Das Stumpfe Eck ist jetzt Rotbart

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Schweren Herzens möchte ich den dem Nachtleben zugeneigten Leserinnen und den eventuell in Rixdorf herumsumpfenden Lesern eine neue Kneipe empfehlen. Dort, wo früher meine Stammkneipe „Das Stumpfe Eck“ war, ist jetzt das „Rotbart“ (Vorsicht, Facebook-Link!) Das Lokal habe ich natürlich sofort getestet, zusammen mit Freunden, die auch das „Stumpfe Eck“ kannten.

Die gute Nachricht: Die neuen Leute haben sich wirklich Mühe gegeben. Das Etablissement hat Stil. Man fühlt sich wohl, was das Interieur angeht. Im Gegensatz zur alteingesessenen B-Lage und zum neuen Red Lion gibt es eine große Theke, an die man sich auch allein hinsetzen kann. Man muss also nicht zwangsweise als WG oder als Jugendgruppe kommen oder sich hardcoremäßig einfach zu einer solchen gesellen. Anders als in der B-Lage ist die Musik auch zu ertragen (bis jetzt kein Techno gehört). Zudem wird man nicht angestrengt mit Veganismus-Asketismus und anderem gefühlt politisch Korrektem belästigt. Großer Vorteil für mich, aber nicht für meine Freunde: Im „Rotbart“ darf nicht geraucht werden. Löblich! Ich habe also beim Nachhausegehen keine Kopfschmerzen.

Jetzt die „schlechten“ Nachrichten. Ich habe gleich investigativ recherchiert, um welche Gesellschaftsform es sich beim „Rotbart“ handele. Die älteste Szene-Kneipe im Kiez, das Café Linus, wird von einem Verein betrieben. Der Profit steht also im „Linus“ nicht unbedingt an erster Stelle; und dort verkehrt auch eher das sich links gerierende ältere Sozialarbeitermilieu. Das „Rotbart“ ist leider weder ein Kollektiv noch eine Genossenschaft, sondern wird ganz Kapitalismus-kompatibel von zwei Geschäftsführern gemanagt. [Update: Es ist eine GbR, also mit vollen Risiko – Respekt!] Im „Stumpfen Eck“ kostete ein großes Bier früher zwei Euro, im „Rotbart“ muss man noch 50 Cent drauflegen. Ein Gin Tonic schlägt mit sage und schreibe sechs Euro zu Buche. Gut, dass ich so etwas nicht trinke, sondern, wenn kein Bier, dann nur Whisky.

Das Publikum im „Stumpfen Eck“ war extrem heterogen: Arbeitslose, Berufsalkoholiker, und mehr oder weniger linke Arbeiter (die mit Nazi-Sprüchen bekamen im „Stumpfen Eck“ Hausverbot und wanderten in den „Kaktus“ am Hertzbergplatz ab), aber sonst querbeet durch alle Milieus bis hin zur Gender-Professorin. Die alteingesessenen Kiez-Bewohner werden sich das „Rotbart“ einfach nicht leisten können. Das nennt man vermutlich „natürliche Auslese über den Marktpreis“ oder so ähnlich. Vielleicht auch „Gentrifizierung“. Keiner gibt öffentlich zu, das zu wollen, aber alle machen mit und tun es einfach (den Autor eingeschlossen).

Natürlich interessiert sich das Publikum im „Rotbart“ nicht für die Geschichte des Kiezes oder für das, was das „Stumpfe Eck“ bedeutete. Es hatte sich eben über Fratzenbuch herumgesprochen. Wie sich die Jugend halt verabredet, mit einer Flasche in der Hand. Und Edward Snowden hat es übrigens nie gegeben.

Im „Rotbart“ trifft man jetzt jede Menge äußerst attraktive junge Damen (die den Begriff „Dame“ vermutlich nicht benutzen). Über die Männer kann ich nichts sagen – nur dass man(n) offenbar gern Kapuzen trägt, auch wenn man im Haus ist (fehlt nur noch eine Sonnenbrille), und dass Wollmützen auch dann angesagt sind, wenn man gar keine Wursthaare hat. Ich habe mit jüngeren Männern meine Probleme: Ich kann sie oft nicht ernst nehmen, auch wenn ich mir Mühe gebe.

Ich hatte jedenfalls, was mein Beuteschema bei Frauen angeht, mein ästhetisches Vergnügen beim Herumstarren und Beobachten aus rein völkerkundlicher Sicht. Auch das leckere Mädel neben mir, mit dem ich mich angeregt über den sozialen Aufstieg unterhielt und warum dieser nicht stattfinde (sie studierte passenderweise Erziehungswissenschaft), war eine Augenweide. Leider stand sie nicht auf Männer, und ihre Freudin guckte schon ganz indigniert nach mir, vor allen, als ich ihr meine beste Freundin empfahl, die extrem attraktiv sei und eine angenehme Person und zu meinem Missvergnügen auch nicht das männliche Geschlecht bevorzuge, ich daher aus altruistischen Gründen sie gern an eine passende Frau verkuppeln wolle, wenn es schon bei mir selbst nicht gelänge.

Es war übrigens proppevoll. Die Leute drängten sich nur so. Mal sehen, wie es an einem normalen Werktag um Mitternacht ist.

Da wir heute schon Lifestyle-Themen behandeln: Mein Endomondo ruft, es ist sonnig und kühl, also Laufwetter, und ich habe vier Kilo zu viel für mein Idealgewicht. Auf denn! Trainiert habe ich in diesem Jahr auch noch nicht…