VAGES GEFASEL IM SOMMERLOCH Sex- und Internet-SuchtVon Burkhard Schröder Sie leiden unter Kontrollverlust, brauchen eine immer höhere Dosis und haben Entzugserscheinungen: Rund 500.000 Deutsche leiden dem Berliner Hobby-Psychologen Burks zufolge an Sex- und Internetsucht. Die Abhängigkeit sei mit Nikotin- oder Alkoholsucht vergleichbar.
Nach Erkenntnissen der Deutschen Gesellschaft für Vage Schätzungen, Transesoterik, Astrologie und Nervenheilkunde (DGVSTAN) sind eigene Missbrauchserfahrungen in der Kindheit und ein gestörter Umgang mit Intimität in der Familie die häufigsten Auslöser dieser psychischen Störung. Sex- und Internetsucht sei für die Erkrankten ebenso qualvoll wie etwa Spiel- und Kaufsucht, Rechtsextremismus und Sektenzugehörigkeit und andere Süchte, die ausschließlich bei Jugendlichen vorkommen. Sie zerstöre Existenzen, zerrütte Familien und führe zu Straftaten, in manchen Fällen sogar zur Vorbereitung eines Angriffskrieges.
Es ließen sich bei der Sex- und Internetsucht Auffälligkeiten finden, die sonst nur mit Abhängigkeit so genannter psychotroper Substanzen wie Alkohol Nikotin und Weihrauch einhergingen, berichtet der Psychologe Burks von der Kreuzberger Zentralen Volks- und Poliklinik im Nachrichtenmagazin "spiggel.de". "Sie haben die Kontrolle über ihr Verhalten verloren, brauchen eine immer höhere Dosis und zeigen Entzugserscheinungen, zum Beispiel einen merkbefreiten Gesichtsausdruck.".
Aber nun mal im Ernst. Was uns da Spiegel online vorsetzt, spottet jeder Beschreibung. "Eine halbe Million Deutsche sind sexsüchtig". Wie kann man einen derartigen Quatsch überhaupt abdrucken? Hat das jemand gegengelesen?
Und das kam offenbar so: Focus hat wieder einmal ein paar Textbausteine der dort aus unbekannten Gründen stark hofierten Dr. Sabine Grüsser-Sinopoli publiziert. Spiegel online hat das "Sinopoli" weggelassen. Aber wer keine Links setzen kann, noch nicht einmal zur DGPPN, dem sind auch Namen Schall und Rauch. Die Dame ist dafür bekannt, dass sie meint, so gut wie alle menschlichen Aktionen könnten "süchtig" machen: Glücksspiel, Sex, Internet-Surfen, Kaufen, vermutlich auch Nicht-zur-Arbeit-gehen und Minigolf-Spielen. Frau Dr. Grüsser-Sinopoli ist auch spezialisiert auf die jederMann interessierende Frage, wann und warum Frauen kommen und warum nicht.
Wirklich wahr: Eine bloße Vermutung ("Schätzung") wird verbreitet, ohne weitere - mindestens zwei! - unabhängige Quellen zu befragen. Die ernst zu nehmende Psychologie ist übrigens nicht so kühn, Sucht exakt definieren zu wollen, und schon gar nicht in Zusammenhang mit Kaufrausch (!), Sex und Internet. Focus und das Echo Spiegel online verbreiten also unjournalistische Kaffeesatzleserei, die man mit ein wenig gutem Willen vielleicht noch als Moraltheologie durchgehen lassen könnte. Leute, tut das Gute (Selbstkonrolle, Askese, Arbeitsethik), meidet das Böse (Internet, zu viel Sex, Drogen, Rock'n Roll)!
"Nach Angaben der DGPPN ist" - wenn das Schule macht, wird das "Online"-Magazin des investigativsten aller Nachrichtenmagazine in Zukunft nur noch verlautbaren: Nach Angaben des Berliner Hobby-Psychologen Burks hat die Hälfte der deutschen Journalisten keinen blassen Schimmer von Internet, geschweige denn von seriöser Recherche. Nach Angaben des Kreuzberger Zynikers versammeln sich viele davon bei Spiegel online (mit Verlaub: Wer mit MSN "kooperiert", der sollte sich überhaupt nicht "Journalist" nennen, lieber Focus, sondern digitaler Animateur oder PR-Fuzzy oder AgitProp-Manager.) Schleich, Werbung, schleich.
Ja, verehrte Leser und geschätzter Leser, es fällt mir schwer, den kulturpessimistischen Diskurs zu vermeiden: Sind denn alle nur noch blöd? Und wo soll das alles enden? Zum Ausgleich bekommen Sie selbstredend und wie gewohnt dem Thema (und auch dem Wetter) weitaus angemessene Illustrationen. Wir sind hier ja nicht bei Calvinistens.
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