Trypillia oder: In den Schluchten des Balkan

vinca

Pottery figure representing a Trypillian house. Exposed at National Museum of Warsaw from April 15th to June 29th 2008 on a temporary exhibition titled „Ukraine to the world. Treasures of Ukraine from the Platar collection“

Zum wiederholten Male las ich neulich Harald Haarmanns Auf den Spuren der Indoeuropäer: Von den neolithischen Steppennomaden bis zu den frühen Hochkulturen (alle Bücher-Links gehen zu Amazon) – ich werde es hoffentlich irgendwann noch ausführlich besprechen können.

Erst seit wenigen Jahrzehnten ist die Wissenschaft in der Lage – vor allem durch die Humangenetik, die Archäobotanik und -zoologie und die Archäologie von Nomandenkulturen – zu beweisen, dass der Pastoralismus (Vieh- bzw. Hirtennomadentum) in der eurasischen Steppe unabhängig von der Verbreitung des Ackerbaus ablief. Der Prozess, dass die Menschen das so genannte „Agrarpaket“ (agrarian package) adaptierten, verlief zwischen ca. 11000 und 8500 vor Chr.. Laut dem archäologischen Befund fanden in Europa zwei parallele Übergange vom Mesolithikum zum Neolithikum statt (ähnlich wie in Nordafrika).

Die Indoeuropäer wanderten nach Zentral- und Südeuropa und überlagerten die alten, oft matriarchalen Kulturen. Haarmann beschreibt das spannend und anschaulich anhand zahlloser Quellen (vgl. zum Beispiel Pelasger).

indoeuropäer

Karte: Haarmann: Auf den Spuren der Indoeuropäer – „Geographische Umrisse der indoeuropäischen Urheimat“

Der Begriff Altes Europa war mir bis dato nicht geläufig. (Das deutsche Wikipedia benutzt immer noch indogermanisch statt indo-europäisch, was dem heutigen wissenschaftlichen Standard entspräche). Daher habe ich mir auch Haarmanns Das Rätsel der Donauzivilisation: Die Entdeckung der ältesten Hochkultur Europas zu Gemüte geführt.

Zentrale These: Zwischen 5000 und 3500 v. Chr. existierte auf dem heutigen Balkan und in der Südukraine eine Hochkultur, die sich unabhängig vom vorderen Orient entwickelt hatte. Einige der Siedlungen dieser Zivilisation waren größer als die frühen Städte in Mesopotamien, auch größer als Catalhöyuk in der heutigen Türkei. „Die ältesten kontinuierlich bewohnten Orte in Europa sind nicht Städte wie Athen und rom, wo die frühesten Siedlungsspuren ins 2. Jahrtausend datieren; Larissa in Thessalien und Varna in Bulgarien sind mehr als doppelt so alt.“ (Das Gold von Varna habe ich gleich auf meine To-Do-Liste gesetzt.)

Die Alteuropäer kannten das Töpferrad, das Rollsiegel, den Brennofen, die Technik des Metallgusses und verstanden sich auf die Goldschmiedekunst (das älteste gefundene Artefakt wird auf 4500 v. Chr. datiert). Sie kelterten Wein, produzierten Olivenöl und aßen „lange vor den Griechen“ Kirschen, Erbsen und Petersilie.

Das bedeutet: Die griechischen Antike, die die „Zivilation“ in Europa maßgeblich beeinflusste, stand nicht allein, sondern wurde von einer älteren Kultur, die bisher nur einem kleinen Kreis von Experten bekannt waren, beeinflusst.

Ist dem hiesigen bildungsbürgerlichen Publikum Marija Gimbutas bekannt? Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich den Namen noch nie gehört hatte. Haarmann verweist oft auf sie, so oft, dass ich vermutete, die wesentlichen Fakten stammten von ihr oder von dem auch häufig zitierten David W. Anthony Lost World of Old Europe (der war mir aber zu teuer).

HaarmannGimbutas

Marija Gimbutas: Göttinnen und Götter des Alten Europa: Mythen und Kultbilder hat mich gefesselt, auch wegen der zahllosen Abbildungen – man erfährt alles, was man zum Thema wissen muss – zum Beispiel über die Vinča-Kultur, 4500-4000 v. Chr., deren Schrift und was man aus dem archäologischen Befund über die Kleidung der Alteuropäer schließen kann.

Ich habe die Bücher noch nicht durch, ich komme bestimmt noch auf das Thema zurück.

godess

Seated fired clay figurine. Late Neolithic (4500-4000 BC). Vinča (Serbia). Household deity (?).