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DER PROZESS, NICHT VON KAFKA Muss Hotte Mahler in die Klapse?Von Burkhard Schröder |
"Wir fahren bei Seite 273, Absatz 3 fort". Das sagt der wegen Volksverhetzung angeklagte Horst Mahler zu Beginn der Verhandlung. Der Staatsanwalt murmelt verzweifelt, dass man sich wohl demnächst auch noch das Telefonbuch von Tokio vorlesen lassen müsse. Daran ist die Strafprozessordnung § 243 Absatz 4 schuld: der Angeklagte darf sich zur Sache äussern, bevor es richtig losgeht. Wie lange, ist nirgendwo definiert. Mahler äussert sich, schon 22 Verhandlungstage à drei oder vier Stunden lang. Und man muss befürchten, dass irgendwo noch mehr der prall mit Schriftsätzen gefüllten Aktenordner versteckt sind, aus denen er vorliest. Wenn man ihn unterbräche, wäre das ein Revisionsgrund. Und man fürchtet sich vor einer Wiederholung des Filibusterns.
Das Publikum nimmt die Sache wie eine touristische Attraktion. Balgten sich an den ersten Tagen noch die Zuschauer um die Plätze, erlahmt jetzt der Elan bei allen. Nur die unvermeidlichen Berufsquerulanten harren aus, streng blickende Damen mit Hartfaserfrisur, verschiedene Vertreter verschiedener "kommissarischer Reichsregierungen" oder in der Art der "Staatsbürgerlichen Vereinigung Deutsche Nationalversammlung"; ein paar kurzfrisierte Burschenschaftler im Weißhemd geben sich die Ehre. Während einer der Verhandlungtage krakelte ein Zuhörer gedankenverloren ein Blatt Papier voll - und aus seinem Bleistift quoll das, wes des Herzens voll war - ein fettes Hakenkreuz. Ein hinter ihm sitzender Zivilpolizist beschlagnahmte das Corpus delicti und stellte die Personalien fest. Ein Verfahren gebiert viele.
In Wahrheit sagt Mahler gar nichts zur Sache: er hält eine Antisemitismus-Vorlesung. Man könnte seine lange Rede in einem Satz zusammenfassen: die Juden respektive "Alljuda" sind an allem schuld. An diesem Verhandlungstag zum Beispiel am Kupferpreis in den USA vor Jahrzehnten. Um sich Mahler zu ersparen, könnte man auch "Mein Kampf" lesen. Der einzige Unterschied: Mahler zitiert zusätzlich den Propheten Mohammed, Niklas Luhmann, Adorno, einen verstorbenen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und unzählige andere bekannte oder unbekannte Personen - das alles innerhalb von fünf Minuten. Selbst wenn Hegel erwähnt wird, nicken die Zuschauer verständnisvoll, auch wenn die vermutlich Hegel nicht von Hebbel unterscheiden können.
Die Jungle World schrieb im Februar kühn: "Drei Prozesstage sind für das Verfahren wegen Volksverhetzung gegen MOM anberaumt. Als MOM bezeichnen sich Uwe Meenen (M), Reinhold Oberlercher (O) und Horst Mahler (M), die drei Führungsgestalten des Deutschen Kollegs. Mahler, ehemaliges RAF-Mitglied, gibt seit Ende der neunziger Jahre den rechtsextremen Guru, Oberlercher, in den Sechzigern SDS-Aktivist, versteht sich als intellektueller »Nationalmarxist«. Nur Meenen war schon immer rechts, er kam über den neonazistischen Bund Frankenland zur NPD."
Drei Verhandlungstage? Nicht mit Mahler. Wenn er nicht mehr als Anwalt vor Gericht stehen darf, dann eben als Angeklagter. Schon in den ersten Tagen handelte er sich weitere Verfahren ein, obwohl das Gericht ihn "aus Fürsorgepflicht" auf die Risiken und Nebenwirkungem des öffentlich geäusserten Antisemitismus hinwies. Seine Groupies wie Peter Töpfer alias "Antideutsches Kolleg" dokumentierten die Verhandlung minutiös. Aber das ganz, ganz große Publikum für den ganz großen Auftritt will einfach nicht kommen.
Das liegt nicht an der Tatsache, dass das Deutsche Kolleg ein "Verbot der jüdischen Gemeinden" verlangt, deklamiert, "der Judaismus ist eine tödliche Gefahr für die Völker" und den "Kampf des zersetzenden Jüdischen Geistes gegen den sittlichen Geist der Germanen." Das wäre bei den Zuhörern Konsens. Das kann man beweisen: jeder Mensch mit durchschnittlichem Verstand müsste bei den intellektuell nur schwach verbrämten Hasstiraden gegen Juden erbrechen und daher schnell den Raum verlassen. Wer bleibt, ist selbst Antisemit oder interessiert sich für die Sache aus beruflichen Gründen, wie ein Käfersammler einen Elater ferrugineus beobachtet.
Die Staatsanwaltschaft hält das Traktat der drei Neonazis - "Aufstand der Anständigen" - für volksverhetzend. Damit misst man dem wirren Gefasel eine Bedeutung und Wirkung bei, die es vermutlich gar nicht hat. Die Probe auf's Exempel: Mahler und Konsorten wollen "das Verkehrschaos aufheben durch": "Pflicht in Deutschland lebender Ausländer, grundsätzlich öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Erlaubnis für Ausländer aus unmittelbar an den deutschen Raum grenzenden Ländern, in der Ferienzeit Deutschland bei mindestens drei Übernachtungen auf Straßen zu durchqueren." Und: "Lückenlose Bestrafung aller Rauschgiftsüchtigen und süchtigen Kleinhändler durch Freiheitsentzug mit Zwangsarbeit und Zwangsentzug ohne Ersatzdrogen wie Medien, Methadon, Alkohol oder Nikotin. [...] ...jeder Rauschgiftbesitzer wird dann mit militärischen Mitteln bekämpft, falls er die Bedingungen für den Kombattantenstatus erfüllt; andernfalls wird er standrechtlich erschossen." Man kann sich mit ähnlicher Überzeugungskraft auch für eine Reinkarnation Napoleons halten.
Die 27. Strafkammer des Landgerichts Berlin hat am 26. Juli 2004 einen Beschluss gefasst, der im Tenor so lautet: "Es soll der Angeklagte daraufhin untersucht werden, ob bei ihm im Zeitpunkt der angeklagten Taten eine krankhafte seelische Störung, eine tiefgreifende Bewußtseinsstörung, Schwachsinn oder eine schwere andere seelische Abartigkeit vorgelegen hat, die die Einsichts- oder Hemmungsfähigkeit ausgeschlossen oder vermindert haben könnte (§§ 20, 21 StGB)." Wobei die Formulierung "seelische Abartigkeit" dem ähnelt, was der Angeklagte vorträgt - Nazi-Jargon in intellektuellem Kostüm.
Wo soll das alles enden? Falls Mahler vermindert schuldfähig wäre, salopp: eine Halb- oder Vollmeise hätte, wäre das schuld- und strafmindernd. Doch wem wäre damit gedient? Mahler will die deutsche Justiz, die er ohnehin gar nicht anerkennt, lächerlich machen. Und die muss mitspielen. Selig sind da US-amerikanische Richter: widerwärtige Meinungen sind dort ausnahmslos erlaubt und straffrei. Dort hätte Mahler kein Publikum. Und das wäre besser so. ------------------------------------------------------------------------------------
BURKS ONLINE 15.08.2004 Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des BurksVEB.
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