Der lange Arm des Islam?

Ein nachdenklicher Artikel Hamed Abdel-Samadins Welt online: „Der lange Arm des Islam folgt Muslimen bis zu uns.“

Ich stimmt nicht immer zu. Wie sich Einwanderer benehmen, richtet sich immer auch nach dem, wie sie empfangen werden. Menschen verhalten sich opportunistisch: Sie tun das, von dem sie sich Vorteile versprechen, das gilt für Rassisten wie für Altruisten gleichermaßen.

Ich habe in den 90-er Jahren eine Reportage über eine Bergarbeitersiedlung im Ruhrgebiet geschrieben. Die erste Generation der „Gastarbeiter“, so erzählte man mir, habe sich versucht anzupassen. Die zweite Generation, die schon in Deutschland geboren war, zwang plötzlich ihren Frauen Kopftücher auf und interessierte sich mehr für den Islam. Das ist ein Phänomen, das jeder Ethnologe und Anthropologe kennt: Einwanderer nehmen dann das vermeintlich „Authentische“ wieder an, wenn sie von der Mehrheitsgesellschaft, in der sie leben, nicht akzeptiert werden.

Das gilt nicht nur für die „Re-Islamisierung“ arabischer oder türkischer Immigranten in Deutschland, sondern auch für andere Religionen. Der „Islam“ ist nur eine (opportunistische) Methode, eine Gruppenidentität zu schaffen, die die Mainstream-Gesellschaft nicht bieten kann oder will.

Man lese Mary Douglas über die „Sumpf-Iren“:
Das Schweinefleischverbot [der Juden, B.S.] und das Gebot der Freitagsabstinenz sind gerade deshalb so ideale Symbole der Gruppenverbundenheit, weil die Angehörigen andere Kulturen keinerlei Sinn in ihnen sehen. (…) Wenn zwei Symbolsysteme in Konfrontation geraten, beginnen sie sich – und zwar gerade auf der Basis ihrer Gegensätzlichkeit – zu einem einheitlichen Ganzen zu vereinigen; und in dieser Gesamtheit kann unter Umständen jede Hälfte für die andere durch ein einziges Element repräsentiert werden, das zu diesem Zweck aus seinem ursprünglichen Kontext herausgebrochen worden ist. Außerdem neigen ‚die anderen‘ dazu, unter den äußerlichen Symbolen unserer Gruppensolidarität gerade die herauszugreifen, die sie in besonderem Maße abstoßen oder amüsieren.

Oder Kien Nghi Ha: Ethnizität und Migration – dort steht auch schon alles, was zum Thema gesagt werden müsste.

Kluge Bücher oder ethnologisches Wissen über Einwanderer sind aber bekanntlich im öffentlichen Diskurs nicht erwünscht.