Beten, Bomben, Bahnsteigkarten im Hauptbahnhofklozentrum

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Heute habe ich eine Führung im Hauptbahnhof Berlin gemacht – meine Eltern leben zwar in Berlin, hatten ihn aber bisher noch nicht zu Fuß erkundet. Und mit 85 macht man das auch nicht so einfach.

Zu Rollerkoffern hatte ich schon etwas gesagt. Da ist mir ein Rollator doch lieber.

Da fällt mir ein: Weiß eigentlich noch jemand, was eine Bahnsteigkarte ist? „Der Bahnsteig durfte nur von Reisenden mit gültigem Fahrausweis betreten werden, dazu waren die Bahnsteige mit einer Bahnsteigsperre versehen, an der ein Bahnhofsschaffner die Kontrolle der Fahrausweise vornahm. In der Regel hatte jeder Bahnsteig eine eigene Bahnsteigsperre, so daß auch beim Umsteigen eine Kontrolle der Fahrausweise erfolgte. Auch bei einer Fahrtunterbrechung wurde vom Bahnhofsschaffner eine entsprechende Lochung der Fahrausweise vorgenommen. Wer ohne Reiseabsicht einen Bahnsteig betreten wollte, mußte eine Bahnsteigkarte lösen.“ Seit wann gibt es die eigentlich nicht mehr in Berlin? (Bahnsteigkarten kann man noch in Hamburg und München kaufen -das wusste ich nicht.)

Lenin sagte treffend: „Revolution in Deutschland? Das wird nie etwas, wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte!“ Und schon sind wir beim Thema „WC Center“, früher vermutlich bekannt als „Klosett Zentrum“. Davon gibt es nur eins im Berliner Hauptbahnhof.

„Demnächst zieht rail & fresh hier ein“, heisst es in einem Blog über den Hauptbahnhof, „und verspricht ‚Sauberkeit und Hygiene‘, ‚architektonisch anspruchsvolles Design, Duft und Musik‘. Verlangt wird für dieses Erlebnis künftig 1 Euro, dafür bekommt man einen Wertbon in Höhe von 50 Cent, den man anschließend in einem der rail & fresh Partnershops einlösen kann.“

Die wohlwollenden Stammleserinnen und geneigten Stammleser werden nicht überrascht sein, dass der Autor dieser unmaßgeblichen Zeilen schon a priori gemutmaßt hat, auch die Kommerzialisierung der Notdurft sei ein Beweis für die ehernen Gesetze des Kapitalismus, denen auch nichts entrinnt, noch nicht einmal ein Haufen Scheiße, den man zu Geld machen kann bzw. nicht ihn, sondern das Drumherum.

Natürlich gab es eine Schlange vor dem „WC Center“, sonst wäre es ja kein „Center“, sondern nur eine Filiale (die man im Hauptbahnhof zwecks größeren Reibachs weggelassen hat.) Das geht heutzutage so: Um ein öffentliches Klosett aka „WC Center“ betreten zu können, muss man zunächst ein Handbuch lesen, das darüber Auskunft gibt, wie die Sperre, die heute kein Drehkreuz mehr ist, sondern aus Plastik besteht (formerly known as Plaste und Elaste aus Schkopau), zu passieren wäre. Der Kunde zahlt 80 Cent, hört aber nicht, wenn eine der Münzen durchfällt (vermutlich zu viel abgerubbelt und zu leicht befunden), weil es so laut ist. Man steht also dumm herum und wartet darauf, dass sich die Plaseundelastesperre bewegt, tut sie aber nicht. Zum Glück hat die Firma, die dieses profitorientierte Scheißhaus betreibt, extra jemanden angeheuert, der den Leuten, die nicht durch die Sperre kommen und sich schon den Schritt halten, erklärt, warum das so ist.

Wer dann endlich drin ist, landet auch als Mann im Damenklo, das nicht gesondert durch eine Tür abgesperrt ist (ich gehe als Mann per default geradeaus und nicht in Schlangenlinien um die Ecke, ihr Rail & Fresh-Dödel!). Zum Glück hat die Firma, die dieses profitorientierte Scheißhaus betreibt, extra jemanden angeheuert, der den Leuten sagt, dass sie ins falsche Klo geraten sind.

Wenn man dann die Hände waschen will, aber kein Wasser kommt, muss man jemanden fragen, warum das ist, weil die Firma, die dieses profitorientierte Scheißhaus betreibt, leider nicht jemanden angeheuert hat, der den Leuten sagt, was sie tun müssen, um den verdammten Wasserhahn in Gang zu setzen. Ich musste einen Japaner fragen, der sich neben mir aus welchen Gründen auch immer die Zähne putzte (die Asiaten sind ja so reinlich), der mir durch einschlägige Gestik demonstrierte, wie die Armatur dazu zu bewegen war, das erfrischende Nass von sich zu geben.

Ich musste ohne konkreten Grund an den das Volk verdummenden und volkskriegshetzenden Spiegel-Redakteur Matthias Matussek denken. Am 16.02.2010 schrieb ich über Matussek:

Matthias Matussek, Spiegel-Autor und „Onlinejournalist des Jahres“ 2008, ist praktizierender Katholik und beichtet „seine Sünden bis heute regelmäßig.“ Das erinnert mich an Traktat: „Ohne Gott – eine Frage der Berufsehre“. „Dürfen Journalisten höhere Wesen verehren oder gar Mitglied einer Religionsgemeinschaft sein? Nein, natürlich nicht. Respektlosigkeit und Mut zur Aufklärung gelten als journalistische Tugenden. In Deutschland herrscht jedoch finsteres Mittelalter, wenn Religion zum Thema wird.“ Quod erat demonstrandum.

Matussek faselt aktuell bei Spiegel online, Thomas de Maizière zeige, „wie es seriös geht: Er verteidigt seine Soldaten – und die Ehre der Christen.“ Der Ehre der Christen – als wenn es so etwas gäbe! Christen sind Leute, die höhere Wesen verehren, also einem dummen Aberglauben frönen, den kluge Menschen schon vor 300 Jahren meinten aussterben zu sehen, und die sich dabei von Pfaffen vordenken lassen. Matussek jedoch schraubte seinen Kopf ab zum Gebet und plant vermutlich schon, jetzt zum Militärpfarrer umzuschulen:

„Und so tat der fast immer besonnene Verteidigungsminister, der evangelische Christ Thomas de Maizière, recht daran, als er auf dem Kirchentag forderte, für Opfer und Täter gleichermaßen zu beten. Auch für die Taliban? Auch für die Taliban. Geht das denn, bomben und beten? Aber sicher.“

Leg dich in einen Schützengraben, du moralisch verkommener Sack, und lass dir am Hindukusch den Arsch wegbomben, Matussek, du elender Feigling und Schreibtischtäter, bevor du uns hier mit deinem kriegslüsternen pfäffischen Geschwätz belästigst, das spätestens seit Voltaire, Diderot, Marx und Feuerbach, Siegmund Freud und Friedrich Nietzsche in den Mülleimer gehört!

Ich habe mir immerhin im Hauptbahnhofklozentrum die Hände waschen können und musste sogar beim Hinausgehen nichts bezahlen (ich fragt den zuständigen Klowart und er verneinte höflich).

Ich trinke jetzt erst einmal einen Grappa, um mich zu erholen…