Eine Frage des Standpunktes

Sag mir, wo du stehst, und welchen Weg du gehst!
Wir haben ein Recht darauf, dich zu erkennen,
auch nickende Masken nützen uns nicht.
Ich will beim richtigen Namen dich nennen.
Und darum zeig mir dein wahres Gesicht!

(Hartmut König)

Man muss Wikipedia nicht glauben, aber: „Die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe bestimmt weitgehend den Standpunkt, den das Individuum einnimmt. (…) Alle Standpunkte sind voreingenommen, aber einige Standpunkte können objektiver sein als andere. (…) Der Standpunkt einer untergeordneten Gruppe ist vollständiger, weil diese mehr Grund hat, eine dominante Gruppe zu verstehen, und weil sie weniger Interesse hat, den Status quo aufrechtzuerhalten.“

Vor allem der letztere Punkt ist interessant. Ich hatte hier schon das Buch von Uwe Krüger erwähnt: „Meinungsmacht – Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-­Journalisten – eine kritische Netzwerkanalyse“. Darin wird nachgewiesen, dass die Journalisten, die in Deutschland den diskursiven Mainstream prägen, einen klaren Klassenstandpunkt beziehen – sie sind Lautsprecher des Kapitals, haben also ein Interesse daran, „den Status quo aufrechtzuerhalten“. Sie werden nie und nimmer die Systemfrage stellen. Die Mehrheit der journalistischen Zunft hingegen hat Angst vor dem sozialen Abstieg und gehört gefühlt der „Mittelschicht“ an, wird also demnächst zwischen den Fronten zerrieben werden und verhält sich weltanschaulich dementsprechend.

Wir erleben zur Zeit den größten Angriff auf die Löhne seit Ende des zweiten Weltkriegs. Ziel des Kapitals ist es theoretisch, möglichst alle auf Mindestlohnniveau zu drücken. Das ist nicht boshaft, sondern die Konsequenz aus dem tendenziellen Fall der Profitrate. (Hatten wir gestern).

Die Süddeutsche schreibt heute: „Karstadt plant Billiglöhne“.
In den einzelnen Häusern wird es künftig drei Gruppen von Karstadt-Mitarbeitern geben: Verkäufer, Kassierer und solche, die in neu geschaffene Warenservice-Teams wechseln sollen. Diese Mitarbeiter sollen vor allem die Ware auspacken und die Regale einräumen. Das eröffnet Karstadt die Möglichkeit, diese Beschäftigten künftig nur noch nach den deutlich niedrigeren Tarifen für die Logistikbranche zu bezahlen.

Das ist ein Konzept, das auch im Gesundheitssektor gerade praktiziert wird. Um die Löhne zu drücken, werden ganze Abteilungen ausgegliedert. Die Mitarbeiter werden dann zu wesentlich schlechteren Bedingungen wieder angestellt oder können gehen, wenn ihnen das nicht passt. Wer unter diesen Umständen als Arbeiter oder Angestellter immer noch nicht Mitglied in einer Gewerkschaft ist, ist eine dämliche Pappnase, auch wenn die deutschen Gewerkschaften oft auch aus dämlichen Pappnasen bestehen. Man muss mit dem kämpfen, was man hat.

Je nach KlassenStandpunkt kann man den Sachverhalt so oder so ausdrücken. Wenn man gern die „freie Marktwirtschaft“(TM) verherrlicht und alles aus der Perspektive des Kapitals sehen möchte, schreibt man: „Karstadt will sparen und die Lohnkosten senken.“ Nimmt man den Standpunkt der „weniger dominanten Gruppe“ ein, der laut Wikipedia objektiver wäre. schreibt man: „Karstadt will mehr Profit machen und senkt die Löhne.

So einfach ist das, aber keiner merkt was. „Sparen“ und „Kosten senken“ sind keine Begriffe, die man als Journalist einfach mal so verwenden darf, ohne die Fakten dahinter zu benennen, sondern Propaganda.