Netzgemeinde oder: In der Meinungsblase

Neu in der Blogroll: deliberation daily.

Dort lesen wir in „über uns“:
Aber viele deutsche Politikblogs nutzen diese Möglichkeiten zu wenig. Mit wenigen Ausnahmen begnügen sie sich damit, selbsternannte Gegenöffentlichkeiten gegen einen vermeintlichen Mainstream sein zu wollen. Aus vielen dieser Netz-Communities sind Meinungsblasen geworden, die sich nur noch selber bestätigen. Andere Meinungen werden reflexhaft abgewertet, eine Auseinandersetzung mit ihnen wird oft gar nicht mehr in Betracht gezogen. Dieses Blog soll sich nicht nur an Leser richten, die mit uns von vornherein einer Meinung sind.

Schön gesagt. Die haben das schon gut erkannt: „selbst ernannte“ Gegenöffentlichkeit und Meinungsblase.

Politikblog. Das heisst, man darf sich nur einem Thema widmen, damit das Publikum, das Politik erwartet, nicht plötzlich mit nackten Brüsten konfrontiert oder gar mit unbekleideten Avatarinnen? Warum soll Politik immer so deutschprotestantisch dröge sein? Aber so isse, die deutsche „Netzgemeinde“ – eine Gemeinde eben, die fromme Lieder singt Lichterketten trägt, Abweichler mit Gemeinschaftsentzug ächtet und nackte Haut igitt findet. Die „Netzgemeinde“ ist dem Mainstream, den sie kritisiert, ähnlicher, als sie selbst zugeben würde.

der alptraum der netzgemeinde

NO sex please, we are the Netzgemeinde!

Die Mentalität der Insassen der Meinungsblase entspricht oft derjenigen, die in den Medien-Anstalten anzutreffen ist. Wenn zum Beispiel ein Redakteur dieses Blog aufrufen würde und zuerst nackte Brüste sähe, würde im Bruchteil einer Sekunde entschieden (vermutlich im Limbischen System), dass der Betreiber „unseriös“ sein muss. Und wenn burks.de in jedem Jugend“schutz“filter auf dem Index steht, werden die Journalisten, die die das Internet immer noch Neuland ist (davon gibt es mehr als genug), moralpädagogisch verängstigt. Man stelle sich nur vor, jemand erteilte mir einen Auftrag, und dem zuständigen Chefredakteur würde dieses Posting ausgedruckt und vorgelegt: „Das geht ja nun gar nicht. Nackte Brüste und zwar mehr und irgendwie aufreizender, als der mediale Mainstream erlauben würde? Was sollen denn die Leserinnen und Leser von uns denken? Der schreibt nicht bei uns.“ So ungefähr läuft das.

Ich will Redakteurinnen nicht unterschieben, dass diese zusätzlich „sexistisch“ dächten – das trifft nur auf die zu, deren intellektuelle Entwicklung seit den 70-er Jahren nicht vorangekommen ist. Seit „Pussy Riot“ sind Brüse wieder zeigbar, aber nur, wenn es dem Politischen dient. In den USA würden Brüste natürlich verpixelt – ein Traum für jeden hiesigen Jugendschatzwart, weil der Anblick der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale bekanntlich die psychische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen hemmt.

Was anstößig ist, bestimmen also das gesunde Volksempfunden und die Netzgemeinde. Da bleibe ich doch lieber das enfant terrible, das netzpolitik.org die Netzgemeinde fürchtet ignoriert.

Es ist erst kurz nach neun Uhr. Ich bin in einer merkwürdig aufsässigen Stimmung und sollte noch mehr Kaffee trinken und von der Palme runterklettern, bevor ich auch noch die wohlwollenden Leserinnen und geneigten Leser dieses Blogs anfange zu verprellen. Ich erwäge also, heute noch etwas Politisches oder Wissenschaftliches zu bloggen (etwa über die Arbeitswertlehre), um dieses unpolitische Posting hier zu konterkarieren.