Heute ist Bloomsday. Eine gute Gelegenheit, hartnäckigen Verächtern guter Bücher zu erklären, warum es einen Bildungskanon geben sollte, warum man einige wenige Werke der Weltliteratur gelesen haben muss, warum "Ulysses" des irischen Schriftstellers James Joyce dazu gehört, warum man, wenn man den nicht kennt, einfach das Maul halten sollte, wenn Erwachsene über Bücher jedweder Art reden und warum der "Ulysses" spannender ist als die gesamte deutsche Gegenwartsliteratur seit 50 Jahren.
Den Bloomsday, den 16. Juni 1904, kann man langweilig definieren: "An diesem Tag von acht Uhr früh bis drei Uhr morgens erlebt Leopold Bloom die Großstadt Dublin, und der Leser lernt mit ihm seine Handlungen, Begegnungen und Gedanken kennen." Es gibt bessere Inhaltsangaben. Wenn das der Inhalt wäre, hätte man die Erstausgabe des Romans im Jahr 1922 nicht zensiert. Wer es noch nicht weiß: der Roman ist 1015 Seiten lang. Wer sich das zutraut, sollte natürlich die Übersetzung Hans Wollschlägers wählen. Eine katastrophale ältere deutsche Version hat die Rezeption Joyce' bis in die achziger Jahre verhindert. Das Buch ist in Wahrheit unübersetzbar; den Sprachartisten Joyce ins Deutsche zu übertragen ist eine so anspruchsvolle Aufgabe wie Goethes Faust in Suaheli.
Kurt Tucholsky gab sogar zu, den Ulysses nicht verstanden zu haben: "'Hier ist entweder ein Mord geschehen oder eine Leiche fotografiert' schrieb er und wusste, daß er auch die Übersetzung damit traf, deren Schwierigkeit er abschätzen konnte. Dann aber geschah etwas für einen deutschen Kritiker ganz Unerhörtes: Tucholsky gab zu, daß er dem Buch nicht gewachsen war, 'wenn eine Handlung darin ist, habe ich sie nicht verstanden - ich weiß nicht immer, was real, gedacht, geträumt oder beabsichtigt ist.' ... Und er hatte von allen die beste Assoziation zum damals noch kaum genießbaren Buch: »Liebigs Fleischextrakt. Man kann es nicht essen. Aber es werden noch viele Suppen damit zubereitet werden."
Wenn man jünger ist, sollte man sich den Ulysses nicht unbedingt zutrauen. Ein Baby verträgt auch kein Steak. Ich habe den Roman als Student verbissen bis zum Ende durchgeackert, wusste aber nicht richtig, was der Künstler mir sagen wollte. Ich erinnert mich an die Zwangslektüre Kafkas in der Schule: nach der Lektüre von "Vor dem Gesetz" verstand ich nur Bahnhof. Erst beim zweiten Mal, zwanzig Jahre später, las ich mit großem Vergnügen. Heute wäre der Ulysses unter den fünf Büchern, die ich auf eine Insel mitnehmen würde.
Joyce: "Wenn nur jemand mal sagen würde, daß das Buch so verdammt lustig ist." Es gibt auch Leute, die sich bei Warten auf Godot" von Samuel Beckett kaputtlachen - ich zum Beispiel, obwohl dort, im Gegensatz zu "Ulysses", rein gar nichts passiert. Das Jahrhundertwerk von Joyce ist eben nichts für Warmduscher und deshalb eine überschwängliche Lobeyhmne in diesem kleinen frauen- und familienfreundlichen Forum gerade richtig. Und dank Joyce wissen wir Männer auch, was Frauen beim Sex denken. Originalzitat:
"...also jetzt gäb ich was drum wenn ich eine große saftige Birne hätte die einem auf der Zunge zergeht wie immer wenn ich in der Hoffnung war dann können mir seine Eier gestohlen bleiben und der Tee in der Schnurrbarttasse die sie ihm geschenkt hat wo ihm bloß das Maul immer größer von wird..."
Joyce sagte über seinen Roman, er habe so viele Rätsel, Anspielungen und abstruse Denksportaufgaben in den Ulysses eingebaut, dass die Professoren "Jahrhunderte" brauchen würden, um herauszufinden, was er nun genau damit gemeint habe. Das scheine ihm der einzige Weg zu sein, sich die Unsterblichkeit zu sichern. Das ist Joyce zweifelos gelungen. Wer also Linux und Kommandozeilen mag, wird auch den Ulysses mögen.
Die Abbildungen stammen von der offiziellen Webseite zum hundertsten Bloomsday-Fest ReJoyce Dublin 2004.
---------------------------------------------------------------------------------------
BURKS ONLINE 16.06.2004 Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des BurksVEB.
|