News of the World – ein Nachruf

News of the world

Dieser Artikel von Roger Boyes erschien unter dem Titel „Journalisten sind Verräter“ im Medienmagazin Berliner Journalisten (heute: Nitro), Ausgabe 3, 2005. Er ist immer noch aktuell. News of the World wird am 10.07.2011 eingestellt.

Jedes Jahr feiert die britische Presse, wie auch die deutsche Presse, sich selbst. Bei den Briten läuft das natürlich ein bisschen anders ab. Man betrinkt sich, man flüstert sich boshaften Tratsch zu; manchmal gibt es eine Schlägerei in den Gängen eines teuren Grandhotels, in dem die Preisevergabe stattfindet.

Die britische Presseauszeichnung „Scoup of the Year“ – das journalistische Äquivalent zum Oskar – ging dieses Mal [2005] an News of the World, ein Revolverblatt. Der Medien-Oskar wurde für eine Geschichte verliehen, mit der erstmal die Identität der Geliebten von Fußballstar David Beckham enthüllt wurde.

Das Wort „scoop“ hat eine ganz spezielle Bedeutung. Gemeint ist eine Zeitungsmeldung, die etwas von größtem öffentlichen Interesse aus Licht bringt, häufig nach wochen- oder monatelangen Recherchen. David Beckhams Geliebte hingegegen war gekauft: Sie hatte eingewilligt, die erotischen Textnachrichten, die sie von dem Spieler erhalten hatte, an News of the World zu verkaufen.

Als der „Scoop“-Preisträger verkündet wurde, ging ein Ächzen durch den Raum. Ein Journalist, der über mehrere Monate hinweg korrupten Machenschaften in der UN nachgespürt war, verließ den Raum und übergab sich im Herrenklo. Elf leitende Redakteure verkündeten, sie würden nicht mehr an der alljährlichen Zeremonie teilnehmen. „Dies ist das Ende des investigativen Journalismus“, sagte einer, „Berichterstattung ist zur Farce verkommen.“

Und doch steckte mehr Leben, mehr journalistischer Geist in diesem lächerlichen Revolverblatt als in der gesamten deutschen Presselandschaft. Die News-of-the-World-Geschichte war zwar so wertlos wie eine Weimarer Banknote. Doch im Auftrag just dieser Zeitung arbeitet ein Redakteur namens Mazher Mahmood, dessen Veröffentlichungen bereits in 118 Fällen dazu beigetragen haben, Pädophile, Schleuser, Fälscher, russische Mafiosi und Hochstapler zu überführen. Er ist sieben Mal zusammengeschlagen worden und mittlerweile in ständiger Begleitung eines Bodyguard. Das Haus seiner Eltern in Birmingham wurde bereits von einer Straßenbande mit Macheten überfallen. Zu allem Übel kommt die Ablehnung seiner Kollegen: Mahmood ist ein Außenseiter. Für mich ist so eine Art postmoderner Held. Er hat etwas von Walraff. Beide setzen auf Verkleidungstaktiken, aber Mahmood ist professioneller als jener.

Mahmood arbeitet mit einem Team von Mitarbeitern, inklusive Technikern, die Gespräche mutmaßlicher Verbrecher abhören. Über das Internet werden Kontobewegungen nachvollzogen; aus dem Mobilfunknetz werden Daten abgesaugt und analysiert.

Kürzlich sagte er in einem Interview: „Ich habe etwa 40 000 Britische Pfund für Geschichten investiert, aus denen am Ende nichts geworden ist, und niemand in der Redaktion hat sich beschwert. Es ist ein Geschäft, da braucht es Investitionen. Unser Geschäft ist es, Zeitungen zu verkaufen. Die entscheidende Frage ist: Worüber sprechen die Leute in den Kneipen? Sprechen sie über deine Geschichte, so ist das viel mehr wert als eine journalistische Auszeichnung. (…)

Meinungsumfragen zeigen, dass das öffentliche Ansehen von Journalisten in Großbritannien gegen unter Null tendiert, gleich dem von Immobilienmaklern und minimal über dem von Kinderschändern. Das ist gesund. Journalisten sollten gefürchtet, nicht geliebt werden, so die angelsächsische Lektion.“