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Die wohlwollenden Stammleserinnen und geneigten Stammleser werden es bemerkt haben: Ich war seit Ende September fast ununterbrochen "auf Tournee" im Beitrittsgebiet, genauer: In Sachsen - noch genauer: In Riesa, Großenhain, Dresden, Gröditz, Bischofswerda ("Das Tor zur Oberlausitz"), Radebeul (Karl May!), Waldheim, Niederwiesa, Königstein (ja, genau das) und Oderwitz (bei Zittau). Fast jeden Tag habe ich rund sechs Stunden vor Schülern der neunten und zehnten Klassen in Gymnasien, Mittel- und Berufsschulen referiert. Das Thema war immer: "Was ist deutsch?" Insgesamt waren es wohl mehr als 600 Schülerinnen und Schüler.

Ich will ja nicht meckern. Aber wenn man eine derartige Tortur hinter sich gebracht hat, die einer völkerkundlichen Exkursion gleicht und mir immer wieder Spaß macht (Geld bringt es ja auch), bekommt man einen tiefen Einblick in die Realität. In den neunziger Jahren habe ich das mehrfach gemacht, damals jedoch mit dem Thema "Rechtsextremismus". In Sachsen kenne ich fast jede kleine und größere Stadt. Es hat sich jedoch etwas geändert: Die Jugendlichen sind "normaler", wenn es um das Outfit geht - und vorsichtiger, wenn es um Meinungen geht. Diejenigen, die im Neonazi-Milieu verkehren oder so denken wie die kackbraunen Kameraden, wissen das zu verbergen. Natürlich kommt das Kleingedruckte immer wieder zum Vorschein, und

ich lasse auch nichts unversucht, das immer wieder herauszukitzeln.

Jugendliche wählen und denken nicht anders als Erwachsene. Also kann man von jenen auf diese schließen. Keiner der Schülerinnen und Schüler - ausnahmlos niemand! - konnte mir zum Beispiel den Unterschied zwischen einem Juden und einem Israeli einigermaßen korrekt erklären. Und natürlich hatte noch niemand etwas davon gehört, dass ein Viertel aller israelischen Staatsbürger arabischer Herkunft sind, und damit nicht automatisch Muslime sind, sondern auch Christen sein können - was für viele Einwanderer aus dem Libanon zutrifft.

Und wieviele nationale Minderheiten leben in Deutschland? Selbst in unmittelbarer Nachbarschaft mit den Sorben war das eine zu schwere Frage. Wenn man den Unterschied zwischen Staatsbürgerschaft, Nationalität und völkischer Definition bestimmen will - und letztere hat immer eine rassistische Konnotation -, dann sollte man über das Thema diskutieren. Ich war auch nicht überrascht, dass viele Schüler Gerald Asamoah nicht zum "deutschen Volk" zählten.

Die Fangfrage für die braunen Kameraden ist immer ganz einfach: Gibt es beim Homo sapiens Rassen? Im Biologie-Unterricht sowohl in Gymnasien als auch Mittelschulen scheint man alles mögliche zu unterrichten, die Mendelschen Gesetze wurden zum Beispiel in meinem Beisein als Thema angekündigt. Aber welche politischen Implikationen das Thema hat, scheint niemand zu interessieren. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus, als ein sehr strebsamer Schüler eines "Elite"-Gymnasiums mir etwas von "vier menschlichen Großrassen" erzählen wollten und Lehrer auf ihr Geographie-Buch verwiesen, in dem "afrikanische Rassenkreise" auftauchten. Da wundert einen gar nichts mehr, eher die Tatsache, dass die NPD nur so wenig Stimmen bekommen hat.

Es gab natürlich auch Lichtblicke: Engagierte Schulleiter, die verzweifelt versuchten, ihr überaltertes und bräsiges Kollegium für das Thema zu sensibilisieren und die auf offenen Widerstand stießen, tapfere junge LehrerInnen, die sich gegen

eine schweigende Mehrheit auflehnten und sich aufrieben. Oder auch einzelne Schulen in der tiefsten Provinz, von denen ich gar nicht erwartete, dass dort pädagogisch etwas bewirkt wurde, die mich sehr positiv überraschten. Aber das war die Minderheit. Und politische Naivität und das gut Gemeinte reichen ohnehin nicht.

Was ist denn nun deutsch? Auf diese Frage eines anwesenden Journalisten habe ich geantwortet: "Deutsch ist wie Beton. Es kommt darauf an, was man draus macht." Mehr Details verrate ich nicht. Die Schülerinnen und Schüler haben sich jedenfalls nicht eine Minute der jeweils zwei Stunden gelangweilt.

Fotos: Goethe-Gymnasium Bischofswerda, alter jüdischer Friedhof in Dresden, Europaschule Großenhain

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