Die Tageszeitung - 18.11.98, Lokalteil Berlin

"Die Partei hat immer recht"

 Prozeß gegen Journalisten, der Zeitungsartikel über ein "politisch reines Buch" über den PDS-Buchhändler Baltruschat geschrieben hat

Derzeit erlebt ein alter SED- Parteitags-Ohrwurm aus den 70er Jahren ein Revival: "Die Partei hat immer recht". Auslöser sind die Querelen um ein Buch, das Anfang des Jahres in der edition ost erschienen ist: "Sehnsucht nach Unfreiheit. Der Fall Kay Diesner und die rechte Szene" von Laura Benedict. Darin werden die privaten und politischen Hintergründe des Nazi-Terroristen beschrieben, der im Februar vergangenen Jahres den Marzahner PDS-Buchhändler Klaus Baltruschat durch mehrere Schüsse schwer verletzte und später einen Polizisten kaltblütig erschoß.

Was sich seit Erscheinen des Buches abspielt, ist Stoff für eine Politsatire aus alten Zeiten. Nachdem eine Palette mit der Erstauflage angeblich dem Regen zum Opfer gefallen war, erfuhr die Autorin aus einem Schreiben von Verlagsleiter Frank Schumann, daß das sein Gutes habe: "Die Tatsache, daß wir das Buch noch einmal drucken müssen/können, betrachte ich jedoch als eine Art Gottesgeschenk, da es von verschiedener Seite (Baltruschat, Pau, Dost (PDS-Anwalt, Anm. d. Red.) massive Kritik gab, auf die wir zum Teil reagieren können." Der ehemalige Reporter der parteitreuen Jungen Welt bestätigte der Autorin zwar, korrekt gearbeitet zu haben, doch daß es "ein moralisches Problem" gebe. So habe Baltruschat "sauer reagiert", weil seine IM-Tätigkeit in dem Buch erwähnt wurde. "MfS-Bezug entfernen", schrieb der PDS-Buchhändler neben weiteren Änderungswünschen an den Verlag, die zum Teil in der zweiten Auflage Berücksichtigung fanden.

"Das ist ein Unding", dachte sich der Berliner Journalist und Rechtsextremismus-Experte Burkhard Schröder und schrieb mehrere Artikel über das nunmehr "politisch reine Buch". Zudem wußte der Journalist von der Autorin, daß auch die PDS-Landesvorsitzende Petra Pau massiv Kritik geübt habe, weil in der ersten Auflage der Drohbrief eines anonymen Nazis abgedruckt war, der, so Schröder, einen "Hinweis auf ihre sexuelle Orientierung" zulasse. In der zweiten Auflage ist das Flugblatt nicht mehr enthalten.

Nachdem sich zwei Zeitungen verpflichtet haben, derlei Äußerungen in Zukunft zu unterlassen, prozessiert die PDS nun gegen Schröder, der an seinen Recherchen festhält. Gestern befaßte sich das Landgericht mit der Frage, ob die PDS Einfluß auf das Buch genommen habe. Während Schröder das Verhalten der PDS als Versuch wertet, "einen ihnen unbequemen Journalisten mundtot zu machen", fühlt sich ausgerechnet die PDS an "alte SED-Praxis" erinnert. Die Äußerungen des Verlagsleiters an die Autorin seien "nur allgemeiner Natur in einem Nebensatz", so der PDS-Anwalt. Weil Schröder aus Gründen der Journalistenehre eine außergerichtliche Einigung ablehnt, wird sich das Gericht demnächst ausführlicher mit den Hintergründen befassen müssen.

Barbara Bollwahn de Paez Casanova


Jungle World - 25. November 1998

PDS vs. Burkhard Schröder  

Als "rechtlich nicht nachvollziehbar" bezeichnete Rechtsanwältin Beate Böhler die Entscheidung des Berliner Landgerichts gegen den Berliner Journalisten und Rechtsextremismus-Experten Burkhard Schröder in einem vom Landesverband der PDS angestrengten Prozeß.  

Schröder hatte in mehreren Artikeln, u.a. in Jungle World (Nr.15/98) und dem Berliner Stadtmagazin tip, berichtet, daß Mitglieder der PDS auf den Verleger Frank Schumacher (edition ost) Druck ausgeübt haben, so daß der die Ausgabe des Buches "Sehnsucht nach Unfreiheit - Der Fall Kay Diesner und die rechte Szene" von Laura Benedict im Sinne der Korrekturvorschläge änderte und die Reportage auf Parteilinie brachte.  

Bei seiner Darstellung stützte Schröder sich auf die Aussage von Frau Benedict. Die Autorin besitzt ein an sie gerichtetes Schreiben des edition-ost-Verlegers, worin dieser dankbar einen ungewöhnlichen Fall von höherer Gewalt schildert. Daß die erste Auflage des Buches durch einen Regenschauer vernichtet wurde, sei "ein Gottesgeschenk", "da es von verschiedener Seite (Baltruschat,Pau, Dost) massive Kritik gab, auf die wir zum Teil reagieren können". Tatsächlich enthält das Buch in der Neuauflage ganz neue Passagen, z.B. eine, die Gregor Gysi in einem besseren Licht erscheinen lassen, aber nach Aussage der Autorin nicht von ihr verfaßt worden sind.  

Da die Beweise eindeutig schienen und die Existenz des Briefes unstrittig ist, durften Schröder und seine Anwältin davon ausgehen, daß sie den Prozeß gewinnen würden. Schröder hatte die Tatsache, daß dennoch gegen ihn geklagt wurde, als versuchte Einschüchterung durch einzelne PDS-Mitglieder gewertet.  

Das Berliner Landgericht allerdings ließ den Journalisten am vergangenen Dienstag glatt im Regen stehen. Gelegenheit, den Wahrheitsgehalt seiner Darstellung zu belegen, hatte Schröder nicht. Das Gericht entschied sich für einen kurzen Prozeß und ließ eine Beweisaufnahme erst gar nicht zu. Schröder, der die Verfahrenskosten zu tragen hat, wurde die Behauptung untersagt, das göttliche PDS-Lektorat habe die Geschicke von Benedicts Buch bestimmt.  


Kommentar: Die PDS hat keine Gegendarstellung verlangt, weder vom TIP noch von der Jungle World, sondern gegen mich privat geklagt. Das sagt genug über die Motive aus.

Ich musste die Kosten in Höhe von mehr als 3000 DM selbst aufbringen. Das finanzielle Risiko, in die zweite Instanz zu gehen, war mir zu gross.
22.03.99

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