Lest mal!

„Was ich so von tag zu Tag mit mir anfange? ich schreibe, wenn ich kann, und ich schreibe nicht, wenn ich nicht kann. (…) Ich bekomme dauernd Aufsätze zu Gesicht, in denen Schriftsteller sich darüber auslassen, dass sie grundsätzlich nie auf Inspiration wareten; sie setzen sich einfach jeden Morgen um acht an ihren kleinen Schreibtisch, ob’s regnet oder ob die Sonne scheint, ob sie einen Kater haben oder einen gebrochenen Arm oder was weiß ich sonst, und knallen ihr bisschen Pensum hin. Wie leer ihr Kopf auch sein mag und wie öde alles, was ihnen durch die Gedanken trudelt, mit solchen Quatsch wie Inspiration haben sie nichts im sinn. Ich entbiete ihnen meine Bewunderung und gehe ihren Büchern sorgfältig aus dem Weg.

Ich hingegen, ich warte auf Inspiration, obwohl ich sie nicht unbedingt bei diesem Namen nenne. Ich glaube, dass alles Schreiben, das auch nur etwas Leben in sich hat, aus dem Slarplexus kommt. Es ist harte Arbeit insofern, als man hinterher todmüde sein kann, sogar total erschöpft. Im Sinne bewusster Bemühung freilich ist es überhaupt keine Arbeit. Wichtig ist dabei vor allem eins: der Berufsschriftsteller sollte einen bestimmten Zeitraum haben, sagen wir mindestens vier Stunden am Tag, wo er nichts anderes tut als schreiben. Er muss nicht unbedingt schreiben, und wenn ihn nicht danach ist, sollte er’s auch nicht versuchen. Er kann aus dem Fenster schauen oder einen Kopfstand machen oder sich auf dem Fußboden schlängeln, aber er soll nichts vollkommen anderes tun, soll nicht lesen, Briefe schreiben, in Zeitschriften blättern oder Schecks ausfüllen. Entweder schreiben oder gar nichts.“ (Raymond Chandler: „Die simple Kunst des Mordes„, meine völlig zerlesene Ausgabe Zürich 1975 (ich mag nur Übersetzungen von Hans Wollschläger, ohne ihn hätte ich eines der größten Werke der Weltliteratur, den Ulysses, nie verstehen können.

Ich lese gerade – immer noch mit großem Vergnügen – einen ungarischen Schriftsteller: Attila Bartis: „Die Ruhe“ (Duhrkamp), Freiburg 2005. Mein Verdikt, das Buch sei langweilig, nehme ich mit dem allergrößten Bedauern zurück. Vielleicht habe ich in zu kleinen Häppchen gelesen (ja, auf dem Klo). Das Buch hat den allerschwärzesten Humor, den man sich vorstellen kann, mit einem gehörigen Schuss Melancholie und Absurdistan frei nach Kafka. Ein Schriftsteller lebt mit seiner geisteskranken Mutter zusammen, einer exatierten Ex-Schauspielerin.
„Wowarstdumeinsohn?
Ich war nur spazieren, Mutter.
Wasch dich wenigstens, bevor du das nächste Mal heimkommst. Du stinkst nach Kölnischwasser.
Tut mir leid, Mutter.
Das ist wohl wieder so eine billige kleine Nutte. Die so ein Parfüm benutzen, sind alle Nutten.
So hat das doch alles keinen Sinn, Mutter.
Du hast mir nicht zu sagen, was Sinn hat. Wasch dir lieber den Vaginageruch ab, bevor du heimkommst, verstanden?“

Dann lese ich noch „Tod am Tocuyo – Die Suche nach den Hintergründen der Ermordung Philipps von Hutten 1541-1550″ sowie zum wasweißweißcihwievielten Male eines der besten und interessantesten Bücher, das ich jemals gelesen habe (nichts für intellektuelle Warmduscher): Giorgio de Santillana, Hertha von Dechend: Die Mühle des Hamlet. Ein Essay über Mythos und das Gerüst der Zeit. Berlin 1992. ISBN 3-926763-23-X.

Aus einem Nachruf: „Um von Dechends theoretisches Konzept weitgehend zu verstehen, benötigt man unermeßliche Kenntnisse, vor allem aber unumstößliche Überzeugung davon, dass man vor zehntausend Jahren genauso wie wir heute zum Denken fähig war – ganz zu schweigen von dem Willen jede alte Sprache zu verstehen. Ohne diese Bereitschaft, und ohne ungeheuren Fleiß, kann man zwar die dechendschen Erkenntnisse auf jede Ebene beliebig reduzieren, trotzdem gerät man in Gefahr sich in der Fülle des historischen Stoffes zu verlieren. In Anflügen von Selbstironie erzählte mir von Dechend hin und wieder, sie sei überall sowohl von fachlichen Feinden als auch von Anhängern, diese jedoch meist schlichten Gemüts, umgeben“.

Mir scheint, die Kritiker Dechends haben das Buch gar nicht oder nur flüchtig gelesen oder sind schlicht beleidigt, dass ihnen fundmentale Irrtümer nachgewiesen wurden. Man sollte übrigens diese Website zur Hand haben, wenn man sich an Hamlets Mühle traut: „Studies of Occidental Constellations and Star Names to the Classical Period“.