Ware, Wert, Preis und Profit, revisited

Das Kapital

„Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu versengen“, sagte mein Hausphilosoph Lichtenberg. Das gilt insbesondere im öffentlichen Diskurs in Deutschland, der stark tabuisiert ist, oder auch – um kühn zu metaphern: der so reagiert wie der Pawlowsche Hund – also nach einem vorhersehbaren Reiz-Reaktionsmuster. Wenn ich bestimmte Worte benutze, erzeuge ich hysterische Emotionen, die so standardisiert sind wie eine katholische Messe. Beispiel: Kommunismus oder auch „Karl Marx“.

Frank Rieger vom CCC hat jüngst im gefühlten Zentralorgan der Bourgeoisie, der FAZ, und vermutlich ohne es zu wissen und wollen ein zentrales Theorem des Marxismus für wahr und selbstverständlich gefunden:
Technologische Revolutionen befördern den Gang der Geschichte. (…) …frühe Beispiele eines Prozesses, den unsere Gesellschaften immer wieder durchleben: Die etablierte ökonomische, politische und soziale Struktur wurde inkompatibel mit dem Stand der Technologie.“

Ach. Man möchte das Ministerium für Wahrheit bemühen: „Produktionsverhältnisse“ im Marxschen Sinn heißen jetzt: „die etablierte ökonomische, politische und soziale Struktur“, und „Produktivkräfte“ heißen jetzt „Stand der Technologie“. Man darf Wahrheiten also doch aussprechen, aber man darf nicht die richtigen und bekannten Worte dafür benutzen, sonst stehen gleich alle Bärte in Flammen aka Shitstorm.

Im Kommunistischen Manifest heißt es:
Unter unsren Augen geht eine ähnliche Bewegung vor. Die bürgerlichen Produktions- und Verkehrs-Verhältnisse, die bürgerlichen Eigenthums-Verhältnisse, die moderne bürgerliche Gesellschaft, die so gewaltige Produktions- und Verkehrsmittel hervorgezaubert hat, gleicht dem Hexenmeister, der die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er herauf beschwor. Seit Dezennien ist die Geschichte der Industrie und des Handels nur noch die Geschichte der Empörung der modernen Produktivkräfte gegen die modernen Produktions-Verhältnisse, gegen die Eigenthums-Verhältnisse, welche die Lebens-Bedingungen der Bourgeoisie und ihrer Herrschaft sind. Es genügt die Handelskrisen zu nennen, welche in ihrer periodischen Wiederkehr immer drohenden die Existenz der ganzen bürgerlichen Gesellschaft in Frage stellen. In den Handelskrisen wird ein großer Theil nicht nur der erzeugten Produkte, sondern sogar der bereits geschaffenen Produktivkräfte regelmäßig vernichtet.

Das Kommunistische Manifest wurde 1848 geschrieben, die obige Aussage beschreibt die gegenwärtige Ökonomie immer noch zutreffend. Die Apologeten des Kapitals, zu denen auch die dümmlichen Glaskugel-Gucker, Kaffeesatzleser und die Lohnschreiberlinge in den Wirtschaftsredaktionen gehören, sagen nur „Finanzkrise“ statt „Handelskrise“.

Bei Rieger geht es jetzt aber weiter mit dem gesunden Nerdempfinden:
Nach solchen technisch beförderten Umbrüchen entstanden neue ökonomische und soziale Strukturen. Jede Technologiewelle sorgte für einen Produktivitätsüberschuss.

Nun wären wir beim Thema: Was zum Henker ist ein „Produktivitätsüberschuss“, wissenschaftlich ausgedrückt, also nicht aus dem Bauch heraus? Die wohlwollenden Leserinnen und geneigten Leser ahnen, burksisch vorgebildet, dass es auf das ökononomische Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate hinausläuft, das exakt beschreibt, was dem Auf und Ab im Kapitalismus (in affirmativem Neusprech: „Konjunktur“) eigentümlich ist.

Ich rege mich über Dummheit schnell auf, besonders wenn sie vermeidbar ist – wenn es Bücher gibt, in denen man klare Anworten findet, die Leute aber zu faul und zu ignorant sind, ihren Kopf ein bisschen anzustrengen und das zur Kenntnis zu nehmen, was schon längst analysiert ist.

Ich werde also in Zukunft in loser Folge einen volkstümlichen Kurs über „Wirtschaft“ – aka Ökonomie – hier anbieten, und das Publikum kann das gleich auf mir herumhacken. Wir beginnen mit einem Crashkurs der drei Bände des Marxschen „Kapital„.

In den 70-er Jahren war ich mehrere Semester Tutor der Kapital-Kurse von Wolfgang Fritz Haug, und weil das sozusagen die Bundesliga der Marx-Exegese und ein Ritterschlag war, zudem auch noch privat kostenlose Kurse gegeben. Meine „Kapital“-Ausgabe sieht dementsprechend aus (vgl. oben), Hey, Leute, manche Dinge muss man lerneN: Ein Schwein zu zerteilen, ein Schwert zu schmieden oder auch zu verstehen, was „Wert“, „Ware“, „Preis“ und „Profit“ wirklich sind.

Diese Lesekreise gibt es offenbar heute auch noch; aber es graut mir vor denjenigen, die sie anbieten: Das reicht ein bisschen streng nach Politsekten. Da burks.de garantiert sektenfrei ist, sei dem Publikum versichert, dass es hier um Ökonomie gehen soll und nicht um Ideen des 19. Jahrhundert („Diktatur des Proletariat“), die aus der damaligen Zeit zu verstehen sind und in die Tonne getreten gehören.

Ausblick: Was war noch mal gleich der „Fetischcharakter“ der Ware? „Im Kapitalismus würden den Waren, dem Geld und schließlich dem Kapital Eigenschaften zugeschrieben, die diese in Wahrheit nicht haben,“ steht bei Wikidings. Das, was über Wirtschaft gedacht wird, ähnelt dem Abergauben der Religionen, ist also nicht wahr, sondern Unfug. Und das ist zwangsweise so: Die Mehrheit der Leute kann gar nicht anders, aus historischen Gründen, genausowenig wie ein Bauer im alten Ägypten verstanden hätte, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Die Menschen waren damals nicht blöder, aber der Stand der Produktivkräfte machte es ihnen unmöglich… undsoweiter: Fernrohr, Mikroskop, Mathematik, Physik, ihr wisst, was ich meine. Demnächst mehr in diesem Theater.