1.
Die Zeugen Jehovas sind jetzt in Berlin eine Körperschaft. Das hat das Oberverwaltungsgericht entschieden. Damit sind die "Ernsten Bibelforscher", wie sie auch genannt wurden, juristisch den Katholen und Evangelen gleichgestellt, aber auch der Neuapostolischen Kirche. Sie dürfen selbst Religionsunterricht geben, müssen weniger Steuern zahlen und stehen unter staatlicher Aufsicht.
Das ist eine gute und schlechte Nachricht. Gut, weil der unsinnige Unterschied zwischen Kirche, Sekte oder Sondergemeinschaft nur die Verehrer höherer Wesen interessiert, die Konkurrenz wittern. Für vernünftige Menschen wie Heiden und andere freie Denker ist die theologische und gruppendynamische Differenz zwischen Opus Dei (Katholen), Baptisten (Protestanten) und Jehovas Zeugen wie die zwischen einem Apfelschimmel, einem hellen und einem schneeweißen Schimmel. Schlecht ist die Nachricht, weil sich wieder beweist, dass in Deutschland Staat und Kirche immer noch nicht getrennt sind. Der Staat subventioniert und alimentiert und bevorteilt nicht nur die etablierten Verehrungsformen höherer Wesen, sondern auch die abseitigen.
Das ZDF in Gestalt von heute.de referiert: "Bei Kirchen und Politik stieß das Urteil auf Kritik." Wer hätte das gedacht. Wer, wie die Süddeutsche, einen "Sektenbeauftragten" fragt, gar einen evangelischen, ob es Sekten gebe und welche das seien, darf sich nicht wundern, dass er die "passenden" Antworten gibt. Laut dem investigativsten aller Nachrichtenmagazine hatte das Land Berlin als Prozessgegner den Bibelforsachern vorgeworfen, "mit rigiden Erziehungspraktiken das Kindeswohl zu gefährden und durch psychische Sanktionen für Aussteiger den Bestand von Ehe und Familie zu gefährden." Interessant, wie das zu beweisen wäre. Diese Vorwürfe und ähnliche gelten sicher und zu Recht auch für andere sektenähnliche Religionsgemeinschaften.
2.
Ist Fanatismus gut oder schlecht? Das gemeine Volk weiß, dass die Zeugen Jehovas in der Nazi-Zeit verfolgt wurden, sich aber nicht unterkriegen ließen. Weniger bekannt ist, dass die "etablierten" Kirchen oft mit den Nazis gemeinsame Sache machten, wenn es gegen die "Sekten" ging. Kardinal Michael von Faulhaber schrieb am 5. Mai 1933 lobend:"Die Gottlosenbewegung ist eingedämmt, die Freidenker können nicht mehr offen gegen Christentum und Kirche toben, die Bibelforscher können nicht mehr ihre amerikanisch-kommunistische Tätigkeit entfalten." Vertreter der offiziellen Kirchen nahmen an den maßgeblichen Zusammenkünften von Ministerien und der Gestapo teil, in denen es um das Verbot der Bibelforscher ging.
Dr. Detlef Garbe, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme schreibt in "Die Standhaftigkeit der Zeugen Jehovas" (2004):"Mit Hintergrundberichten über die jeweiligen Glaubensgemeinschaften glichen die Kirchenbehörden den mangelnden sektenkundlichen Sachverstand auf staatlicher Seite aus, teilweise leisteten sie für die Geheime Staatspolizei (Gestapo) und andere Verfolgungsinstanzen auch direkte Zuträgerdienste."
Die Bibelforscher hingegen versuchten sich anzubiedern. Die Watch Tower and Tract Society Magdeburg schrieb 1933 einen unterwürfigen Brief an Hitler, um ein drohendes Verbot zu verhindern - vergeblich.
Die Zeugen Jehovas bildeten in den Konzentrationslagern als einzige Weltanschauungsgemeinschaft eine eigene Kategorie und mussten einen lila Winkel tragen. Nach den Massenverhaftungen 1937 und vor Kriegsbeginn 1939 waren zwischen fünf und zehn Prozent der Häftlinge Zeugen Jehovas. Die SS wütete mit bestialischer Grausamkeit gegen die Bibelforscher. Diese wurden meistens isoliert und generell in Strafkompanien eingewiesen, weil sie sich im Gegensatz zu den politischen Häftlingen konsequent allem verweigerten, was ihnen ihr Glaube verbot, zum Beispiel den Hitlergruss zu zeigen oder an der Produktion von Waffen mitzuwirken. Im KZ Sachsenhausen starben im Winter 1939/49 130 Zeugen – sie wurden bis zum Eintritt des Todes mit einem Wasserschlauch auf die Brust gespritzt oder mussten durchnäßt im Frost im Freien stehen, bis sie erfroren. Solidarität zeigten die Zeugen jedoch nur innerhalb ihrer Gruppe, sie lehnten es ab, am Lagerwiderstand teilzunehmen. Auch eine Flucht kam für sie nicht in Frage, da das ihrer Ansicht nach eine Auflehnung gegen die göttliche Vorsehung war. Heinrich Himmler, der "Reichsführer-SS" erteilte im Januar 1943 den Befehl, die Bibelforscher in den Konzentrationslagern an Punkten einzusetzen, an denen sie mit Krieg nichts zu tun hatten. "Jede Strafe ist für sie ein Verdienst im Jenseits. Deshalb wird sich jeder echte Bibelforscher ohne weiteres hinrichten lassen und ohne weiteres sterben." Eugen Kogon schreibt in seinem berühmten Buch "Der SS-Staat" dass die SS psychologisch mit dem Problem der Bibelforscher nicht ganz fertig wurde.
Während des zweiten Weltkrieges wurden ca. 250 Bibelforscher hingerichtet, die meisten durch die Guillotine in den Zuchthäusern Berlin-Plötzensee, Brandenburg-Gröden und Halle, weil die konsequent den Kriegsdienst mit der Waffe verweigerten. Sogar den Sanitätsdienst lehnten sie als "faulen Kompromiss" ab. Insgesamt wurden in Deutschland in der Zeit der Nazi-Herrschaft rund 10000 Zeugen Jehovas verhaften, mehr als 3000 kamen in ein Konzentrationslager, rund 1500 wurden ermordet.
In der DDR verschwieg man das Schicksal der Bibelforscher unter der Nazi-Herrschaft. Die Gemeinschaft wurde 1951 verboten. Hans-Hermann Dirksen schreibt: "In einer Dokumentation des Ministeriums für Staatssicherheit aus dem Jahr 1979 heisst es, die Maßnahmen gegen die Bibelforscher sei keine Verfolgung um des Glaubens." Diese begingen vielmehr "staatsfeindliche Handlungen", "antidemokratische Hetze" sowie "feindliche Nachrichtentätigkeit". Mindestens 50 Zeugen Jehovas starben in den Haftanstalten der DDR.
3.
Und was jetzt? Das Urteil von Berlin ist der Anfang vom Ende der christlichen Vorherrschaft in Deutschland. Und das ist auch gut so. Jetzt werden auch die Mormonen, Mennoniten und Muslime auf die Idee kommen zu klagen. Und dann wimmelt es in den Schulen von Religionslehrern der merkwürdigen Art, die alle die jeweilige Verehrungsform höherer und weniger höherer Wesen mit staatlichem Segen in die Köpfe der Schüler trichtern wollen. Bis endlich jemand auf die Idee kommt, das religiöse und abergläubische Pack ganz aus der Schule zu jagen, wie es in säkularen Ländern wie Frankreich schon seit der französischen Revolution ist.
Religion darf totaler Unsinn sein, der Staat hat sich nicht einzumischen. Der
Religionssoziologe Günter Kehrer schrieb 1997 in einem brillianteen und zynischen Artikel: "Es wird eingewendet, das Glaubenssystem der Scientology enthalte irrationale, ja unsinnige Sätze. Ich kann dies sofort unterschreiben, erlaube mir aber zu fragen, ob dies nicht für alle Religionen gilt. Wer unbefangen den zweiten Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses liest, wird sich nicht zu dem Urteil hinreißen lassen, daß hier die Spitze möglicher Rationalität erreicht sei." Wenn die Bibelforscher sagen, alle, die ihre Ideen nicht übernähmen, würden in Harmagedon vernichtet, ist das ungefähr so rational wie die jungfräuliche Zeugung oder die Himmelfahrt Marias.
Hans Goldmann, der kirchenpolitische Sprecher der FPD, schießt jedoch den sektenpädagogischen Vogel zum Thema ab: "Ebenso wichtig ist die Vermittlung von Werten in den Familien und in den Schulen, um die Jugend gegen die Verführung durch Sekten zu immunisieren." Halleluja. Dieses wundervolle Rezept hilft bekanntlich auch Drogen, gegen Gewalt, gegen den berühmt-berüchtigen Rechtsextremismus, gegen Hooliganismus, gegen Kommunismus, Philo- und Antisemitismus, Homosexualität, allgemeinen Kulturpessimismus und den Weltuntergang.
Sektenexperte Fincke warnt: "Jedes soziale Gefüge birgt die Gefahr zu versekten." Hört, hört, liebe wohlwollenden Leserinnen und geneigte Leser, das gilt auch für dieses kleine familien- und frauenfreundliche Forum, in dem permanent und brachialpädagogisch Werte vermittelt werden, dass es nur so kracht.
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