Was müssen wir im neuen Sozialstrukturatlas Berlins lesen? Wer oft in der Kindheit am Computer spielt, bekommt schlechte Zähne. Das bedarf der Interpretation. Es überrascht kaum, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Und - da gilt, dass sich Gleich zu Gleich gern gesellt: in bestimmten Bezirken wohnen mehr Arme als in anderen. Wir leben im Kapitalismus, und wie sollte es anders sein?

"Die Ergebnisse der Einschuluntersuchungen 2003 zeigen einen deutlichen Zusammenhang zwischen Sozialstruktur und Zahnstatus, Übergewicht sowie Konsum elektronischer Medien der Kinder...die Dauer des täglichen Konsums an Fernsehen (einschliessliche Video, DVD) und elektronischen Spielen (Gameboy, Computerspiele, Sega, Nintendo u.ä.) ist in Bezirken mit schlechter Sozialstruktur deutlich höher als in Bezirken mit guter Sozialstruktur."

Das klingt aber merkwürdig: was soll man daraus schliessen? Kinder armer Eltern spielen weniger mit Waldorf-kompatiblem Holzspielzeug, sondern eher mit Computern und Gameboys. Tun sie das freiwillig? Setzen sie ihre Eltern zwangsweise vor die Glotze? Verbieten reiche Eltern Nintendo? Wieso haben Arme überhaupt Geld, sich die Geräte anzuschaffen? Und was haben die Zähne und das Gewicht damit zu tun? Und was lehrt uns das?

Kinder armer Eltern sind zwar dicker, aber später in der Schule klüger, weil die mit Computern besser umgehen können? Vermutlich nicht. Der hier behauptete Zusammenhang ist ungefähr so schlüssig wie die unstrittige Tatsache, dass dort, wo die meisten Störche nisten, auch die Geburtenhäufigkeit am höchsten ist. Statistiker würden hier zunächst eine "partielle Korrelationsanalyse" vornehmen, bevor sie das behaupten, was der Berliner Senat hat publizieren lassen.

Armut macht also dick? Vielleicht haben arme Eltern eben weniger Zeit, sich um die Kinder zu kümmern? Auch das kann nicht stimmen, denn in Brasilien und Bolivien etwa, wo es viel mehr Arme gibt, ist das nicht so. Arme können sich keine gute Zahnbehandlung leisten. Das weiß jeder. Wer kaum zu essen hat, wird eher dünner als dicker. Fazit: Armut in Deutschland - hier: in Berlin - existiert, aber auf hohem Niveau. Wenn Kinder noch spielen, scheint es kaum Kinderarbeit zu geben. Und das ist auch gut so. Die bekannte Taktik der herrschenden Klassen, das Volk ruhigzustellen, hat sich nur geringfügig geändert: Statt Brot und Spiele heisst es jetzt: Fastfood und Computerspiele.

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BURKS ONLINE 26.04.2004
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