Presseverbindungsführer oder: Wir sind die Guten

Ich habe das Buch gekauft, aber noch nicht ausgelesen. Dennoch kann ich es jetzt schon uneingeschränkt empfehlen: „Wir sind die Guten.: Ansichten eines Putinverstehers oder wie uns die Medien manipulieren“ von Mathias Broeckers und Paul Schreyer.

Der Co-Autor Paul Schreyer hatte in Telepolis im Februar schon einen gleichlautenden Artikel veröffentlicht: „Wir sind die Guten – Zur Debatte um die deutsche Verantwortung in der Welt“. Mathias Broeckers und Schreyer stellten ihr Buch im August ebendort vor.

Das heißt nun nicht, dass der Nicht-Hitler Wladimir Putin ein Waisenknabe, sein Regierungsstil der eines „lupenreinen Demokraten“, wie Ex-Kanzler Gerhard Schröder ihn einmal nannte, und Russland ein freiheitlicher Rechtsstaat ohne Fehl und Tadel sei. Das ist nicht der Fall, und Kritik an der Amtsführung des russischen Präsidenten ist in mancher Hinsicht berechtigt. Dass jedoch der Versuch, die Motive Russlands in der Ukraine-Krise zu verstehen und Einsicht in die Beweggründe und Ursachen von Putins Handeln zu gewinnen, diskreditiert und „Putinversteher“ (oder „Russlandversteher“) als Schimpfwort gebraucht wird, kommt einer Diffamierung jeder Art von Analyse gleich. Wo jedoch nicht mehr analysiert werden darf, da herrscht Ideologie, wo Verstehen verboten wird, regieren Glaubensbekenntnisse.

Deshalb bekennen die Autoren sich neuerdings und ausdrücklich als „Putinversteher“. Denn je boshafter, hitlerartiger Putin in den Medien porträtiert wird, desto wichtiger wird ein nüchternes und realistisches Verstehen – nicht durch psychologisierende Spekulation über eine Person, sondern durch politische Analyse, nicht durch einseitige Ideologie, sondern durch ein möglichst objektives Erkennen der Lage.

Von einem solchen möglichst neutralen Erkenntnisgewinn haben sich die westlichen Medien während der gesamten Krise in der Ukraine weitgehend – und seit der Zuspitzung der Lage im November 2013 nahezu vollständig – verabschiedet.

Und genau das erschreckt mich – diese freiwillige Gleichschaltung der deutschen Medien. Wie kommt das? Es wäre doch gar nicht nötig – die Leserinnen und Leser würden doch durchaus eine „durchwachsende“ Berichterstattung honorieren, und das deutsche Kapital und dessen Lohnschreiber und Lautsprecher stehen nicht unbedingt einhellig hinter der Politik des Neo-Imperialismus und der NATO, die am liebsten Raketen so in der Ukraine installieren würden, dass man Stalingrad damit erreichen könnte.

Immerhin hat Garbor Steingart ausgerechnet im Handelsblatt geschrieben, die Politik „des Westens“ in der Ukraine sei ein Irrweg und das Meinungsspektrum „wurde auf Schießschartengröße verengt.“ Dem Handelsblatt Kapitalismus-Kritik zu bescheinigen, wäre so, als testierte man Stalin, er habe christliche Nächstenliebe praktiziert.

Nehmen wir einmal folgendes Szenario an: In Deutschland findet ein von einer äußeren Macht geförderter Putsch statt, bei dem die demokratisch gewählte Regierung mit Waffengewalt abgesetzt und durch ein Regime ersetzt wird, in dem die NPD und ihre bewaffneten Kameradschaften einen bedeutenden Einfluss haben. Daraufhin besetzen in Nordrhein- Westfalen aufgebrachte Bürger Rathäuser und Verwaltungsgebäude und errichten Straßensperren, weil sie die Junta in Berlin nicht als legitime Regierung ansehen. Sie fordern Autonomie für ihre Region, wollen dazu ein Referendum abhalten, doch Berlin schickt Panzer und Soldaten, um diese „Separatisten“ und „Terroristen“ zu eliminieren.

Ich verstehe es nicht. Vielleicht hilft eine Verschwörungstheorie weiter. Die Zeit schrieb am 20.09.2013: „Aus Sicht mancher Mitarbeiter in den Sicherheitsbehörden ist die Verbindung von journalistischer Arbeit und einer Tätigkeit für einen Geheimdienst nichts Ehrenrühriges. Ein früherer BND-Präsident hat solche Kumpanei einmal als ‚patriotische Verhaltensweise‘ gerühmt.“

Oder Horst Ehmke müsst ein Update seiner Liste derjenigen Journalisten machen, die auf der Payroll der Geheimdienste stehen.

Horst Ehmke, Kanzleramtsminister der sozialliberalen Regierung, bekam im März 1970 eine Liste zu sehen, „mit Namen und Summen, die mein Erstaunen hervorriefen.“ Erstellt hatte sie die BND-Dienststelle 923, die pro Jahr circa 250.000 Mark für Honorare, Prämien und Spesen für die journalistischen Quellen aufwandte (…) 230 Journalisten waren mit Deckname und „Presseverbindungsführern“ auf der BND-Liste registriert.

Das war 1970. Ich kann mir vorstellen, dass es heute nicht anders ist. Warum auch…