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Dieser Text erschien in leicht veränderter Form am 4.8.1997 in der taz | . | Das Netz des Berliner Neonazi-Terrors |
Wer Kontakt zu Amokläufern, Bomben-Attentätern oder Messerstechern sucht, muß sich nur lange genug vor einer Wohnung in der Osloer Straße in Berlin-Wedding postieren. Hier verkehrt diese Art von Menschen häufig und gern. Die Sicherheitskräfte kennen die Sachlage seit Jahren. Man kann davon ausgehen, daß die besagte Wohnung im zweiten Stock ab und zu observiert wird. Die Nachbarn leben zur Zeit jedoch unbeschwert, denn der Mieter Arnulf-Winfried Priem, einer der wichtigsten Neonazi-Anführer Deutschlands, sitzt im Gefängnis, wegen "Bildung eines bewaffneten Haufens" und anderer einschlägiger Delikte. Am 13. August 1994 stürmte die Polizei wieder mal das Domizil Priems. Sie nahm eine Reihe von Neonazis fest, die sich dort verbarrikadiert hatten, um sich gegen den nur vermuteteten Angriff von Antifaschisten zu verteidigen. Die Beamten stellten 200 Gramm Sprengstoff, Molotow-Cocktails und ein umfangreiches Arsenal von Waffen und waffenähnlicher Gegenstände sicher. Gäbe es eine rechtliche Handhabe, jemanden zu verhaften, um Schlimmeres für die Zukunft zu verhüten, dann würden drei Menschen heute noch leben und einer wäre kein Krüppel. Unter den 20 Männern, die Priem um sich geschart hatten, war Detlef Nolde, der im April 1997 dem Berliner Lutz Schillock assistierte, als der zwei "Kameraden" aus Wittenberg mit einem Messer aus nichtigem Anlaß ins Jenseits beförderte. Und Kai Diesner, gegen den ab dem 8. August in Lübeck verhandelt wird. Diesner schoß im Februar mit einer Pumpgun einem Berliner Buchhändler die Hand ab und ermordete wenig später auf einer Autobahnraststätte bei Lauenburg einen Polizisten und verletzte einen anderen schwer. So etwas kann jederzeit wieder passieren. Eine Prophylaxe gibt es nicht. Der gelegentliche Amoklauf gehört bei Nationalsozialisten zum weltanschaulichen Programm. Die Drahtzieher der Szene distanzieren sich zwar regelmäßig von denen, die jetzt schon zu den Waffen greifen und das praktizieren, was sie vorher gelernt haben. Trotzdem sind sie die Verantwortlichen: Die Amokläufer haben bei anderen denken lassen und weiten ihre individuelle Katastrophe und Ausweglosigkeit des politischen Lebensentwurfs auf andere und Unschuldige aus. Der Amokläufer bleibt sich bis zum Untergang nibelungentreu. Das hat sektiererische Züge: die kleine, verschworene Gemeinschaft mit esoterischem Wissen, das übermächtige Böse, das eindeutig erkannte Ziel (im Zweifelsfall die Weltherrschaft), der Führer, und die vielen, die noch uneinsichtig sind, die selbst daran schuld sind, wenn sie von der guten Sache nicht überzeugt sind und die Folgen zu tragen haben. Und bist du weltanschaulich nicht willig, so brauche ich Gewalt. So wird sich das Diesner in seinem kruden politischen Verfolgungswahn gedacht haben. Nationalsozialismus, das Verhalten gegenüber Polizei und Justiz und Waffenkunde lernte Diesner beim ehemaligen "Führer" des Ostens Ingo Hasselbach in dessen Kampfgruppe "Nationalrevolutionäre Sozialisten". Für die esoterische und neuheidnische Unterfütterung war Winfried-Arnulf Priem zuständig. Ein mal pro Woche erschien Diesner ab 1991 im Wedding, um sich in Germanenkunde einweisen zu lassen. Priem ist spezialisiert darauf, Jugendliche mit antisemitischen Verschwörungstheorien und Rassenwahn auf den rechten Weg zu bringen. Nicht zufällig hängt in seinem Wohnzimmer, neben unzähligen NS-Symbolen auf Untersetzern, Untertassen und Unterhosen, ein Bild des SS-Führers Reinhard Heydrich, der mit der "Endlösung der Judenfrage" befaßt war. Priem ist von niemandem zu einem "Führer" oder "Kader" ernannt worden. Wer sich aber schon seit über 30 Jahren offen zum Nationalsozialismus bekennt und einschlägig aktiv ist, hat einen Überblick über das gesamte Personal der ultrarechten Szene. Der langhaarige Nazi kokettiert gern mit Militärkleidung, Totenkopf-Stirnband und "I love Eva Braun"-Button. Priem, geb. 1950, gelernter Industriekaufmann, stammt aus Berlin-Adlershof, saß in der DDR wegen "Unzucht" und "staatsfeindlicher Propaganda" ein und wurde vom Westen freigekauft. Priem machte dort weiter, wo er aufgehört hatte, wurde Landtagskandidat der NPD und Mitglied der DVU und gründete in Freiburg die neonazistische "Kampfgruppe Priem", die 1978, nach seinem Umzug nach Berlin, dort sogar im Telefonbuch zu finden war. Kein Journalist vergaß, in den zahlreichen Artikeln über den redegewandten Nazi-Anführer die Maschinengewehrsalve zu erwähnen, die der auf dessen Anrufbeantworter lauschen konnte. Für viele Ost-Nazis wurde Priem eine Art Vaterfigur: Er galt als einer der ihren, hatte schon zu DDR-Zeichen die westliche Dekadenz in Form der "Rolling Stones" und die SS-Runen auf seinen Arm tätowiert und setzte sich auch sonst über fast jedes gesellschaftliche Tabu hinweg. Seine Wohnung war Anlaufstelle für Militaria-Fetischisten wie Bendix Wendt, der im Beisein des Autors das Rohr einer Wehrmachts-Panzerfaust auf den Tisch Priems knallte, die er in den Wäldern Brandenburgs ausgebuddelt hatte. Im braunen Sumpf der Hauptstadt stitt man sich darüber, ob es "Grabschändung" sei, die Orden der Soldaten auf den "Heldenfriedhöfen" aus den Urnen zu klauen - was Priem vorgeworfen wurde. Als Einstiegsdroge für die neonazistische Szene bot Priem die Kombination aus neuheidnischer Esoterik und Waffen - eine brisante Mischung, die seit 20 Jahren immer wieder einschlägige Folgen hat. Schon 1979 stellte die Polizei in seiner Wohnung ein Maschinengewehr sicher. Im September 1982 verübten zwei Männer einen Sprengstoffanschlag auf ein von Türken bewohntes Haus in der Weddinger Bellermannstraße. Vor Gericht sagten sie aus, sie hätten sich über die "Kampfgruppe Priem" kennengelernt. Die "Kampfgruppe" nannte sich später "Wotans Volk" und ist, laut Priem, Teil des neuheidnischen "Asgard-Bundes". In diesem völkischen Zirkel schulen sich künftige Nazis über die "Rassentypen des deutschen Volkes". Priem fungierte als Herausgeber des "Nordisch-Germanischen Jahrweisers" und dilettierte, wie der Führer höchstderoselbst, in den schönen Künsten. Während einer seiner Gefängnisaufenthalte schrieb er einen schaurigen Roman über die alten Germanen. Für die Schulungen wurden externe "Dozenten" wie der Neonazi Michael Pflanz engagiert. Der traktierte schon 1983 Skinheads mit Vorträgen über "Bedeutung und Wesen der Frau im Heidentum" und "Nachrichten über die Goten, Vandalen und Langobarden." Neben den Juden galt der "Balkensepp" des Chistentums als Hauptfeind. Motto des Neuheidentums: Der arische Übermensch wird von minderen Rassen fortwährend bedroht und muß sich, notfalls mit Gewalt, dagegen wehren. Kein Wunder, daß sich schlichte Gemüter wie Kai Diesner davon angesprochen fühlen - "Weißer arischer Widerstand" ist einer der Lieblingslogos der Neonazi-Szene. Priems weltanschauliche Groupies suchten häufig weniger den organisierten Neonazismus als die Legitimation ihrer Lebenshaltung, einer Welt von Feinden gegenüberzustehen. Unterordnung oder Feindschaft - alles andere ist vom Übel. Die Nebenwirkungen der verquasten Ideologie sind verheerend: Gewalt und der Einsatz von Waffen sind Prophylaxe - sie werden eingesetzt, weil je eh nichts anderes mehr hilft, damit die anderem einem nicht zuvorkommen. Der Polizistenmörder Diesner ist auf seinen Mentor Priem nicht mehr gut zu sprechen, weil Priem sich während seiner letzten Gerichtsverhandlung nicht offen zum Nationalsozialismus bekannt hat. Diesner nennt Priem nur noch den "Hühnerficker". Diese Lebenshaltung muß nicht immer politisch sein, aber Tote gibt es immer öfter. In der Silvesternacht 1985 wurde Ulrich Jahnke, der Chef der Berliner Grundkreditbank, erschossen. Vier Männer wollten ihn in seiner Villa berauben. Einer der jugendlichen Täter, Frank Ch., galt als Waffennarr und hatte schon bei Schießübungen auf dem Anhalter Bahnhof einen Polizeihund getötet und den Hundeführer verletzt. Während des Prozesses stellte sich heraus, daß der Jung-Nazi Ch. auch eine Rentnerin überfallen und so geknebelt hatte, daß die Frau erstickte. Ch. war Mitglied des "Freizeitvereins Wotans Volk". Seit den 80er Jahren pilgerten Nazis nach Berlin, um sich aus Priems umfangreicher Bibliothek nazistisches und esoterisches Schrifttum auszuleihen. Das hatte sich schon bald im Osten herumgesprochen, weil einer der engen Vertrauten Priems, Andreas Pohle, später einer der Chefs der "Nationalistischen Front", gute Kontakte zu Hooligans des FC Dynamo pflegte. Auch Waffen waren im Wedding immer zu haben. Priem hat einschlägige und allerbeste Verbindungen. Schon 1986 wurde einer seiner Kontaktmänner, ein Kreuzberger Ladenbesitzer, festgenommen. der einem Interessenten aus der ultrarechten Szene eine Maschinenpistole verkauft hatte. Die Polizei fand Waffen im Wert von über 40000 DM. Und nach der Wende blühte das Geschäft erst recht auf: Ein polnischer Autohändler aus Kreuzberg verschaffte den Nazis alles, was sie benötigten: Nebelkerzen, Pistolen, Übungshandgranaten. Die Waffen wurden in einer Kneipe an der U-Bahn-Station Mehringdamm übergeben, Mittelsmann war der ausgestiegene Ost-Berliner Nazi Ingo Hasselbach. Priem gehörte zu den Käufern, einer seiner engsten Freunde, der Terrorist Ekkehard Weil, orderte Sprengzünder. Auf das Konto Weils gehen u.a. ein Mordanschlag auf einen russischen Soldaten, Brandstiftung, Körperverletzung, ein Bombenanschlag auf die Parteizentrale der SEW in Berlin, ein Bombenanschlag auf ein jüdisches Kaufhaus in Wien und auf das Wohnhaus von Simon Wiesenthal. Die Bräute der Jung-Faschos aus Lichtenberg durften Weil die Butterbrote schmieren, als er geruhte, 1991 in dem von Nazis bewohnten Haus in der Weitlingstraße den Bau von Molotow-Cocktails zu überwachen. Damals wurden die Kontakte geknüpft, die den brauchen Nachwuchs wie den Polizistenmörder in die Szen einbanden: Der Neonazi Sven Bieber aus Berlin-Reinickendorf verkehrte ebenfalls im Dunstkreis von Priem und handelte mit Waffen. Bieber ging während eines Fußballspiels in Prag mit einem Messer auf einen Polizisten los. Er ist dort zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Wegen der Waffendeals sitzt noch niemand hinter Gittern, die Berliner Staatsanwaltschaft bastelt seit Jahren an einer Anklageschrift. Mit von der Partie sind auch der Neonazi und Kroatien-Söldner Oliver Schweigert, ein langjähriger Vertrauter Priems, sowie der ehemalige Chef der neonazistischen "Nationalen Alternative", Frank Lutz. Es gibt Probleme, den eigentlichen Drahtziehern etwas nachzuweisen. Neben Priem gilt der Neonazi Andreas T. als derjenige, der den Polizistenmörder Diesner so richtig scharf machte. Diesner gab dem am Tag vor der Tat sein Handy mit dem Hinweis, das brauchte er jetzt nicht mehr. Daß die Wohnung Priems auf absehbare Zeit verwaist sein wird, tut dem Zusammenhalt der Szene keinen Abbruch. Die zukünftigen Diesners, Weils und Noldes haben einen neuen Treffpunkt, wo sie unbehelligt Pläne schmieden und antisemitische Hetzblätter an die Bevölkerung verteilen. Frank Lutz hat in der Lichtenberger Fanningerstraße ein Tattoo-Studio eröffnet. Dort gehen die Nazis ein und aus. Auch ein prominenter Österreicher wurde dort gesehen - der soeben aus der Haft entlassene Günter Reintaler, ein Terrorist, der wegen Neugründung der NSDAP und wegen diverser Brandanschläge einsaß.
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