Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 12. Januar 2005 zur Frage: welche Rechte hat der an seiner Vaterschaft zweifelnde Mann? - so gut wie keine - wirft bereits aus logischen Gesichtspunkten Zweifel auf, aber auch aus gesetzessystematischen, aus ethisch-moralischen und verfassungsrechtlichen Gründen. Wünschenswert wäre daher, dass diese BGH-Entscheidung dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung vorgelegt wird.
Wissen über Wurzeln - Durchleuchtung überall
Der BGH sagt, dass ein diskreter Vaterschaftstest vor Gericht unverwertbar sei. Für eine Vaterschaftsanfechtungsklage besteht eine hohe Eingangshürde. Der bloße Wunsch eines Mannes, Gewissheit über seine Vaterschaft zu bekommen, ist nach geltendem Recht überhaupt nicht justiziabel. Auch in dem BGH-Beschluss heißt es erneut: Vielmehr muss der Kläger konkrete Umstände vortragen, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, Zweifel an seiner Vaterschaft zu wecken und die Abstammung des Kindes von einem anderen Mann als nicht ganz fernliegend erscheinen zu lassen.
Die Frage, ob ein Mann überhaupt klagen kann, hängt von der Willkür der Entscheider ab, ob sie das Vorliegen von Zweifeln an der Vaterschaft für konkret vorgetragen erachten oder nicht. Hier stellt sich bereits die Frage, ob es überhaupt verfassungskonform sein kann, einem Menschen im Privatrecht derartige Klagehürden aufzuerlegen. Die gesamte Gesetzessystematik das Vaterschaftsrecht betreffend, stammt aus alten Zeiten, als es noch keinen Gentest gab, als die letzte Sicherheit über Vaterschaft oder nicht Vaterschaft ohnehin nicht zu erreichen war.
Das Vaterschaftsrecht kann und muss deswegen an die neuen technischen, medizinischen Möglichkeiten angepasst werden. Da heutzutage der Segen besteht, dass jedes Kind, jeder Mensch wissen kann, wer sein Vater und wer seine Mutter und damit wer die Großeltern sind, muss auch jeder voreinander nicht nur das Recht haben zu wissen, wie die Verwandtschaftsverhältnisse sind, sondern die Pflicht, dieses Wissen auch herzustellen.
Es ist unerträglich, dass scheinheilig vom Kindeswohl gesprochen wird, obwohl bekannt ist, dass fast jeder Mensch irgendwann in seinem Leben intensiv nach seiner Herkunft und seinen Wurzeln forscht. Daher ist es geradezu eine Perversion des Rechtes des Kindes, wenn sein Recht darauf zu wissen, wer seine leiblichen Eltern sind, gnadenlos in die Disposition der allein sorgeberechtigten Mutter gestellt wird. Das Vaterschaftsrecht muss grundlegend aus dem Mittelalter in die Neuzeit geholt werden und auf den neuesten technischen Stand gebracht werden: notfalls ein automatischer Routinetest bei der Geburt durch den niemand sich verletzt fühlen kann, aber der größtmögliche Rechtsfrieden für den Lebensstart eines Neugeborenen geschaffen wird.
Auch ein Vater muss, ohne dass die Mutter des Kindes willkürlich dazu ja oder nein zu sagen hat, eine Vaterschaftsüberprüfung vor Gericht durchsetzen können.
Die allein sorgeberechtigte Mutter, die als Vormund für ihr Kind, das formal Gegner einer Vaterschaftsanfechtungsklage ist, die Partei-Entscheidungen in einem Rechtsstreit trifft, steht im speziellen Verhältnis Vater-Mutter-Kind immer in einem enormen Interessenkonflikt, den zu ignorieren völlig absurd ist und ebenfalls gegen die Gesetzessystematik verstößt. Eine Frau, die vielleicht schon jahrelang einen Zahlvater und damit auch einen Vater für ihr Kind gebunden hat, wird nicht nur um des Kindeswohles willen zum Beispiel an diesem Vater festhalten wollen, sondern unter Umständen vor allem um ihrer selbst willen. Sie will - vielleicht - auch für sich und nicht nur für das Kind den Kindesunterhalt. Sie will sich nicht der Gefahr der Strafbarkeit der Kindesunterschiebung aussetzen.
Wenn ein zweifelnder Vater jederzeit eine Vaterschaftsanfechtungsklage durchführen könnte, bedürfte es in vielen Fällen nicht des jetzt vor dem BGH diskutierten heimlichen Vaterschaftstestes. Aber wie auch sonst im Rechtsverkehr üblich, wo es gang und gäbe ist, dass private, diskrete Klagevorbereitungen getroffen werden, um zu entscheiden, ob man überhaupt klagt, muss auch ein diskreter, vorprozessualer Vaterschaftstest möglich sein.
Es ist gerade kein unzumutbarer Eingriff in die Sphäre eines Menschen, wenn man ihm auferlegt zu dulden, dass sein Vater und seine Mutter durch Analysieren eines Kaugummi oder eines Haares die Verwandtschaft feststellen lassen. Auch eine Mutter, die befürchtet, dass ihr Kind bei der Geburt verwechselt wurde, kann in seltenen Fällen in eine solche Lage kommen. Für sie ist nach dem alten Recht, das aus der Zeit der Hausgeburten kommt, nicht einmal ein Klageweg vorgesehen.
In der Tat, es handelt sich bei diesem informationellen Grundrecht um ein Abwehrrecht des Bürgers gegenüber dem Staat, um ein Freiheitsrecht in dem Subordinationsverhältnis zwischen dem Individuum und der geballten Macht des Staates. Diese Grundrechte gelten anerkanntermaßen gerade nicht im privaten Bereich, zwischen Bürger und Bürger, Vater und Kind. Als privatrechtliche Anspruchsgrundlage oder als privatrechtlicher Unterlassungsanspruch taugen die Grundrechte, die der Bürger gegen den Staat hat, nicht im Mindesten. Und am allerwenigsten in dem sensiblen Privatrechtsgebilde namens Familie, wo die Eltern ohnehin nicht nur alles über ihre Kinder wissen, sondern gerade im körperlichen, gesundheitlichen Bereich auch alles wissen müssen.
Eine BGH-Entscheidung, die das systematische Risiko in sich trägt, dass der biologische Erzeuger eines Kindes von seinen Unterhaltspflichten freigestellt wird, kann nicht verfassungskonform sein.
Es muss auf einen zweiten Aspekt hingewiesen werden. Es handelt sich nämlich tatsächlich um ein wahrscheinlich höchst unterbewusstes Ablenkungsmanöver insbesondere der Bundesjustizministerin, die gegen das Prinzip der Gewaltenteilung kräftig die Medientrommel im Hinblick auf die BGH-Entscheidung gerührt hat. Mit Hilfe des Bundesjustizministeriums wird gerade der Datenschutz des Individuums sowie das informationelle Grundrecht - beide in Artikel 2 des Grundgesetzes angesiedelt - bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt.
Geht ein Bundesbürger durch eine Innenstadt, wird er durch eine Bankkamera, durch eine Kaufhauskamera, gegebenenfalls durch Karten fürs Parkhaus überwacht, kauft er irgendwelche Konsumgüter, sind diese elektronisch codiert, und jetzt wird gerade ein wenig am Mautsystem orientiert, die total durchleuchtende elektronische Gesundheitskarte für jedermann eingeführt. Der Pass oder Personalausweis mit jenem Gencode versehen, den Eltern und Kinder untereinander nicht wissen dürfen, und sonstigen biometrischen Daten ist eine Frage der Zeit.
In Zeiten, in denen es ständig aus allen Parteien heißt, weniger Staat, ist es schon grotesk davon abzulenken, dass nicht die inkriminierten Männer ihren Kindern "informationelle Grundrechte" nehmen, sondern der Staat den Männern, aber vor allem allen Bürgern, die mit immenser Geschwindigkeit der Totalüberwachung von oben seelenruhig und aktiv mittuend entgegenrasen. Väter und Mütter sollten sich schützend vor ihre Kinder stellen, damit diese noch eine kleine Chance behalten, in ihrem Leben unbemerkt einen Apfel zu essen, einen Liebespartner zu küssen oder auch gelegentlich lustvoll falsch zu parken.
Dieser Artikel erschien am 21. Januar in der Magdeburger Volksstimme. Abdruck mit freundlicher Erlaubnis der Autorin. eine längere Fassung ist im Blog Röhls zu finden. www.bettinaroehl.de
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