Tȟatȟáŋka Íyotake oder: #redlivesmatter

sitting Bull

Heute (oder gestern) vor 139 Jahren, am 20. Juli 1881, kapitulierte Sitting Bull, der Anführer der Sioux, mit einer Handvoll Gefährten in North Dakota vor der US-Armee.

Sitting Bull war Häuptling und Schamane der HunkpapaLakotaSioux. Als vor allem spiritueller Anführer leistete er jahrelangen Widerstand gegen die US-amerikanische Regierungspolitik.

After the Battle of Little Big Horn, Sitting Bull led his people north to Canada, remaining there until 1881. By the time of his return, the railroad was close to completion; the containment of Indians on their reservations was ongoing; random raids and massacres of various bands that attempted to move to traditional hunting lands had become a feature of Indian life. And well underway was the systematic starvation of the Sioux through the U.S. government’s „Buffalo Harvest“ program.

The buffalo, essential to the survival of the Sioux way of life, were being eradicated from the prairies. Hunters were paid a bounty to kill as many as possible. Huge mountains of buffalo skulls were common features on the prairies of the Dakotas and Montana. The purpose of this program was described by an army officer to reporter John F. Finerty: “Better [to] kill the buffalo than have him feed the Sioux.” The intention was not only to break the spirit of the Sioux Nation but also to force Indians to subsist on handouts from the government.

And it worked. Sitting Bull, on his return to Montana, watched 300 of his tribespeople starve to death during the winter of 1883 at Fort Peck. Neither the medical treatment nor food rations promised by the government were available to prevent this.(GRIID)

1883 soll er zum katholischen Christentum konvertiert sein, blieb jedoch nach Bericht seiner Freundin Mary Collins (1846–1920) ein glühender Gegner der Kirche. [Sympathischer Kerl!]

Ein Mix seiner Worte gibt es auch gesungen. Da das Dokument Sitting Bull speaking to the U.S. Secretary of War & Secretary of the Interior, as recorded by the Northwest Mounted Police, Fort Walsh, Saskatchewan, Canada p. 9 (18 October 1877) auf Wikipedia nicht mehr gibt, habe ich es hier online gestellt.

1890 wurde Sitting Bull von Indianerpolizisten bei einer versuchten Verhaftung erschossen.




Digitale linke Spießer

Jan Freyn in Zeit online: „Die heutige Linke wacht mit polizeilichem Blick über Diskurshecken und leugnet die eigene Macht, um ungestört moralisieren zu können. Das hilft weder ihr noch anderen.“

„…wird unsere Zeit zunehmend und in nicht unerheblichem Maße von „linken“ Gestalten geprägt, die alle genannten Momente in sich bündeln: einen Hang zu Konformität, krasser Komplexitätsreduktion und moralistischer Dogmatik.“

Nehmt dies, Identitäre, Vielfältige und GendersprecherI*_:Innen! Ihr seid nicht links!




Collection Builder

Der Schockwellenreiter wies auf den Collection Builder hin, ein Tool, das zum Beispiel ideal wäre für meine Dokumentensammlung (von Texten über Fotos bis hin zu Videos) zur Familiengeschichte. Leider ist die stand alone-Version noch under construction. Wenn das jemand schon nutzt: Ich bin für Tipps dankbar.




Ambulantes Comida

Quito

Fotografiert in Quito, Ecuador, November 1979, vermutlich ungefähr hier am Bulevard 24 de Mayo. Damals standen dort fliegende Händler und verkauften warme Mahlzeiten.

Ich habe lange gesucht, um die Herberge wiederzufinden, in der ich damals war und die mir aufgrund der Atmosphäre gut gefallen hatte.

Damals hieß sie Gran Casino, heute heisst sie Hostel Rebel an der Gacía Moreno, fast an der Ecke Ambato. Quito fand ich aussergewöhnlich interessant, aber mit den Details will ich die Leserschaft nicht langweilen, sonst beschwert sich wieder jemand.

Das Gran Casino war ein Treffpunkt und Geheimtipp für echte Globetrotter, wo man auch Leute traf, die Informationen weitergaben. Für die Nachgeborenen: Es gab kein Internet, keine richtigen Reiseführer für Rucksacktouristen ausser dem Velbinger, der aber nicht wirklich hilfreich war. Man musste in Kontakt kommen mit Leuten, und dafür war dieses „Hotel“ gut, und ebenso die Spelunke darin, wo man sich abends traf.

gran casino
Source: South Amerika Handbook, Ende der 70-er




Über die Streuobstwiese

RixdorfRixdorfRixdorf

Touristen kommen hier eigentlich nie hin. Wir sind mitten in Berlin-Neukölln, im alten Rixdorf. Der öffentliche Weg führt vom Richardplatz zur Böhmischen Strasse. [Andere Perspektive für das erste Foto]

Man überquert die hier schon vor fast zehn Jahren erwähnte Streuobstwiese. Ich habe natürlich so fotografiert, dass der ultrahässliche Neubauklotz, den irgendein mental verwirrter Architekt samt Parkplatz daneben geknallt hat, nicht zu sehen ist.




Im Vorbeiflug

ISS

Ich finde es immer noch faszinierend. Erstens gibt es eine App, die die Internationale Raumstation zeigt, und zweitens, dass man die auch noch im Vorbeiflug mit einem Smartphone fotografieren kann, immerhin als dahinrasenden Lichtpunkt mitten im Großstadt-Nachthimmel.

Dazu passt thematisch die App SkyView.




Kinkerlitzchen und Vorschau, dem Kulturpessimismus entgegenwirkend

komturstrasse

Eine Stimme aus dem Publikum beklagte sich bitterlich, ich postete nur noch Reiseberichte und pöbelte herum, das Niveau sei im allgemeinen und besonderen, analog zu den Weltläuften, den Sitten und der Moral, gesunken. Es liegt mir selbstredend nichts ferner, als die wohlwollenden Leser und geneigten Leser zu enttäuschen, dass diese sich, was ein höheres Wesen verhüte möge, womöglich anderen Dingen zuwenden anstatt hier die virtuellen Seiten zu blättern browsen.

Daher sei kurz angemerkt, dass ich viel zu tun habe, unter anderem Arztbesuche wegen altersbedingter Kinkerlitzchen, dabei Wartezimmer kennenlernte, die sich doch erheblich von meiner Erfahrung in der Notaufnahme unterschieden und mich bass vor Staunen in einen komfortablen Sessel sinken ließen, ohne dass ich auch nur irgendeinen Hijab und die dazugehörenen lärmenden, weil antiautoritär vielleicht muslimisch erzogenen Jungen oder gar mental irregeleiteten Psychos vermisste hätte, aber parallel dazu kubikmeterweise Literatur in mich hineinschaufele, um meinen Plan, den Feudalismus an sich – und damit leider auch alle anderen Epochen der Weltgeschichte – hinreichend zu beschreiben.

wartezimmer

Ich hatte hier schon bemerkt, dass ich „Die vorkapitalistischen Produktionsweisen“ erneut exzerpiert habe und das Fazit hier mitteilen werde, eines der vielen Puzzle-Teile. Rudi Dutschkes „Versuch, Lenin auf die Füße zu stellen“ hatte ich ebenfalls schon in den 70-ern gelesen und tat es jetzt noch einmal. Wilhelm Backhaus‘ „Marx, Engels und die Sklaverei: zur ökonomischen Problematik der Unfreiheit“ war im Gegensatz zu Dutsche ergiebiger und wird in Form eines weiteres Exzerptes hier in Kürze vorgestellt werden.

aberlour

Äusserst interessant zum Thema ist Erich Pilz: „Zur neuesten Debatte über die Asiatische Produktionsweise in der Volksrepublik China“. „Neueste“ bedeutet leider, dass er die Diskussion der 80-er Jahre referiert.

Wesentlich informativer ist Ellen Meiksins Wood: „Der Ursprung des Kapitalismus“, welchselbiges ich noch nicht ganz durchgelesen habe, was aber wohl den aktuellen Stand der marxistischen Forschung – außer in China – wiedergibt.

By the way, zum Wiederholen und Weitersagen: „Der Kapitalismus unterscheidet sich von anderen Gesellschaftsformen, weil die Produzenten für den Zugang zu den Produktionsmitteln vom Markt abhängig sind (im Unterschied etwa zu Bauern, denen das Land unmittelbar und nicht über den Markt vermittelt gehört); während die Aneigner sich nicht auf eine „außerökonomische“ Aneignungsgewalt durch unmittelbaren Zwang stützen können wie etwa das Militär und eine politische und rechtliche Macht, die es feudalen Grundherren ermöglicht, Mehrarbeit aus Bauern herauszuziehen -, sondern von den rein „ökonomischen“ Mechanismen des Marktes abhängig bleiben müssen. Dieses besondere System der Abhängigkeit vom Markt bedeutet, dass die Erfordernisse der Konkurrenz und der Profitmaximierung die grundlegenden Regeln des Lebens sind. Aufgrund dieser Regeln ist der Kapitalismus ein System, das auf einzigartige Weise dazu getrieben ist, die Produktivität der Arbeit durch technische Mittel zu erhöhen.“ (Wood)

Wie gesagt: Seid gewarnt vor dem, was noch alles auf euch zukommt.

chillen

Noch ein Lied, das Chillen begleitend?

Ich lasse mir meinen Körper schwarz bepinseln, schwarz bepinseln
Und fahre nach den Fidschi-Inseln, nach den Fidschi-Inseln
Dort ist noch alles pardiesisch neu
Ach, wie ich mich freu!
Ach, wie ich mich freu!
Ich trage nur ein Feigenblatt mit Muscheln, Muscheln, Muscheln
Und gehe mit ’ner Fidschipuppe kuscheln, kuscheln, kuscheln
Von Bambus richte ich mir eine Klitsche ein
Ich bin ein Fidsche, will ein Fidsche sein.

(1931, Willy Fritsch hat das Lied gesungen, Friedrich Hollaender schrieb die Musik. Der Text ist von Robert Liebmann. Muss man alles verbieten, sowas.




Mehr Sand ins Getriebe!

datenschutz

– Die Möglichkeiten des Staates, zur Strafverfolgung oder Terrorabwehr auf persönliche Daten von Handy- und Internetnutzern zuzugreifen, sind verfassungswidrig. Laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist die Eingriffsschwelle nicht verhältnismäßig geregelt.

DerEuGH kippt die EU-US-Datenschutzvereinbarung „Privacy Shield“. – „Mit einem lange erwarteten Urteil hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag den transatlantischen „Privacy Shield“ und damit eine der wichtigen Rechtsgrundlagen für den Transfer personenbezogener Daten europäischer Bürger in die USA für nichtig erklärt. Grund dafür sind in den Vereinigten Staaten bestehende Gesetze, die Sicherheitsbehörden weitreichende Befugnisse zur Überwachung „ausländischer Kommunikation“ in die Hand geben.“




Kalbitz und die Folgen für die journalistische Vereinsmeierei in Berlin

Berliner Zeitung: „Wie das Kalbitz-Interview des RBB den DJV Berlin JVBB entzweite. Erst elf Tage nach Ausstrahlung des umstrittenen RBB-Sommerinterviews mit Andreas Kalbitz äußert sich der Journalistenverband zu dem Vorgang. Dessen Vorsitzender steht nicht hinter dem Schreiben. (…)

Auf Anfrage sagt Walter, er halte es für falsch, von Einschätzungen des Verfassungsschutzes abhängig zu machen, wen man interviewen dürfe. (…)

Dass im Streit um das Kalbitz-Interview alte Rivalitäten zwischen den einst konkurrierenden Verbänden aufgebrochen sein könnten, mag Walther nicht erkennen“.

Zu Erkennen mögen? Ist das Deutsch oder ein mir bisher unbekannter Jargon? Ich mag gar nicht darüber nachdenken.




Dorfstrasse und eine Hochzeit

cabanaconde

Ein Nachtrag zu Cabanaconde, damals noch ein winziges Bauerndorf, eine Tagesreise nördlich von Arequipa, in den peruanischen Anden (1984). Mehr Fotos im April 2011: „Valle de Colca“.

Aus meinem Reisetagebuch, 24. März 1894, Juliaca:
Mit der Fahrt nach Cabanaconde fing die Reise erst richtig an, obwohl wir schon rund einen Monat unterwegs sind, nicht vom Gefühl her, sondern von der Intensität der Eindrücke. Wenn es nicht regnen würde, wäre alles vielleicht schöner und angenehmer, aber die Stimmung ist irgendwie authentischer.

Unser Hotelzimmer [in Juliaca], in einem ehemals großzügigen und vornehmen Hotel am Hauptplatz, jetzt total abgewrackt und baufällig. Die Wasserleitungen laufen außen an den Fluren entlang, die Waschbecken sind undicht, eine Glühbirne an der Decke beleuchtet unsere Wäscheleine und die Strümpfe daran, ein Schrank, dessen eine Tür abgebrochen ist und außen vorlehnt, die beiden Fensterflügel zur Plaza sind mit Latten von innen vernagelt – wohl weil der Balkon nicht sicher ist, feuchte Fußbodenbretter, überall ist der Putz heruntergefallen, und wir meditieren darüber, wie man mit den einfachsten Mitteln oder sogar nur mit gutem Willen vieles reparieren könnte.

Von Arequipa aus geht die Fahrt erst Richtung Küste durch endlose Steinwüsten. Wieder rollen von links die grauen Wanderdünen Richtung Straße, die ihr vorläufiges Ende bedeutet. Irgendwann biegt die Route nach Norden ab. Einige Bewässerungskanäle sorgen für ein bisschen Vegetation. Was könnten die Leute alles mit der Nutzung von Sonnenenergie anfangen!

Die Schotterstraße führt durch Sandwüste, wir bleiben einmal im Sand stecken. Ein irrer Gegensatz: Wenig später schraubt sich die Straße in endlosen Serpentinen bis in eine so hohe Zone hinauf, dass der Nebel alles bedeckt.

Wir passieren Huambo [3332 m], wo zum ersten Mal ein „Andendorf“ auftaucht. Die Leute starren uns an, schrecklich ärmlich, die Frauen in Tracht, aber der Eindruck ist noch wie im Zoo – so ein Widerspruch zu Arequipa.

Spät in der Nacht kommen wir nach einer haarsträubenden Fahrt an Abgründen entlang in strömendem Regen an. Der Nebel ist so dicht, dass man die andere Seite der Plaza [von Cabanaconde] nicht erkennen kann. Taschenlampen irren durch die Gegend. Das Wasser rauscht in Bächen überall entlang.

Es gibt nur ein alojamiento, mit Schlafsaal, das als die Unterkunft mit dem fürchterlichsten Klo in die Reiseannalen eingehen wird. In einem höhlenartigen „Restaurant“ gibt es noch ein cena, und wir kommen nicht darum herum, noch eine drittes „Abendessen“ für den Hotelchico [Der Junge, der in der Nacht der „Manager“ war] auszugeben. Der chico ist total nervig, folgt uns auf Schritt und Tritt und will mehr Geld. Wir trinken im Dunkeln auf der Plaza noch einen Kakao im Stehen und quatschen mit den Frauen dort.

Zum Klo muss man zehn Meter durch einen total verschlammten Hof. Das baño besteht aus eine windschiefen Hütte, überall steht Gerümpel herum, der Fußboden ein Matsch, das Klo nur ein runder Hohlstein mit einem hölzernen Deckel, natürlich total vollgeschissen. Keiner von uns beiden schafft es in den drei Tagen, sich richtig zu erleichtern. Das „Hotel“ besteht aus mehreren Lehmziegelhütten, teilweise mit Wellblech oder Stroh gedeckt, wie die meisten Häuser des Ortes. Die Leute kochen im Hof, mitten im Müll, in einem rußigen Top, daneben liegt ein blutiges Schaffell. Im ganzen Ort gibt es kein elektrisches Licht.

Trotz der Unannehmlichkeiten merkt man, dass Cabanaconde für viele Dörfer in der Sierra repräsentativ ist, für die traurigen, resignative Stimmung. Nur einige Frauen verändern das Bild zum Positiven. Die meisten tragen Tracht: Sandalen, lange Röcke, einige dunkelblau mit bestickten Säumen, ein Hemd, darüber eine reich verzierte Weste, ein Wickeltuch um die Hüfte, was seitwärts herunterhängt, und eine Decke zum Umhängen, zwei oder mehr Zöpfe und einen bestickten Hut.

Einige Frauen sehen recht selbstbewusst aus, und fotografieren geht leider nicht. Die Männer sind kaum zu sehen, aber einige Betrunkene bevölkern tagsüber die Plaza. Ab und zu treiben Bauern ihre Schafe und Ziegen durch den Ort. Ihre Kleidung besteht oft nur aus Fetzen.

Frühstück: Eine Tasse Kaffee und ein Brötchen. Am ersten Morgen wachen wir auf und sehen einen riesigen schneebedeckten Sechstausender [den Hualca Hualca] – ein atemberaubender Anblick. Die Dorfstraßen sind so eng, dass bis auf eine [vgl. Foto ganz oben] kein Auto durchkäme, in der Mitte ein Ablauf, ansonsten mit dicken Steinen teilweise „gepflastert“. Von oberhalb des Ortes kann man sehen, dass in einigen Teilen viele Häuser verlassen sind.

Am Nachmittag geraten wir in eine Hochzeit: Man winkt uns hinein. Ungefähr ein Dutzend Leute in Tracht, behängt mit Früchten, vor allem Zwiebeln, und geschmückten Hüten und eine stark angetrunkene Kapelle, die entsprechende Weisen vorträgt. Wir werden zu Schnaps genötigt. Die Braut, auch schon sehr angeheitert, will sich halb im Ernst mit mir verloben, aber die Vortänzerin [hinten rechts auf dem Foto] hat alles im Griff.

Der Bräutigam bringt kaum ein Wort heraus. Einer der Männer fällt in den Schlamm und steht nicht mehr auf. Eine uralte Frau mit weißen Haaren, sehr würdevoll, begrüßt uns sitzend auf Quechua. Sie spricht kein Spanisch.

Endlich bewegt sich die ganze Gesellschaft durch das Dorf zum Haus des Bräutigams, wo wir zu Suppe – mit einigen Kohlblättern – sowie Schnaps und Chicha aufgefordert werden. Wir unterhalten uns vor allem mit einem älteren Izquierdista, der alle Alemanes über den grünen Klee lobt und auf die Amis schimpft.

Männer und Frauen sitzen getrennt. Auf einem Teller liegt Geld, und jeder Betrag [der spendenden Gäste] wird mit Namensnennung auf einem Zettel vermerkt, speziell unsere deutsche Mark wird gesondert diskutiert. [Anmerkung: Ich war in einem Dilemma – die Maximalspende der Gäste war umgerechnet eine Mark wert; hätte ich weniger gegeben, hätten sie von mir gedacht, dass ich als reicher Gringo ein Geizhals wäre. Hätte ich aber wesentlich mehr gegeben, hätte das den Leuten ihre Armut demonstriert und wäre auch beleidigend gewesen. Ich hab dem Brautpaar also eine Mark und erklärte ihnen, wieviel diese umgerechnet in peranischen Soles wert war. Manche der Gäste konnten nur ein paar Zwiebeln oder einen Kohlkopf schenken.

Was nicht in meinem Tagebuch steht, was ich aber nie vergessen werde: Die größte Sensation war, als ein sehr alter Mann den Raum betrat und, da kein Platz frei war, ich aufstand und ihm sagte, ich sei jung und er solle sich bitte auf meinen Platz setzen. So etwas erwarteten sie offenbar übehaupt nicht. Der Mann tat es und murmelte ständig vor sich hin, was ich für ein „komischer“ Gringo sei – für einen Bauern aufzustehen. Die Männer wollten umgehend eine Kommission zusammenstellen, die uns in die grandiose Schlucht [Colca-Canyon – der dritttiefste Caynon der Welt] führen sollte, damit noch mehr Touristen kämen. Wir waren wohl die ersten. Zum Glück waren alle so betrunken, dass es sie diesen Plan wieder vergaßen – sie wären wohl alle in die Schlucht gestürzt. Der Mirador de Achachihua, den man heute dort sehen kann, könnte ein Resultat dieses Plans sein, den irgendwann irgendjemand umgesetzt hat.]

Wir schaffen uns kaum, uns zu verabschieden: Der Bräutigam, nur noch flüsternd, ist so gerührt, dass er in Tränen ausbricht und uns ständig umarmt. Um sechs Uhr verlassen wir die Feierlichkeiten, nur um festzustellen, dass die Señora unserer Unterkunft doch nichts gekocht hat. Unregelmäßig wird abends auf der Plaza Essen verkauft, fast nur Kohlenhydrate. Wir haben Glück.

Ab drei Uhr Nachmittags regnet es jeden Tag, und später wird der Nebel undurchdringlich dicht. Wir gehen zwischen sieben und acht ins „Bett“, weil man ohnehin nichts unternehmen kann.




Unerreichbare Jungfern, ein atheistischer Dschihad et al

Hasengraben
Mit Kurs auf den Potsdamer Hasengraben. Leider kann man da nicht mehr einfach so durchpaddeln (oder ich war nicht nah genug dran), aber da ist ein Wehr. (Die Fotos haben nichts mit dem Text zu tun, aber das stört hoffentlich niemanden.)

Nachlese der letzten drei Tage.
Noël Martin ist gestorben. Über die damaligen Zustände in Trebbin habe ich 1997 ein ganzes Buchkapitel geschrieben, auch über Martin, der Opfer einer rassistischen Gewalttat wurde.

– Wieso sehen die, die hierzulande „Volkswirtschaftslehre“ lehren, immer genau so aus? Gehört das zur Attitude, mit der man in der Wirtschafts-Esoterik-Szene was werden und dann Resilienz fehlerfrei aussprechen kann? Lauschen wir kurz:
Die Resilienz der deutschen Volkswirtschaft ist auch den sehr konfliktreichen Reformen der 2000er-Jahre (Agenda 2010, Hartz-Reformen) und jahrzehntelangen Bemühungen der Tarifparteien zur Flexibilisierung der Tarifsysteme zu verdanken.

Flexibilisierung der Löhne – er meint also schlicht das, was alle „Volkswirtschaftler“ und andere Apologeten und Lautsprecher des Kapitals so denken: Löhne runter ist gut für alle. Mehr braucht man nicht zu wissen.

– Vor ca. 20 Jahren habe ich im serbischen sorbischen Gymnasium Bautzen einen Vortrag über Rassismus und Rechtsextremismus gehalten. Die Schüler applaudierten mehrfach. Das war in fast allen anderen Schulen, in denen ich in Sachsen war, ganz anders. Die Sorben verstehen auch, dass man nicht „Deutscher“ sein muss, um die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen. Der MDR hat heute um 20.15 Uhr eine Sendung, in der das Thema beleuchtet wird.

glienicker Brücke
Hinten links: Glienicker Brücke. Vermutlich war ich schon auf dem Jungfernsee, der zum Glück nicht mehr den Pfaffen gehört.

– Der Thüringer Verfassungsgerichtshof (was es alles gibt!) hat entschieden: Parteien müssen nicht abwechselnd Männer und Frauen aufstellen: Die AfD hat erfolgreich gegen paritätische Wahllisten vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof geklagt.

Da möchte ich aber auf das Kleingedruckte warten: Müssen nicht, aber können vielleicht? Oder dürfen gar nicht? Pointe am Rande: In beiden Bundesländern gab es von Anfang an verfassungsrechtliche Bedenken. Also mit Ansage. Aber man ist sich seiner ja immer so sicher, wenn es um die genderpolitischen Lichterketten geht.

Cornelia Möhring, stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, will sich hingegen nicht beirren lassen: „Da sich das Urteil in der zentralen Argumentation ausschließlich auf Thüringen bezieht, wird es (…) keine Relevanz für die Bundesebene entfalten.“ Auch SPD-Fraktionsvize Katja Mast verteidigte das Ziel einer vergleichbaren Paritätsregelung für Bundestagswahlen: „Über ein ausgewogenes Verhältnis der Geschlechter in der Politik braucht es eine deutschlandweite Debatte – diese muss weitergehen.“ (Zitat aus der Welt) Wenn die sich da nicht täuschen!

– Nimm dies, Hengameh Yaghoobifarah! Die Polizei in Berlin und Brandenburg macht ihren Job: Nach mehreren Vergewaltigungen hat die Polizei Brandenburg am Dienstagabend offenbar den mutmaßlichen Serientäter gefasst. Es handelt sich nach Tagesspiegel-Informationen um einen 30-jährigen Serben.

– Schon klar. Bilderstürmerei ist reaktionärer Scheiß. Aber mir glaubt ja keiner. Jatzt machen die Nazis einen auf Trittbrettfahrer und verhüllen Karl Marx. Da wächst zusammen, was zusammengehört.

Krughorn
Pause am Krughorn. Beinahe wäre ich noch ins Wasser gefallen, weil der Ast, an dem ich mich beim Aussteigen aus dem Boot festhielt, abbrach und die Untergrund extrem glitschig war. Eingedenk der Tatsache, dass ich schon vier Stunden unterwegs war, dachte ich mit Grauen daran, dass ich noch vier Stunden zurückpaddeln musste, und das gegen die Fließrichtung der Havel. Ich hatte also einen atheistischen Dschihad vor mir. So fertig war ich noch nie, als ich endlich doch das Bootshaus erreicht.

– In den USA gibt es einen vielversprechenden Ansatz für einen Impfstoff gegen COVID19.

– Der Guardian schreibt über Hongkong:
China promises ‚firm response‘ to Trump’s order ending Hong Kong’s special status
. Warum das so ist und was daraus folgt, hatten wir hier schon im Mai. Forbes legt noch nach: China’s Stock Boom Is Donald Trump’s Worst Nightmare.

– Man muss sich keine Chips mehr implementieren lassen, Papier und Bleistift gehen bald auch.

– Henryk M. Broder (hinter der Paywall der Judentum für Anfänger, wie es brät und brutzelt. Ich habe mich schlapp gelacht.
Das Christentum ist eine jüdische Erfindung. Ebenso die Relativitätstheorie (Einstein), die Psychoanalyse (Freud), die Arbeiterbewegung (Lassalle), die Kapitalismuskritik (Marx), der Feminismus (Goldman, Emma), die Jeanshose (Strauss, Levi), Google (Brin & Page), Facebook (Zuckerberg), Esperanto (Zamenhof), die Taubenpost (Reuter), das gefühlsechte Kondom (Fromm), die Nähmaschine (Singer), das Grammofon (Berliner, Emil), die Mengenlehre (Cantor, Georg), der USB-Stick und die Cherrytomate. Adolf Hitler soll mal gesagt haben, „das Gewissen“ sei „eine jüdische Erfindung“, das dürfte übertrieben sein, aber das „schlechte Gewissen“ ist es ganz bestimmt. (…) Das Beste kommt, wie immer, zum Schluss. „Jüdische Vertreterinnen und Vertreter des Projekts ‚Meet A Jew‘ (sprechen) über ihren Alltag als Juden in Deutschland.“
So steht es da. Meet A Jew. Juden zum Anfassen. „Rent A Jew“ wäre freilich besser, dann kämen noch Bonusmeilen wie bei einem Leihwagen dazu.

– Gibt es schon einen Arbeitskreis „Sozialdemokraten in der SPD“? Der Witz ist geklaut, aber ich weiß nicht mehr, von wem.




Der Furor der Ahnungslosen oder: Deutschland sucht den Superrassisten (DSDSR)

Jakob Hayner in der Jungle Word: „Der böse alte weiße Mann – Ein paar spöttische Bemerkungen sollen als Beleg dafür dienen, dass Karl Marx ein Rassist und Antisemit gewesen sei. Im Fall Immanuel Kants steht ein entsprechendes Urteil der Öffentlichkeit sogar schon fest. Eine Verteidigung zweier Aufklärer vor dem Furor der Ahnungslosen.“

Full ack.




Polski Media

8bit

Ich habe in den letzten Tagen in der Blogroll herumgewühlt, einige Links gelöscht, andere hinzugefügt. Was ich nicht gefunden habe, ist eine lesbare polnische Zeitung, womöglich in Englisch oder gar in Deutsch. Also kein katholisches oder nationalistisches Drecksblatt.

Im übrigen bin ich für Link-Vorschläge offen, wenn die surfenden Leserinnen und die des Internets kundigen Leser von hier aus schnell woanders hinzappen wollen.




Bayerische Aussichten

kreuzberg
Berlin-Mitte, gesehen von Kreuzberg aus. Wolkenformen: bayerisch. Ein Zeichen?

„Scholz sieht gute Chancen auf einen SPD-Kanzler.“ Weitere Meldungen: „Satan lässt Klimaanlage in der Hölle einbauen.“ – „Polen verschenkt Schlesien an Österreich.“ – „Mohrenstraße wird in Kim-Il-Sung-Straße umbenannt.“

Was haben wir denn heute noch?

– Vorschlag: Vielleicht sollten Frauen und Männer einfach verschiedene Sprachen sprechen anstatt diesen Sternchenquatsch in Wörtern zu benutzen?

Zu diesem allseits beliebten Thema hat die Welt (Paywall):
Politiker, Vereine, Institutionen, staatliche und private Organisationen maßen sich das Recht an, ihren Mitgliedern und, in diesem Fall muss man sogar das altertümliche Wort verwenden, „Untertanen‟ einen bestimmten Sprachgebrauch zu diktieren.

Denn um ein Diktat handelt es sich. Wer ausschert, ist ein Paria. Es wird ein sektenartiger Verhaltenskodex aufgestellt, der jeden Andersdenkenden zum Anderen stempelt. Das hat es in 1000 Jahren deutscher Sprachentwicklung nicht gegeben.

– Martin Beglinger in der NZZ: „Der Fundamentalismus breitet sich aus: Die real existierende Misere des Islam. Der Soziologe Ruud Koopmans seziert so schonungslos wie präzise die Lage der muslimischen Welt. Dabei hält er sich an die Empirie – und verzichtet auf ideologische Diskussionen.“

Ich behaupte nicht, dass es sich um eine marxistische Religionskritik handele, die den Überbau korrekt aus der Basis ableitet. Ich finde Denkanstöße anregend. und der Artikel ist besser als das, was man gewöhnlich in deutschen Medien geboten bekommt.

Auch interessant: „Als sich Barak und Arafat gegenseitig an Höflichkeit überboten. Vor 20 Jahren trafen sich der damalige israelische Premier Barak und Palästinenserführer Arafat zu Friedensgesprächen in den USA. Was genau verhandelt wurde, ist bis heute nicht klar. Ein Ergebnis brachte der geheime Austausch in Camp David jedoch nicht.“

Urich Sahm kommentiert: „Warum die Linke in Israel implodiert ist und warum es keinen Palästinenserstaat in den Grenzen von 1949 geben wird: das endgültige Scheitern des Oslo-Friedensprozesses und der Zweistaatenlösung vor 20 Jahren (wovon der deutsche Bundestag bis heute nichts mitbekommen hat). Jeder Rückzug, jede Schwäche der Israelis wird von ihren Feinden nicht als Entgegenkommen, sondern als Signal zum Losschlagen gewertet.“

– Wenn Söder Bundeskanzler ist, wird es wieder ein deutsches Raumfahrtprogramm geben. Der erste Astronaut wird dann vermutlich Friedrich Merz sein.

-Zum Schuss schon wieder die verflixte deutsche Sprache:
Ich saß eben unter der Rotzeder, in die sich die Zwergelstern wegen des Baumentasters verkrochen hatten, im Park.
Mir gegenüber ein Gebäude mit klassischem Altbaucharme, vor dem der Kreischorverband, zu Ehren der FIugentenzucht, unter Beinhaltung der Brotherstellung, sang und Bratheringe verkaufte.
Als dann aber ein Urinsekt seine Versenkantenne ausfuhr und die Musik aufdrehte, bin ich weg. (Norbert Löffler)




Varus, gib mir meine Logistik wieder!

germanicus

Streitkräfte und Strategien. Roms militärische Reaktion auf die clades Variana von Stefan Burmeister/Roland Kaestner in: Stefan Burmeister/Salvatore Ortisi (Hrsg.), Phantom Germanicus. Spurensuche zwischen historischer Überlieferung und archäologischem Befund. Materialhefte zur Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens 53 (Rahden/Westf. 2018) 95–136, 2018

Der Artikel ist richtig spannend, zeigt er doch die antike Großmacht nicht aus der Perspektive „Große Männer machen die Geschichte“, sondern verrät eine Menge darüber, welche materiellen Voraussetzungen der militärischen Macht Roms zugrunde lagen. Es geht natürlich um Logistik, Straßen, Transport, Vorräte.

Diese Satz packte mich: „Im Sommer [12 v. Chr., Cassius Dio (54, 32] erfolgte ein Großangriff auf die Cherusker. Die Römer kamen mit acht Legionen über die Nordsee.“ Moment? Über die Nordsee? Mit acht Legionen? Das sind sind mehr als 40.000 Mann, den Tross nicht mitgerechnet. Wie haben die das logistisch gemacht? Und sie mussten auch noch durch das Delta des Rheins, am späteren Lugdunum Cananefatium vorbei. (Das Forum Hadriani wurde erst ein halbes Jahrhundert nach dem Feldzug des Germanicus gegründet.)

tabula Peutingeriana

Für den Transport war die Classis Germanica zuständig. [Film dazu] Drusus führte zu diesem Zweck die Rheinflotte im Zusammenhang mit den Drusus-Feldzügen (12 bis 8 v. Chr.) durch einen – oder mehrere – neu gegrabene Kanäle von der Zuidersee in die Nordsee (fossa Drusiana). Da Friesen und Chauken nur über primitive Einbäume verfügten, konnte er mit seinen weit überlegenen Kräften ungehindert in die Mündung der Weser (Visurgis) einlaufen und danach beide Stämme rasch unterwerfen. Der Vorstoß des Tiberius an die Elbe (Albis) im Jahre 5 n. Chr. wurde mittels einer kombinierten See- und Landoperation bewerkstelligt.

Der Witz ist, dass die Römer über keine räumlich korrekten Karten verfügten. Warum nicht? Die wenigen überlieferten Karten die wie Tabula Peutingeriana, die nur eine Kopie ist, oder das Itinerarium_Antonini sind viel jünger, aber das Weltreich war schon um die Jahrtausendwende bis fast an die Grenzen der bekannten Welt vorgedrungen. Man konnte natürlich die Entfernung und die Dauer der Wegstrecke, die man zurücklegen musste, messen und weitergeben. Aber wie war das in unbekanntem Gebiet? Woher wussten die Römer von der Weser oder gar von der Elbe? Velleius Paterculus schreibt:
Unsere Heere durchzogen ganz Germanien, Völker wurden besiegt, die kaum vom Namen her bekannt sind, und die Chauken wurden in die Obhut des römischen Volkes aufgenommen. Geschlagen wurden auch die Langobarden, ein Volk, dass sogar die Germanen an wildem Kriegsmut noch übertrifft. (…) Ein römisches Heer wurde mit seinen Feldzeichen 400 Meilen vom Rhein bis zum Fluss Elbe geführt, der durch das Gebiet der Semnonen und Hermonduren fließt. Und dem bewundernswerten Glück wie der Vorsorge des Feldherrn sowie seiner genauen Beobachtung der Jahreszeiten war es zu danken, dass sich ebendort die Flotte wieder mit Tiberius Caesar und seinem Heer vereinigte. Sie war die Meeresbuchten entlang gesegelt, war aus diesem zuvor völlig unbekannten Meer in den Elbefluss hinein und stromaufwärts gefahren und brachte außer Siegen über zahlreiche Volksstämme auch eine reiche Fülle von Lebensmitteln aller Art mit sich. [Original]

römisches Reich

Das Ausgangsproblem: Nach gegenwärtigem Kenntnisstand waren die Legionen nicht in der Lage, sich aus dem Operationsgebiet heraus zu versorgen. Die germanische Subsistenzwirtschaft erzielte nicht die Erträge, die für die Versorgung der römischen Einheiten erforderlich gewesen wären.

Die acht Legionen im Einsatz brauchte für die Soldaten und die Tiere ca. 150 Tonnen Getreide am Tag, ohne das Grünfutter für die Pferde und Maulesel. Die Hilfstruppen sind hier noch nicht mitgerechnet. Planmäßig führten die Legionen 17 Tagesrationen mit; für Nachschub hätte demnach erst ab dem 18. Tag gesorgt werden müssen. Das heißt: Die Legionen konnten für rund zwei Wochen gut 150 Kilometer operieren; wenn sie unterwegs Nachschub bekamen, war ihr Radius gut 200 Kilometer. Das ist aber nicht so viel – ungefähr die Entfernung von Köln zum Teutoburger Wald.

Wir wissen schon, was jetzt kommt: Die römischen Pioniere bauten Straßen und Brücken. Das konnten die Germanen nicht. Eine Legion, die mit sechs in einer Reihe marschierte, war fast drei Kilometer lang – und dann kam noch der Tross. Die drei Legionen des Varus, die nicht auf römischen Straßen marschierten, sondern vermutlich über Trampelpfade, müssen also einen Heereszug von mehr als zwanzig Kilometer ergeben haben. Man brauchte sogar als Reiter eine ganze Weile vom Ende an die Spitze und umgekehrt – und das auch noch im Wald!

Der Autor des zitierten Artikels zweifelt daran, dass ohne ein komplexes Raumverständnis die militärischen Operationen der Römer in Germanien möglich gewesen seien. Es fällt schwer, das geographische Raumverständnis der Römer und damit deren Möglichkeiten und Fähigkeiten zur Planung von komplexen militärischen Operationen zu rekonstruieren. Neben punktuellen oder sehr generalisierten Landesbeschreibungen liegen uns heute vereinzelt Itinerare, Periploi und Karten vor, die alle auf einer linearen Wegeerfassung beruhen. Letztlich handelt es sich hierbei um Wegbeschreibungen als lineare Abfolge von Ortsangaben ohne Lagebezug; ein Raumverständnis lässt sich hieraus kaum gewinnen.

Wir wissen es also nicht wirklich.




Recht auf Vergessen

Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zugunsten der Pressefreiheit:

Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat mit heute veröffentlichtem Beschluss einer Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung der Meinungs- und Pressefreiheit stattgegeben. Sie richtet sich gegen ein zivilgerichtliches Verbot, in einem Porträtbeitrag über einen öffentlich bekannten Unternehmer dessen mehrere Jahrzehnte zurückliegenden Täuschungsversuch im juristischen Staatsexamen zu thematisieren.
Die Kammer greift damit die Maßgaben der Senatsentscheidungen zum „Recht auf Vergessen“ auf und konkretisiert sie für die Konstellation aktueller Berichterstattung über vergangene Ereignisse. Dabei hat sie bekräftigt, dass eine wahrhafte Berichterstattung über Umstände des sozialen und beruflichen Lebens im Ausgangspunkt hinzunehmen ist. Zudem hat sie klargestellt, dass die Gewährleistung einer „Chance auf Vergessenwerden“ durch das Grundgesetz nicht dazu führt, dass die Möglichkeit der Presse, in ihren Berichten Umstände zu erwähnen, die den davon Betroffenen unliebsam sind, schematisch durch bloßen Zeitablauf erlischt. Vielmehr kommt es darauf an, ob für den Bericht als Ganzen ein hinreichendes Berichterstattungsinteresse besteht und ob es für die Einbeziehung des das Ansehen negativ berührenden Umstands objektivierbare Anknüpfungspunkte gibt. Solange das der Fall ist, ist es Aufgabe der Presse, selbst zu beurteilen, welche Umstände und Einzelheiten sie im Zusammenhang eines Berichts für erheblich hält und der Öffentlichkeit mitteilen will. Dies gilt auch unter den Verbreitungsbedingungen des Internets.




Tecsecocha

Tecsecocha

Bei diesem Foto brauche ich Hilfe derjenigen, die sich in Cusco, Peru auskennen. Ich war dort im Januar 1980 und im Juli 1984, beide Male im Hostal Bolivar, Tecsecocha 2 – das wurde im legendären South American Handbuch erwähnt. Wenn ich mich recht erinnere, zeigt das Foto genau der Eingang des Hostals, jedoch sieht das Bild der heutigen Ansicht kaum ähnlich. Google nennt die Straße Teqsiqocha.

Das Hostal war fußläufig vom Plaza de Armas, und dort in der Nähe gibt es laut Stadtplan sonst keine dieser Ecken. Seitenverkehrt, was ich auch probiert habe, macht es gar keinen Sinn.

Es kann natürlich sein, dass das Haus, was beide Male extrem preiswert und ein Geheimtipp für Gringos war, und der Eingang total umgebaut worden sind, da das heutige Cusco mit dem von damals nicht mehr viel zu tun hat. Damals gab es nur eine (!) Kneipe, in der sich die wenigen Rucksack-Touristen trafen, eine winzige „Pizzeria“ in der Procuradores.




Es lebe usw.

Parteitag der KPD

Wenn ich mich recht erinnere, habe ich damals ein Polaroid-Foto gemacht. Jetzt dürft ihr herausfinden, wo und wann das war.




Arequipa oder: are quepay!

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Arequipa (Peru), die „weiße Stadt“, das Zentrum des Südens – die Altstadt ist Weltkulturerbe.

Wenn man das obere Foto genau betrachtet und es mit der Perspektive von heute vergleicht, erkennt man, dass der Riss im Bogen, der vermutlich von einem der zahlreichen Erdbeben in der Region stammt, ausgebessert zu sein scheint. Damals habe ich mich kaum getraut, darunter herzulaufen. Von wo aus ich damals den Plaza Mayor fotografiert habe, konnte ich nicht genau ermitteln; ich muss wohl irgendwo im 1. Stock der Bogengänge gestanden haben.

Aus meinem Reisetagebuch, auch über das Monasterio de Santa Catalina, März 1984:
In Arequipa waren wir sieben Nächte, vor allem wegen B.s Durchfall, der jetzt [21.3.] endgültig vorbei ist. In Arequipa fällt mir zuerst das Frauenkloster ein. Der Konvent war auch das einzige, was wir außer einem kurzen Blick in die Kathedrale, wirklich besichtigt haben. Das Kloster ist wie eine Miniaturstadt mit offenbar streng geregelten Möglichkeiten, mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen. Doppelt holzvergitterte Fenster sind die einzige Sprechmöglichkeit mit Besuchern. Der Gang innen nach oben ist mit durchsichtigen Steinen versehen, da dass Tageslicht hereinkommen kann.

Die ganze „Stadt“ mit kleinen Straßen und Plätzen gliedert sich in zwei Abteilungen, die für die jungen Nonnen, in der das meiste gemeinsam gehalten ist (Schlafsaal, Küche) und eine für die sozialen Aufsteigerinnen mit eigenem Zimmer und einem für Bedienstete. [Im Kloster lebten rund 400 Nonnen. Es wurde erst 1970 zum ersten Mal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.]

Originell sind die riesigen, auf die Hälfte verkleinerten Weinkrüge (?! zum Waschen. Außerdem gibt es in einem Café des Klosters leckeren Kuchen, untermalt mit den Brandenburgischen Konzerten – das ist natürlich eine Konzession an die Touristen.

Wenn man sich vorstellt, dass das Kloster die einzige Gelegenheit für Frauen war, aus der Gesellschaft „auszubrechen“, hat es eine ähnliche Funktion wie ein heutiges Frauenhaus. [Dem Vergleich würde ich heute nicht mehr ziehen.] Dafür spricht auch die Marienverehrung, demgegenüber Jesus ziemlich schlecht abschneidet.

Das Hotel Tradition, in dem wir waren [Calle Sucre, das scheint nicht mehr zu existieren, vgl. Foto unten der Hof, oben meine damalige Freundin], war aber auch nötig. Heißes Wasser und ein sauberes Klo! Wenn wir gewusst hätten, was uns danach erwartete [ich hatte das in Chivay im Valle de Colca geschrieben, ca. eine Woche nach dem Aufenthalt in Arequipa], hätten wir das noch mehr zu schätzen gewusst.

Fast jeden Tag gehen wir in den einzigen Gringo- und Bonzentreff, den „Grill“ einer alten Schweizerin [am Hauptplatz], die ziemlich rassistisch denkt. Die „kleinen Dunklen“, die alles „nebeneinander“ machten, mag sie gar nicht. Es gibt Apfelstrudel, silbernes Besteck und Porzellangeschirr, aber dafür reißt sie einem auch alles wieder aus der Hand, kaum dass man fertig ist. Das Lokal besteht fast nur aus Einrichtungsgegenständen, die wohl noch aus den 40-er Jahren stammen: Ein Plakat der V. Olympischen Winterspiele, ein von einer kleinen antiken Wandleuchte bestrahlter Alphornbläser und natürlich der Schweizer Fahne. Ambulantes und Bettler werden nicht hineingelassen.

Das Wichtigste in Arequipa war der Markt mit einer der größten Markthallen, die ich je gesehen habe. Wir probieren jeden Tag jugos, unter anderem von manzanas, der aber natürlich wie süßes flüssiges Apfelmus schmeckt. Außerdem trinken wir literweise Coca-Tee, der aber so ähnlich wie jeder andere Tee wirkt und schmeckt.

In Arequipa fallen mir die vielen Bettler auf, viel mehr als in Lima. Der Übergang zum fliegenden Händler ist fließend. So etwa wie die Losverkäufer, die im Rollstuhl sitzen oder mit epileptischen Zuckungen noch etwas verkaufen wollen.

Das bemerkenswerteste Erlebnis, bei dem ich noch mächtig stolz auf mich war, war der geglückte und doch nicht geglückte Taschendiebstahl. Im totalen Gedränge wurde B. von zwei Kerlen zusammengequetscht und bemerkte plötzlich, dass ihr Portemonnaie in der Beintasche [der Cargo-Hose] fehlte. Zum Glück war es nur unser „Diebesgeld“* und nur ein paar Dollar darin. Wir merkten aber, wer es gewesen war, weil der Typ abflitze – und ab in die Markthalle.

Ich rannte hinterher. Am Eingang riefen schon die Marktfrauen arriba! [Er ist oben!] Ich nahm die Empore von der anderen Seite, sah auch den Kerl, der, als er mich erblickte, die Treppe wieder hinunterstürzte. Ich hinterher, quer durch das Gemüse, bis ich ihn schnappte. Zufällig stand ein Polizist daneben, der aber nur mit seiner Pfeife trillerte, mir aber ansonsten das Feld überließ und nichts tat.

Nachdem ich auf’s Geratewohl behauptet hatte, in dem Portemonnaie seien 5.000 Soles gewesen [damals weniger als ein Dollar] und eine drohende Haltung einnahm, rückte der Kerl 5.000 Soles heraus – das waren aber nicht die unseren. [Der andere Dieb hatte Geld und Portemonnaie; dieser hatte mich nur ablenken wollen, indem er wegrannte.] So retteten wir immerhin plus minus Null, obwohl ich gern das Gesicht des Typen gesehen hätte, wenn der später versuchte, die Lira in einer Bank einzuwechseln. Das Portemonnaie haben sie vielleicht auch zu verkaufen versucht.

Auffallend am Markt ist der starke „indianische“ Einschlag, mehr auf den Straßen rund um den Markt. Jede „Berufsgruppe“ hockt zusammen, Fleisch, Fisch, Gemüse, Obst, Coca, Kräuter, Nähmaschinen, die wie in einer frühkapitalistischen Manufaktur gemeinsam rattern, Eisen, Krimskram, Plastik, bäuerlicher Bedarf, Schuhe.

In Arequipa ist sonst nicht viel los [1984!]. Wir gehen um neun ins Bett. Morgens können wir den Misti sehen und noch eine schneebedeckte Bergkette. Bei schönem Wetter – es soll nur fünf Regentage im Jahr geben, die wir fast alle erwischt haben – muss die Aussicht toll sein.

In den Zeitungen steht viel über den Generalstreik am 23. März. Vom Hotel aus sehen wir sogar keine kleine Männer-Demo, die, die Reihen fest geschlossen, zum paro nacional aufruft. Der soll aber laut Auskunft des Touristenbüros nur 24 Stunden dauern. (…)

Am Sonntag – der Hotelseñor leiht uns noch seinen Wecker – marschieren wir zur Jacantaya-Busgesellschaft am Busbahnhof und fahren nach Cabanaconde.
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*Ich hatte bei jeder Reise ein kleines Portemonnaie mit ein paar Dollar und großen, aber wertlosen italienischen Lira-Scheinen dabei. Falls ich überfallen worden wäre, hätte ich das herausgerückt. Alles andere Geld war im Geldgürtel – so etwa kannte kaum jemand in Südamerika – oder woanders versteckt.




Garoto

garoto

Junge (port.: garoto) aus Tabatinga Benjamin Constant, Brasilien, am Amazonas (Solimoes) an der Grenze zu Kolumbien (1982)