Sie werden assimiliert, revisited

Ich verstehe das mediale Rauschen über Thilo Sarrazin nicht. Man kann seinen Thesen nur deshalb nicht entgehen, weil alle Medien sie breit wie Quark treten – inklusive Vorabdruck im Spiegel und Promotion in Bild.

Sarrazins Sprechblasen sind doch nichts Neues, Roland Koch und viele andere haben Ähnliches gesagt, schon seit Jahrzehnten. „Kulturelle Identität“ – wer ist eigentlich identisch mit was? Ich konnte mit dem Begriff noch nie etwas anfangen. Wenn man in diese Blase piekst, gibt es ein dumpfes Plopp und der vorher schon gar nicht real existierende Inhalt verschwindet spurenlos. Es ist nur zum Gähnen. Darf ich an meinen hiesigen Artikel vom 26.06.2007 erinnern?

Was also ist und zu welchem Ende betreiben wir also Integration? Ulrich Herbert hat das in seinem klugen Buch über die „Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland“ (erschienen 2000) knapp formuliert: „Tatsächlich aber wird die Debatte um den Zuzug von Ausländern in Deutschland seit etwas 120 Jahren unter den im wesentliche gleichen Fragestellungen und mit den gleichen Frontlinien geführt.“ Wo also bitte geht’s zur Front?

Integration bedeutet: Die Ware Arbeitskraft sollte dem Markt potenziell uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Die große Illusion ist: Einwanderung, also die Mobilität von Menschen, sei politisch, ökonomisch und juristisch steuerbar. Dieser Fiktion unterliegen beide „Parteien“: Völkische Lobbyisten wie Schäuble, die von einer Kulturnation unter dem Banner der Verehrung bestimmter höherer Wesen träumen, denken irrig, man könne durch Vorschriften das eherne Gesetz des Kapitalimus außer Kraft setzten – dass die Ware Arbeitskraft dorthin geht, wo es Arbeit gibt. Wer hingegen die Grenzen in Europa niederreißen will, argumentiert moralisch hochwertig, löst aber kein Problem und keinen Konflikt.

Man muss dem Kerl dankbar sein. Niemand spricht deutlicher aus, was das Kapital über die Ware Arbeitskraft denkt. Nicht vergessen: Sarrazin ist bei der Bundebank. Die denken so, sie müssen so denken als Charaktermasken und Erfüllungsgehilfen der eisernen ökonomischen Gesetze. Wie Marx es schlicht formulierte: „Aber es handelt sich hier um die Personen nur, soweit sie die Personifikation ökonomischer Kategorien sind, Träger von bestimmten Klassenverhältnissen und Interessen. Weniger als jeder andere kann mein Standpunkt, der die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen naturgeschichtlichen Prozeß auffaßt, den einzelnen verantwortlich machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er sozial bleibt, sosehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag.“

Sarrazin hält sich nicht mit Sozialgedöns auf, mit Pseudo-Moraltheologie à la Ex-Bischöfin K., das die Köpfe der Leute doch nur benebelt mit der irrigen Idee, man müsse nur genügend nett zueinander sein, damit der Kapitalismus Reichtum und Glück für alle schaffe. Sarrazin ist die Posaune des nackten Kapitalinteresses: Der Mensch ist kein Mensch, sondern nur die Ware Arbeitskraft, die nützlich ist oder eben nicht. Das Sarrazinsche Gefasel über den Islam ist irrelevant. Vor 150 Jahren hätte er den Katholizismus der eingewanderten Polen genommen, um Einwandererbashing zu betreiben.

Der Titel des Buches führt in die Irre. Es geht um nur eine Frage: Wie soll das Deutsche an sich, das eine Fiktion ist, definiert werden, dass es dem Verwertungsinteresse dem Kapital am meisten nützt? Unnütze Esser steckt man heute nicht mehr ins KZ, sondern lässt sie gar nicht mehr hinein ins Land. Die industrielle Reservearmee ist schon groß genug, um die Arbeiter niederzuhalten und auszubeuten, ohne dass sie das Wort Rebellion auch nur buchstabieren könnten.

Die Salonfaschisten in der Jungen Freiheit geben die Ergüsse Sarrazins kommentarlos wieder. Den Lesern muss das nicht erklärt werden, die verstehen sofort. Das kennen sie von der NPD auch, nur dämlicher formuliert.

Hübsch fand ich Nics Blog über Sarrazins prophetischen Versuche, etwas über Deutschland Demografie in 300 Jahren (!) zu sagen: „So wichtig hat sich nicht einmal das römische Imperium genommen.“