Die so genannte Finanzkrise

das kapital

Ich weiß nicht, ob Jacob Augstein jemals die drei Bände des „Kapital“ von Marx gelesen hat; vermutlich nicht, sonst würde er nicht naiv fordern, „die Macht der Märkte“ sollte gebrochen werden. Das ist so, als forderte man eine Schwangerschaft ohne dicken Bauch.

Ich muss zugeben, dass ich auch nicht die rechte Lust habe, Leuten die Welt erklären, die sich weigern, die Bücher zu lesen, in denen sie Antworten auf die Fragen finden würden, die sie noch nicht einmal richtig stellen können.

Wir müssen die Religion, also die höheren Formen des Aberglaubens, zur Hilfe nehmen, um das Phänomen zu erklären, dass die Medien in Deutschland nicht in der Lage sind, die so genannte „Finanzkrise“ in Europa, die gar keine ist, zu erklären, sondern vielmehr wild herumspekulieren und das intellektuelle Niveau der Astrologie mühelos unterschreiten.

Marx‘ zentrale – und bisher nicht widerlegte – These ist, dass die Form der gesellschaftlichen Produktuktion im Kapitalismus in den Köpfen der Akteure eine Art Aberglauben erzeugt, ein falsches Bewusstsein ihres Tuns und der Dinge, die sie schaffen. Der Philosoph Ludwig Feuerbach hatte 1841 in seinem epochalen Werk „Das Wesen des Christentums“ die These aufgestellt, Religion und deren Götter seien nur die Proektion des Menschen seiner selbst:

Die Religion ist nicht einfach „Unsinn“ oder „Aberglaube“, sie ist die bildhafte Äußerung von Eigenschaften und Impulsen, von „Kräften“, die der Mensch als so wichtig und wesentlich empfindet, dass sie für ihn sein „Wesen“, sein eigentliches Menschsein ausmachen: Die Religion ist „identisch … mit dem Bewusstsein des Menschen von seinem Wesen“.

Der Kapitalismus hat seine eigene „Religion“. Was über die Ökonomie geschrieben wird, ist nicht einfach Unsinn oder Aberglauben, sondern dem „Fetischcharakter der Ware“ geschuldet.

Eine Ware scheint auf den ersten Blick ein selbstverständliches, triviales Ding. Ihre Analyse ergibt, daß sie ein sehr vertracktes Ding ist, voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken. (…) Das Geheimnisvolle der Warenform besteht also einfach darin, daß sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen. Durch dies Quidproquo werden die Arbeitsprodukte Waren, sinnlich übersinnliche oder gesellschaftliche Dinge. (…) Es ist nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt. Um daher eine Analogie zu finden, müssen wir in die Nebelregion der religiösen Welt flüchten. Hier scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eignem Leben begabte, untereinander und mit den Menschen in Verhältnis stehende selbständige Gestalten. So in der Warenwelt die Produkte der menschlichen Hand. Dies nenne ich den Fetischismus, der den Arbeitsprodukten anklebt, sobald sie als Waren produziert werden, und der daher von der Warenproduktion unzertrennlich ist.

Das Gefasel von der so genannten Finanzkrise spiegelt exakt diese Ideologie wieder; Marx würde sich kaputtlachen. Das „Finanzkapital“ und „die Märkte“ und deren Epigonen scheinen eigenständig agieren und etwas Böses tun zu können, das uns alle ruiniert -was für ein hanebüchener Quatsch! In Wahrheit steckt hinter dem Protest gegen das „Finanzkapital“ der alte, dem Kapitalismus aber inhärente Aberglauben, es gebe das „gute“ schaffende Kapital und das „böse“ raffende – also das Finanzkapital. Es handelt sich um eine Krise, die dem Kapital immanent ist – und auch nichts Neues.

Schon 1998 hatte die Linke, damals bekannt als PDS, Blödsinn zum Thema publiziert. Partisan.net schrieb damals:

..eine zentrale Denkfigur antisemitischer Ideologie, die über das „raffende“ und das „schaffende Kapital“. Diese Denkweise beinhaltet eine Identifizierung verschwörerischer Mächte, die global agieren würden, wurzellos seien und mittels ihrer Geldmacht im Hintergrund die Fäden ziehen würden, mit dem „raffenden Kapital“. (…) … sind die antisemitischer Ideologie zugrunde liegenden Denkfiguren objektive Gedankenformen, d.h. Formen notwendig falschen Bewusstseins, die durch die Verschleierung des Wesens des Kapitals hinter seinen Erscheinungsformen erzeugt werden. Solch eine im Denken vor sich gehende Mystifikation der Verhältnisse bezeichnete Marx als Fetisch. Waren, Arbeit und Kapital zeigen einen Doppelcharakter, sie erscheinen als in eine konkrete und eine abstrakte Seite, die in einem Gegensatz züinander stehen, gespalten. Die konkrete Seite ist der stoffliche, industrielle Produktionsprozess, die abstrakte Seite sind die über Markt und Geld vermittelten auf die Privatarbeiten wirkenden Zwänge. Die Denkformen der Menschen werden durch diese Erscheinungsformen bestimmt. Die Gesetze der Wertverwertung, über die sich die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen als objektive Zwangsverhältnisse, als „zweite Natur“, die den Menschen gegenübertritt, hinter den Rücken der Menschen durchsetzen, bleiben unverstanden. Die konkrete und abstrakte Seite der kapitalistischen Produktionsweise werden personifiziert und die Ursachen der Erscheinungen werden auf das willentliche Handeln der Gruppen, in denen die Personifizierung vorgenommen wird, zurückgeführt. Nicht durchschaut wird, dass „Unternehmer“ und „Arbeiter“, „Banker“ und „Spekulanten“ nur Charaktermasken (Marx) sind, d.h. die Personifizierungen stehen nur für objektiv notwendige Funktionen im Reproduktionsprozess des Kapitals.

Man muss dazusagen, dass diese Thesen natürlich für die meisten Journalisten intellektuell zu anspruchsvoll sind, zumal Ökönomie an Journalistenschulen nicht gelehrt wird, und wenn, dann auf Klippschulen-Niveau. Der hohle Bauch, der oft gar nicht so gesunde Menschenverstand und das gesunde Volksempfinden sind die Mischung, aus denen sich die Berichterstattung über die Wirtschaft, hierzulande auch bekannt als Kapitalismus, zusammensetzt.

Marx hat schon damals gespottet:

Bisher hat noch kein Chemiker Tauschwert in Perle oder Diamant entdeckt. Die ökonomischen Entdecker dieser chemischen Substanz, die besondren Anspruch auf kritische Tiefe machen, finden aber, daß der Gebrauchswert der Sachen unabhängig von ihren sachlichen Eigenschaften, dagegen ihr Wert ihnen als Sachen zukommt. Was sie hierin bestätigt, ist der sonderbare Umstand, daß der Gebrauchswert der Dinge sich für den Menschen ohne Austausch realisiert, also im unmittelbaren Verhältnis zwischen Ding und Mensch, ihr Wert umgekehrt nur im Austausch, d.h. in einem gesellschaftlichen Prozeß. Wer erinnert sich hier nicht des guten Dogberry, der den Nachtwächter Seacoal belehrt: „Ein gut aussehender Mann zu sein ist eine Gabe der Umstände, aber lesen und schreiben zu können kommt von Natur.“

Und jetzt zu etwas ganz Anderem.

Die Rosa Luxemburg Stiftung hat eine hübsche Broschüre (pdf) herausgegeben: „Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen! – 20 beliebte Irrtümer in der Schuldenkrise.“ So etwas bekanntlich in Deutschland kaum ein Journalist, es stammt ja – igitt – von den Linken. Auch dort lesen wir immer etwas von den pöhsen Märkten. Ich erwarte von den Linken natürlich nicht, dass sie Marx gelesen und verstanden haben, daher bin ich nicht enttäuscht. Immerhin stimmen die Fakten:

Faktenlage: Der griechische Staat hat rund 350 Mrd. Euro Schulden. Die Gläubiger sind: griechische Banken (23 %), andere griechische Gläubiger (20 %), Regierungen der Euro-Zone (12 %), Europäische Zentralbank (18 %), Internationaler Währungsfonds (4 %), andere ausländische Gläubiger/Banken (23 %)32. Um Griechenland zu retten, könnten die Geldgeber auf einen Teil der vergebenen Kredite verzichten.
Einordnung: Das klingt gerecht, denn so würden die Finanzanleger an der Entschuldung Griechenlands beteiligt. Gleichzeitig lauern hier aber schwer wiegende Risiken. Erstens würden damit den Banken große
Verluste entstehen.

Ach was. Guckst du hier bei Wikipedia. „Trotz hoher Staatsverschuldung erhielt der griechische Staat lange Zeit zu fast den selben Bedingungen Kredite wie EU-Staaten mit deutlich niedrigerer Staatsverschuldung. Die Finanzmärkte erzwangen so keinen Kurswechsel der griechischen Finanzpolitik. Demnach bestand die Erwartung eines Bail-outs durch andere EU-Staaten“. Quod erat demonstrandum.

Da kommen uns natürlich die Tränen ob des „Risikos“. Und natürlich waren die französischen Banken am meisten beteiligt, als es darum ging, den Griechen Kredite anzudrehen, damit diese deutsche Waffen kaufen konnten – immerhin für 14 Milliarden Euro!

Ich übrigens wollte herausfinden, wie der Reichtum in Griechenland verteilt ist. Ein Blick auf die Kapitalflucht der herrscheden Klasse in Griechenland ist hier sehr interessant.

Ergo: Es geht darum, denen da unten möglichst viel wegzunehmen und denen da oben das durchzureichen. Wie immer im Kapitalismus. That’s not a bug, its a feature.

rosa luxemburg stiftung

By the way, Rosa Luxemburg Stiftung: Wenn ihr wollt, dass jemand eure gesammelten Werke liest, dann sollten die Links auf eurer Website funktionieren. Nicht jeder wird Lust haben, die Broschüren mühevoll selbst zu suchen.