Falschmeldung der Tagesthemen zu Exit

Tagesschau

Medien, das wissen wir nicht erst seit Hal Faber von heute, betreiben nicht nur Aufklärung, sondern auch Volksverdummung. Wir alle machen Fehler. Ärgerlich wird es nur, wenn diejenigen, die Falschmeldungen verbreiten, diese weder zugeben noch korrigieren. Die Tagesthemen vom 06.09.2008, 23.15 Uhr, sind ein lehrreiches Beispiel dafür, dass bei bestimmten Themen nicht Recherche, sondern unkritische Public Relations und das Motto „Kopf ab zum Gebet“ angesagt ist.

Die Kernsätze des Beitrags über „Aussteigerprogramme“ für Neonazis: „Die Szene“ werde „immer aggressiver“ (der Komparativ ist bei alarmistischer Attitude gesetzt). „Wer aus der aktiven Neonazi-Szene aussteigen will, dem droht meist brutale Rache.“ – „Das geht kaum ohne Hilfe.“

Das ist natürlich eine urbane Legende und kompletter Unfug. Die Autoren Boris Hermel und Martin Polansky haben offenbar nicht recherchiert, sondern blind alles übernommen, was ihnen von Exit Deutschland eingeflüstert worden ist. [Beim RBB wollte man mir den telefonischen Kontakt zu Hermel wegen einer Stellungnahme nicht herstellen.] Wenn jemand, der den Aussteig zum Beruf gemacht hat wie Matthias Adrian, der „Kronzeuge“ bei Exit, von einer „Hetzjagd im Internet“ faselt, dann muss man jedes Wort überprüfen. Die Fakten sprechen gegen Adrian – die vermeintliche Bedrohung existiert nicht, sondern dient nur der Selbstvermarktung.

Vater aller „Neonazi-Aussteiger ist übrigens Richard Scheringer. Zahlreiche Ex-Nazis haben Bücher geschrieben oder können bestätigen, dass der Ausstieg aus einem sektenähnlichen Milieu keinesfalls gefährlich ist: Ingo Hasselbach, Danny Thüring, Detlef Nolde, Michael Petri, Gabriel Landgraf, Tanja Privenau, Odfried Hepp, Jan Zobel, Stefan Michael Bar, Stefan Jähnel, Jörg Fischer, Michael Wobbe, Christine Hewicker, Nick W. Greger, Torsten Lemmer und Norbert Weidner. Wenn es Hermel und Polansky um ernsthaften Journalismus gegangen wäre, hätten sie mehr als eine Quelle befragt. Bei diesem Thema findet man das aber kaum, sondern nur Lichterkettenträgerei und Moraltheologie mit den seit zwei Jahrzehnten sattsam bekannten sinnfreien Textbausteinen.

Die eigentliche Falschmeldung ist aber die These, das Bundesarbeitsministerium habe den Förderantrag von Exit abgelehnt. Offenbar hielt es die Redaktion der „Tagesthemen“ noch nicht einmal für nötig, dort nachzufragen. Ich habe es getan. Der Antrag war noch gar nicht beschieden worden und wies auch, wie bei anderen Antragstellern, formale Mängel auf. Exit hat also schlicht gelogen. Auf meine Nachfrage bei Exit wurde behauptet, die Lage sei „noch unklar“. Am letzten Montag sei ein Gespräch mit dem Ministerium angesetzt. Auch das war frei erfunden – das Bundesarbeitsministerum wusste davon nichts.

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Ich habe die „Tagesthemen“ drei mal per E-Mail zu einer Stellungnahme aufgefordert – eine Antwort bekam ich nicht. Vielleicht ist die E-Mail in einem virtuellen Bermuda-Dreieck verschwunden, vielleicht ist das Thema auch zu unwichtig, als dass man sich damit befassen müsste.
„Lieber Kollege Hinrichs, ich hätte gern eine Stellungnahme der Redaktion der ‚Tagesthemen‘ zur Sendung vom 06.09.2008, 23.15 Uhr „‚Initiative „Exit‘ für Aussteiger aus der Neonazi-Szene vor dem Aus“.
1. Die Autoren Boris Hermel und Martin Polansky behaupten, das Bundearbeitsministerium habe den jüngsten Förderantrag von Exit abgelehnt. Welche Quelle gibt es für diese These? Die zuständige Stelle im Bundesministerium für Arbeit und Soziales sagt auf Anfrage, über den Antrag sei noch gar nicht entschieden worden.
2. Welche unabhängigen Quellen gibt es für die These, Exit habe 290 Rechtsextremen zum Ausstieg verholfen? Wurde diese Behauptung überprüft oder beruht sie ausschließlich auf der Selbstdarstellung von Exit?
3. Welche Belege gibt es für die in der Sendung aufgestellte These, Aussteigern aus dem rechtsextremen Milieu drohe „meist brutale Rache“?
4. Warum wird in der Sendung nicht erwähnt, dass Exit auch vom Bundesfamilienministerium gefördert wird?“

Das Hamburger Abendblatt verriet vor fünf Jahren unfreiwillig, wie die Aussteiger-Zahlen von Exit zustandegekommen sein könnten, wenn überhaupt etwas Wahres dran ist: „170 Ausstiegswillige wurden bis heute von „Exit“ betreut. 35 von ihnen haben den Ausstieg geschafft.“ Aber sicher: Jeder, der dort anruft, ist damit offenbar gleich ein „Aussteiger“ und schönt die Statistik. Was „Ausstieg“ bedeutet, kann ohnehin niemand überprüfen.

Man darf sich als Journalist auch mit der „guten Sache“ nicht gemein machen, also auch nicht lügen, um dem Guten zu helfen. Ich zweifele daran, dass „Aussteigerprogramme“ etwas „Gutes“ sind. Man könnte sie ersatzlos streichen, und niemandem würde das unangenehm auffallen. Sie dienen ohnehin der Politik nur als moralischen Feigenblatt. „Gut“ ist die Berichterstattung über das Thema, weil sie als pädagogisch wertvolles Paradebeispiel für mangelnde Recherche und den desaströsen Zustand des Journalismus in Deutschland dienen kann.

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Kommentare

2 Kommentare zu “Falschmeldung der Tagesthemen zu Exit”

  1. 6 vor 9 » medienlese.com am September 22nd, 2008 8:54 am

    […] 5. “Falschmeldung der Tagesthemen zu Exit” (burks.de, Burkhard Schröder) “Die eigentliche Falschmeldung ist aber die These, das Bundesarbeitsministerium habe den Förderantrag von Exit abgelehnt. Offenbar hielt es die Redaktion der ‘Tagesthemen’ noch nicht einmal für nötig, dort nachzufragen. Ich habe es getan. Der Antrag war noch gar nicht beschieden worden und wies auch, wie bei anderen Antragstellern, formale Mängel auf.” […]

  2. Kay Diesner: “Ich will mit der Nazi-Scheiße nichts mehr zu tun haben” | Detlef Nolde am März 30th, 2013 1:15 am

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