus Schulhofdeutsch und manchmal Österreichisch, man erwartet fast schon Pseudo-Jugendsprache wie „klar, Alter!“ oder „Voll krass die Römer!“ (Ich glaube nicht, dass die Cherusker an Wort „Arschloch“ kannten.) Die FAZ stellt zu Recht fest: „Wer „Vikings“ oder „Game of Thrones“ schätzt, wird sich hier nicht fremd fühlen, aber wohl über die schlichte Dramaturgie und die noch viel schlichteren Dialoge seufzen.“

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Arminium super insitam violentiam rapta uxor, subiectus servitio uxoris uterus vaecordem agebant; volitabatque per Cheruscos arma in Segestem, arma in Caesarem poscens.

Ich halte es ohnehin für unmöglich, einen Film zu machen, der das römische Weltreich oder die tribalistische organisierten Bauernn und die Warlords der „Germanen“ auch nur annähernd authentisch beschreibt – bis auf die Kleidung. Immerhin sind die Netflix-Germanen nicht immer ungekämmte Langhaarige wie in den meisten Filmen, was historisch nicht korrekt ist, sondern man sieht sogar manchmal den Suebenknoten. Bis jetzt wurde ich auch nicht mit Rasta-Look oder lächerliche Hipster-Seitenscheitel-Rasuren wie in „Vikings“ gequält. Aber darauf kommt es nicht wirklich an. Man sollte nicht vergessen, dass alle Reaktionen, Gefühle, Ideen historisch gewachsen sind, über Jahrhunderte. Den „Gefühlshaushalt“ eines Menschen in „Germanien“ vor zwei Jahrtausenden kann man nicht nachvollziehen. Es fehlte zum Beispiel jegliche Affektkontrolle im heutigen Sinn. Über die Motive des Handelns sollte man daher nicht spekulieren. Die „psychologischen“ Gründe des Arminius, wie sie „Barbaren“ konstruiert, sind schlicht Fantasy.

Die Figur des Segestes finde ich am Interessantesten. Mich wundert nicht, dass er der „Bösewicht“ spielen muss, mit dem man sich nicht identifiziert. Vermutlich ist das aber grundfalsch – als erklärte man den Hagen von Tronje im Nibelungenlied zum bad guy. Das ist er auch nicht, sondern genau das Gegenteil – die damalige Moral der herrschenden Feudalklasse zum Maßstab genommen. Segestes war vermutlich ein Opportunist, der aber die Situation mit klarem Verstand sah (wenn man sich das Ergebnis seines Tuns ansieht) und der demgemäß – zu seinem eigenen Vorteil natürlich – handelte. Ich sehe eher wie Hegel im Römischen Weltreich den Weltgeist, also den „Fortschritt“, ungeachtet der unstrittigen Tatsache, dass die römischen Legionen in Germanien permanent Massen- und Völkermord begingen. Die Germanen hätten das auch getan, hätten sie die technischen Mittel dazu gehabt.

Segestes ist ein Vertreter der sich formenden herrschenden Klasse der ursprünglichen germanischen Stammesgesellschaft. Die Konflikte, die sich daraus ergeben, sind spannend. Was wäre aus den Germanen geworden, wenn die Römer das Land bis zur Elbe besetzt hätten? Wären öffentliche Bäder und Fußbodenheizungen, die es zur damaligen Zeit schon im heutigen Syrien gab, zum Standard geworden? Oder umgekehrt? Wenn die Römer Germanien gar nicht interessiert hätte?

Ach, jetzt habe ich die Frauen vergessen. Ich bin aber ein Kerl und kann mich mit Frauen in Filmen ohnehin nicht identifizieren.