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burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
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BeitragVerfasst am: 04.04.2004, 22:45 Antworten mit ZitatNach oben
























MEDIEN
Aktuell04. April 2004
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Teil IV. "Treu und fördernd" (10.02.2004, Thomas Schelberg)
Teil V. "Den neo-liberalen Teufel austreiben"
Teil VI. "Niedergang streng nach Vorschrift" (06.03.2004, Hans-Werner Conen)
SPIGGEL.DE-DOSSIER II
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- Dossier: Querelen im DJV - Landesverband Berlin.
Vgl. www.recherchegruppe.tk
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UMFRAGE UNTER JOURNALISTEN

Investigativer Journalismus in Deutschland

Von Henryk Hielscher


1. Einleitung

Helmut Kohl war außer sich. Dreimal hatte dieser Reporter nun schon versucht, etwas über seine Beraterverträge in Erfahrung zu bringen, dreimal hatte er die selbe Frage gestellt: "Wofür haben Sie die Gelder von Herrn Kirch bekommen?" Für Kohl war damit klar, worum es wirklich ging: "Vaterlandsverräter", raunzte der Ex-Kanzler, "Sie haben doch mit Journalismus nichts zu tun." (1)

Vermutlich hat der Altkanzler Recht. Das aggressive Nachfragen in Sachen Machtmissbrauch und Korruption, die hartnäckige, intensive Recherche, kurz die investigative Berichterstattung hat mit Journalismus wirklich nichts zu tun - jedenfalls mit einem Journalismus, wie er in Deutschland an der Tagesordnung ist.

"Wann", fragt "SZ"-Redakteur Hans Leyendecker, "haben Sie im deutschen Fernsehen in jüngerer Zeit eine bilanzsichere Dokumentation unsauberer politischer Vorgänge gesehen? Wann die letzte Enthüllung gelesen, die das Wort verdient?" (2)

Stattdessen boomt das Banale. Superstars und Dschungelcamp-Insassen trällern sich durchs RTL-Programm, die "Bild" spendiert ihren Lesern eine Gute-Laune-Ausgabe, in der es nur positive Nachrichten gibt und Dank des "modernen Nachrichtenmagazins" Focus weiß die "Infoelite" endlich, welches Haustier zu ihr passt. Willkommen in der deutschen Medienlandschaft. Affären und Skandale werden hier im Wochenrhythmus aufgedeckt - "Bunte" und "Gala" berichten darüber. Enthüllungen? Jeden Abend im Big-Brother-Container. Undercover-Recherchen? "Verstehen Sie Spaß"?! Nur eines gibt es nicht: Investigativen Journalismus (IJ).

Oder doch? War da nicht was mit Kohl, Koch und Co., mit Hunzinger, Möllemann und Landowsky? Gab es da nicht Schmiergeld in Leuna, Schwarzgeld in Hessen, Bimbes in Berlin? Und haben nicht die Medien all diese Skandale und Affären aufgedeckt?

Die Situation ist also längst nicht so eindeutig, wie es der Streifzug durch die Medienlandschaft nahe legt. Aber wie ist die Lage tatsächlich? Gibt es investigativen Journalismus in Deutschland? Welche Faktoren fördern oder behindern ein entsprechendes Berichterstattungsmuster und welche Erfahrungen haben diejenigen gemacht, die das Thema unmittelbar betrifft: die investigativen Journalisten.

Wer auf diese Fragen Antworten in der Wissenschaft sucht, wird enttäuscht. Zwar mangelt es nicht an Klagerufen zum "gehemmten Investigativgeist" (3) und auch "Plädoyers für Recherche und Zivilcourage"(4) gibt es inzwischen reichlich, eine systematische Auseinandersetzung mit dem IJ in Deutschland hat bislang jedoch nicht stattgefunden. Die vorliegende Arbeit will dazu beitragen, diese Lücke zu schließen.

Dafür wurden die 270 Mitglieder der Vereinigung "Netzwerk Recherche e.V." (NR) gebeten, einen Fragebogen zum Thema auszufüllen. Zwischen Dezember 2003 und Januar 2004 gingen insgesamt 75 Antworten ein, was einem Rücklauf von 28% entspricht. Aufgrund dieser geringen Fallzahl können die Ergebnisse lediglich Trends benennen.

2. Ergebnisse

2.1 Grundaufteilung der Befragungsgruppe
Da der Fragebogen ausschließlich an Mitglieder von "Netzwerk Recherche" versendet wurde, kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die Befragten eine besondere Affinität zur Recherche haben. Gleichwohl darf bezweifelt werden, dass sämtliche 270 NR-Mitglieder auch tatsächlich investigativ arbeiten. Als stimmberechtigte Mitglieder werden satzungsgemäß zwar nur Journalisten aufgenommen, die "intensive, professionelle Recherche in der eigenen Praxis betreiben und eine eigene investigative Leistung vorweisen können" (5), allerdings hat dieser Aufnahmepassus keinen verbindlichen Charakter, sondern stellt eher ein Leitbild dar. Die Respondenten wurden deshalb zusätzlich um eine Selbsteinschätzung gebeten: "Würden Sie Ihre eigene Arbeitsweise als investigativ bezeichnen?"

Zwei Drittel der Befragten bezeichnen die eigene Arbeitsweise als investigativ, ein Drittel lehnt diese Selbstbeschreibung ab. Entsprechend kann die Befragungsgruppe in investigative und in rechercheorientierte Journalisten unterteilt werden.

Abb. 1: Grundaufteilung der Befragungsgruppe


Da ausschließlich die investigativen Journalisten zum Untersuchungsgegenstand gehören, konzentriert sich die weitere Darstellung und Interpretation der Ergebnisse auf die 48 Respondenten, die ein entsprechendes Selbstverständnis geäußert haben. Die 27 rechercheorientierten Befragten dienen als Vergleichsgruppe.

2.2 Alter und Berufserfahrung
Die Befragten sind zwischen 26 und 58 Jahren alt, ihr Durchschnittsalter beträgt etwas über 40 Jahre. Im Vergleich zu den Ergebnisse der Kommunikatorstudie "Journalismus in Deutschland" fällt auf, dass investigative Journalisten im Mittel rund drei Jahre älter sind als "normale" Journalisten.(6) Diese Unterschiede werden offensichtlich, wenn man die Befragten in Altersgruppen unterteilt: Vor allem Journalisten mittleren Alters praktizieren IJ, allgemein wird der Journalismus dagegen von Jüngeren dominiert:



Das höhere Alter investigativer Journalisten geht einher mit einer längeren Berufserfahrung. Während investigative Journalisten durchschnittlich bereits 14 Jahre im Beruf tätig sind, sind Journalisten dies allgemein erst zehn Jahre. (7)

Im Vergleich zur Gruppe der rechercheorientierten Journalisten fallen ebenfalls Abweichungen auf: Mit einem Durchschnittsalter von 35,7 Jahren und einer Berufserfahrung von zehn Jahren ähneln sie eher den "normalen" Journalisten. Sie sind signifikant jünger und arbeiten sei kürzerer Zeit im Beruf.

Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass IJ als Spezialgebiet ein höheres Maß an professioneller Erfahrung bedarf. Das gilt insbesondere für Kenntnisse über Recherchemöglichkeiten, einschlägige rechtliche Bestimmungen sowie den Kontakt zu Quellen und Informanten. Diese Kenntnisse werden aber erst nach einigen Jahren und damit zwangsläufig auch mit zunehmendem Alter erlangt.

Ein weiterer Indikator stützt diese Interpretation: Die Respondenten wurden gefragt, seit wie vielen Jahren sie investigativ arbeiten. Die Angaben hierzu bewegen sich zwischen einem und 30 Jahren. Im Durchschnitt arbeiten die Befragten seit neuneinhalb Jahren investigativ. Es gibt also eine deutliche Diskrepanz zwischen der Berufszugehörigkeit allgemein (14 Jahre) und der IJ-spezifischen Tätigkeit (9,5 Jahre). Anders formuliert: Erst nach einigen Jahren Erfahrung beginnen Journalisten, investigativ zu arbeiten. Auch dies deutet auf spezifische Kompetenz- und Spezialisierungsvoraussetzungen hin.

2.3 Anstellungsverhältnis
Der Kommunikatorstudie "Journalismus in Deutschland" zufolge gibt es in Deutschland rund 36.000 festangestellte und 18.000 freie Journalisten.(8) Der Anteil der freien Journalisten liegt also bei etwa einem Drittel. Im Vergleich zur vorliegenden Befragung zeigen sich gravierende Unterschiede. Nur ein Viertel der Befragten sind festangestellte Redakteure (27,3%), die verbleibenden 72,7% sind freie Journalisten bzw. in einem freienähnlichen Anstellungsverhältnis (Pauschalisten, feste Freie etc.).



Dieser Befund überrascht. Ausgehend von der Kosten- und Risikostruktur des IJ war zu erwarten, dass für festangestellte Journalisten wesentlich besser Bedingungen bestünden. Anders als ihre freien Kollegen können sie sich stärker auf redaktionelle Strukturen wie Archiv, Rechtsabteilung etc. stützen. Allerdings werden diese Vorteile offenbar von intervenierenden Faktoren überlagert. Insbesondere müssen festangestellte Redakteure mehr organisatorische und redigierende Aufgaben verrichten - zu Lasten von originären journalistischen Tätigkeiten. Dies ist insofern folgenreich für den IJ, als sich ein ausgeprägtes Rollenverständnis als Rechercheur zwangsläufig am ehesten bei einer möglichst eindeutigen Festlegung auf diese Tätigkeit zu entwickeln vermag.

2.4 Medienzugehörigkeit
Investigativer Journalismus ist in Deutschland vor allem Sache des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Exakt die Hälfte der Befragten arbeitet für dieses Medium, nur ein Drittel der investigativen Journalisten ist agegen für Printmedien tätig:



Die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ist offensichtlich, dies gilt insbesondere für die politischen Magazinsendungen von ARD und ZDF.(9) Dabei kommen vor allem institutionelle Ursachen zum Tragen: Als weitgehend gebührenfinanzierte Anstalten können sich die Sender und einzelnen Redaktionen trotz Werbekrise auf stabile Etats verlassen. Diese finanzielle Sicherheit bietet nicht nur Unabhängigkeit von Beeinflussungsversuchen durch Anzeigenkunden, sondern ist auch Voraussetzung für eine vergleichsweise gute personelle und materielle Ausstattung. In Rechnung zu stellen ist auch, dass die politischen Magazine "Aushängeschilder" der jeweiligen Rundfunkanstalt sind. Sie laufen auf einem prominenten Sendeplatz im Gemeinschaftsprogramm der ARD und verfügen über relativ hohe Budgets. Da die Magazine zudem nur alle drei Wochen (bei der ARD) bzw. jede Woche (ZDF) gesendet werden, bleibt genug Zeit für tagesunabhängige Recherchen, wie sie für IJ konstituierend sind. Neben diesen Faktoren spielt sicherlich auch die lange Tradition von Sendungen wie "Panorama", "Monitor" oder "Report" eine Rolle.

Für die Dominanz des Fernsehens in der Befragungsgruppe ist ein weiterer Punkt relevant: Der große Anteil freier Journalisten. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass Tageszeitungen ihre freien Journalisten in der Regel nach einem einheitlichen Zeilengeld bezahlen, egal mit welchem Rechercheaufwand der jeweilige Beitrag verbunden ist. Unter diesen Bedingungen wird investigativer Mehraufwand jedoch nur selten angemessen honoriert und rentiert sich für freie Zeitungsjournalisten in noch geringerem Maße als für Journalisten anderer Medien.

Nicht erklärbar ist dagegen der geringe Anteil von Zeitschriften-Journalisten in der Befragungsgruppe. Ausgehend vom Image von Medien wie "Spiegel" und "Stern" war zu vermuten, dass Zeitschriften die Möglichkeiten haben und nutzen, IJ zu praktizieren.

2.5 Verbreitung des Mediums und Ressortzugehörigkeit
Aufgrund der Zusammensetzung der Befragungsgruppe mit einem hohen Prozentsatz an Fernsehjournalisten war zwar davon auszugehen, dass die Befragten überwiegend für überregional verbreitete Medien arbeiten, erstaunlich ist aber dennoch das Ausmaß: Für überregionale Medien arbeiten 82,2%; nur 17,8% sind für regionale Medien tätig. Für ein lokales Medium arbeitet keiner der Befragten.

Allerdings bleibt dabei unberücksichtigt, ob die investigative Berichterstattung selbst auch überregional ausgerichtet ist. Schließlich kann ein Journalist für eine überregionale Zeitung arbeiten, seine Texte aber im Lokalteil veröffentlichen.

Eine Antwort bietet die Ressortzugehörigkeit der Befragten: 40 Respondenten haben hierzu Angaben gemacht, insgesamt wurden 56 einzelne Nennungen registriert. Im Schnitt hat jeder Befragte also zwischen einem und zwei Ressorts genannt. Da die Ressorts in den einzelnen Medien oft unterschiedliche Namen tragen, wurde die Frage offen konzipiert. Für die Auswertung wurden die Antworten jedoch wieder in allgemeineren Kategorien zusammengefasst:



Deutlich wird der hohe Politikanteil. Zu berücksichtigen ist, dass Bezeichnungen wie "Zeitgeschehen" vor allem von Magazinen der ARD verwendet werden, deren Schwerpunkt ebenfalls die politische Berichterstattung ist. Rund 70% arbeiten damit im weitesten Sinne für ein politisches Ressort. Lediglich ein Respondent gab an, für das Ressort "Lokales" zu arbeiten, ein weiterer nannte "Landesredaktion, Regionales".

Die Ressortstruktur ist somit ebenfalls auf nationale bzw. überregionale Themen ausgerichtet. Verantwortlich dafür sind sicherlich eine Reihe von Gründen. So wird Lokal- und Regionaljournalisten in der Regel weder ausreichend Zeit noch Geld zur Verfügung stehen, um ein Thema über Wochen oder gar Monate zu recherchieren. Hemmend wirkt sich wohl auch die tendenziell konfliktvermeidende "lokale Verdichtung" aus: Die Berichterstattung betrifft häufiger persönliche Bekannte des Journalisten oder seiner Vorgesetzten, verbunden mit einer größerer Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der lokalen Elite, der man oft selbst angehört. Zudem besteht eine größere Abhängigkeit von einzelnen Werbekunden und ein geringerer Konkurrenzdruck. Dies gilt insbesondere für Zeitungen mit lokaler Monopolstellung.

2.6 Mit IJ assoziierte Medien und Journalisten
Um zu prüfen, welche Medien und Journalisten nach Ansicht der Befragten IJ praktizieren, wurden sie gebeten, auf die offene Frage zu antworten, an welche deutschen Journalisten und Medien sie beim Begriff "investigativ" denken.

45 Respondenten haben die Frage beantwortet. Es wurden insgesamt 181 Einzelangaben erfasst - pro Person im Durchschnitt vier. 62% aller Nennungen beziehen sich auf Medien, 38% auf Journalisten.



Ordnet man den einzelnen Angaben Medientypen zu, ergibt sich ein leichtes Übergewicht der Zeitschriften gegenüber dem TV-Sektor. Dies geht maßgeblich auf die Dominanz des "Spiegel" zurück. Das Hamburger Nachrichtenmagazin wird von 82% der Befragten mit investigativer Berichterstattung in Verbindung gebracht und liegt damit weit vor "Süddeutscher Zeitung" (31,1%), "Panorama" (26,7%) und "Monitor" (20%).

Es kann davon ausgegangen werden, dass die Position dieser investigativen Leitmedien und insbesondere des "Spiegel" sich über die Jahre verfestigt hat und nicht ausschließlich auf eigenen redaktionellen Leistungen basiert, sondern auch auf dem gewachsenen publizistischen Image. Informanten mit Hinweisen bzw. auch freie Journalisten, die entsprechende Geschichten verkaufen wollen, werden sich zuerst an die Medien wenden, die sie mit IJ assoziieren. Für die Konkurrenz ist es deshalb besonders schwer, in diesen Bereich einzudringen. Unter den Printmagazinen wird neben dem "Spiegel" allenfalls der "Stern" genannt. Im Fernsehbereich umfassen die Angaben vor allem die politischen Magazinsendungen von ARD und ZDF.

Auch die fünf überregionalen Abonnement-Zeitungen werden vereinzelt mit IJ in Verbindung gebracht. Investigative Berichterstattung ist aber nach Ansicht der Respondenten nicht wirklich eine Domäne der Tageszeitungen - mit Ausnahme der "Süddeutschen Zeitung". Die Zahl der Nennungen ist hier allerdings eng mit dem Redakteur Hans Leyendecker verbunden, auf den als einzelnen Journalisten mehr Nennungen entfallen als auf "SZ", "taz" und "FAZ" zusammen:



Investigativer Journalismus wird in hohem Maße mit der Person Hans Leyendecker in Verbindung gebracht. Weder andere Presse- noch Rundfunkjournalisten haben einen ähnlich hohen Bekanntheitsgrad erreicht. Erst mit weitem Abstand folgt "Spiegel"-Redakteur Georg Mascolo. Auffällig sind auch die zahlreichen Einzelnennungen. Offenbar werden zwar viele Journalisten dem IJ zugerechnet, allerdings gibt es kein übereinstimmendes Zuordnungssystem. Es scheint insofern gerechtfertigt, von einem ausgesprochenen "Starsystem" zu sprechen. Überraschend ist dabei, dass offenbar selbst innerprofessionell kein Konsens oder keineKenntnis darüber besteht, welche Kollegen investigativ arbeiten. Dieser Befund ist auch ein Hinweis darauf, dass IJ nicht in dem Maße institutionalisiert ist, dass einzelne Journalisten (außer Leyendecker und Mascolo) eine innerprofessionelle Prominenz erlangt hätten. Es ist insofern auch zu vermuten, dass die meisten mit IJ assoziierten Personen nur gelegentlich investigativ arbeiten.

2.7 Ergänzungscharakter investigativer Berichterstattung
Berufsauffassungen festzuschreiben, also der Versuch, individuelles journalistisches Handeln typischen beruflichen Rollenmustern zuzuordnen, verlangt den relativierenden Hinweis, dass Journalisten nur selten ausschließlich einem einzelnen Rollenmuster folgen. Je nach Aufgabenstellung und individuellen Möglichkeiten wechseln sie zwischen den verschiedenen Rollen. Dabei spielen allgemeine Sachzwänge, die konkreten redaktionellen Arbeitsbedingungen und die jeweilige Position in der Medienorganisation eine Rolle. Im Grunde geht es also um die Frage, inwieweit Journalisten, die sich selbst als investigativ beschreiben, auch tatsächlich investigativ arbeiten (können). Die Teilnehmer wurden dazu gebeten, auf einer fünfstufigen Skala anzugeben, wie oft sie investigativ arbeiten.



Um einschätzen zu können, was die Befragten unter diesen Häufigkeitszuschreibungen konkret verstehen, wurden sie zusätzlich gebeten, den Anteil ihrer eigenen Beiträge zu schätzen, die man als investigativ bezeichnen kann. Diese Anteile lassen sich wiederum den Skalenwerten zuordnen:



Auffällig ist, dass nur ein sehr kleiner Teil der Befragten "immer" investigativ arbeitet, dagegen dominiert die gelegentliche Berichterstattung. Im Durchschnitt würden die Befragten nur 41% ihrer eigenen Beiträge als investigativ bezeichnen. Investigative Berichterstattung ist somit selbst unter investigativen Journalisten die Ausnahme und ist erscheint als ein Ergänzungsjournalismus, der neben bzw. zusätzlich zur "normalen" Alltagsarbeit praktiziert wird.

Dies gilt insbesondere für festangestellte Journalisten, denn im Gegensatz zu anderen Ländern gibt es in Deutschland keine speziellen investigativen Ressorts und nur selten werden Redakteure für ausgedehnte Rechercheprojekte freigestellt. Dagegen dominiert der Allroundjournalist, der kommentiert, redigiert und recherchiert. Freie Journalisten haben dagegen stärker die Möglichkeit, ihre Arbeitsweise selbst zu bestimmen. Dies macht sich auch in der Häufigkeit der Berichterstattung bemerkbar: So arbeiten 43,8% der freien Journalisten "immer" oder "oft" investigativ, während dies bei den Redakteuren nur 16,7% sind.

2.8 Arbeitsaufwand der Befragten
Generell gilt: Die Wochenarbeitszeit der Befragten ist mit durchschnittlich 53 Stunden äußerst hoch. Dabei ist sicherlich zu bedenken, dass die Angaben auf Selbsteinschätzung beruhen und somit teilweise von einer Überbewertung auszugehen ist. Andererseits: Stellt man in Rechnung, dass investigativer Journalismus mit intensiver, aufwendiger Recherche verbunden ist, er in Deutschland aber vorrangig ein Ergänzungsjournalismus ist, müsste sich dies auch in einer deutlich höheren Arbeitsbelastung der Respondenten niederschlagen.

Dies belegen auch die Vergleichsdaten für diejenigen Journalisten, die sich selbst nicht als investigativ beschreiben. Sie ähneln in den meisten Merkmalen eher den "typischen" Journalisten in Deutschland. So auch hinsichtlich ihrer Wochenarbeitszeit. Sie liegt in der Vergleichsgruppe bei 46 Stunden ("Journalismus in Deutschland": 45 bis 46 Stunden(10). Investigative Journalisten arbeiten demnach rund acht Stunden und damit signifikant länger als rechercheorientierte Journalisten.



Unterscheidet man nach Medienzugehörigkeit, zeigen sich weitere Besonderheiten: Tageszeitungsjournalisten arbeiten mit 61 Stunden / Woche signifikant länger als Journalisten aller anderen Medien (51,5 Stunden).

Der generelle Ergänzungscharakter investigativer Berichterstattung scheint bei Zeitungen besonders ausgeprägt zu sein. Gerade hier fehlen offenbar die Ressourcen, um IJ als eigenständiges Spezialgebiet zu praktizieren. Investigative Berichterstattung ist so mit erheblicher individueller Mehrarbeit verbunden.

Dass diese Mehrarbeit vor allem für zusätzliche Recherche anfällt, liegt nahe, kann anhand der Daten zur Wochenarbeitszeit aber nur vermutet werden. Deshalb wurde nochmals im Detail gefragt, welcher tägliche Zeitaufwand für welche journalistische Tätigkeit anfällt. Dabei wurde in Kauf genommen, dass diese Frage nur schwer zu beantworten ist, vor allem weil sich Art und Umfang der Aufgaben in verschiedenen Arbeitsetappen unterscheiden und es sich dabei um Zeitintervalle handelt, die sich selten auf einen Tag begrenzen lassen. Dennoch lassen die Antworten zumindest Tendenzen der Arbeitsverteilung erkennen.

Der Zeitaufwand für einzelne journalistische Tätigkeiten folgt in allen Medienbereichen einem Grundmuster: Die Recherche und die Produktion des Beitrags bestimmen die tägliche Arbeit, gefolgt von Organisationsaufgaben und der Themenfindung. Gespräche mit Kollegen und Vorgesetzen stellen mit durchschnittlich 51 Minuten aber ebenfalls einen nicht zu unterschätzenden Faktor dar. In der Summe ergibt sich eine tägliche Arbeitszeit von etwa neun Stunden. Bei fünf bis sechs Arbeitstagen korrespondiert dieses Ergebnis auch mit der hohen Wochenarbeitszeit der Befragten. Die Verteilung der täglichen Arbeitszeit ergibt folgende Detaildarstellung:



Im Vergleich zur Gruppe der rechercheorientierten Journalisten fällt wiederum die höhere Gesamtarbeitszeit auf, die sich auch hier als signifikant erweist. Dieser Unterschied geht fast ausschließlich auf die Recherchezeit zurück, die die Arbeit investigativer Journalisten erwatungsgemäß dominiert. Im Durchschnitt recherchieren die Befragten rund 189 Minuten täglich - also über drei Stunden und damit rund eine halbe Stunde mehr als die Vergleichsgruppe. Diese Unterschiede werden deutlich, wenn man den mittleren täglichen Rechercheaufwand investigativer Journalisten mit dem rechercheorientierter und "normaler" Journalisten vergleicht:



2.9 Quellennutzung
Es kann vermutet werden, dass der erhöhte Zeitaufwand für die Recherche mit der dabei angewendeten Gründlichkeit in Beziehung steht. Da die Rechercheintensität aber nicht direkt messbar ist, wurde als Maßstab die Anzahl der benutzten Quellen herangezogen. Dafür wurden 16 Quellen aufgelistet, von denen die Befragten diejenigen auswählen sollten, die sie für ihren letzten Bericht verwendet hatten.

Zu den Quellen die von drei Viertel der investigativen Befragten genutzt wurden, zählen "Experten", "das Internet", "Augenzeugen/Betroffene" und das "Pressearchiv".

Die investigativen Befragten nannten im Durchschnitt 8,2 Quellen, die Vergleichsgruppe dagegen nur 7 Quellen. Es wird somit tendenziell auch ein größerer Aufwand betrieben, um Informationen zu beschaffen und zu verifizieren.

Die stärkere Recherchebereitschaft zeigt sich auch daran, dass die investigativen Journalisten fast alle aufgeführten Informationsquellen häufiger nutzten als die Vergleichgruppe. Signifikant sind die Unterschiede bei Gesprächen mit "Augenzeugen/Betroffenen" und bei der Verwendung "spezieller Datenbanken". Deutlich häufiger werden auch Gespräche mit "anderen Journalisten" genannt und Unterlagen wie "wissenschaftliche Studien" und "frei zugängliche Akten" in die Recherche einbezogen. Dass die Dokumentenrecherche beim IJ eine wichtige Rolle spielt, zeigt sich auch anhand der zusätzlich genannten Informationsquellen. Insbesondere "Gerichtsunterlagen, Prozessunterlagen, Ermittungsakten", "Papiere aus nichtöffentlichen Sitzungen und Gremien" und "vertrauliche Unterlagen" wurden von mehreren Befragten angeführt. Lediglich zwei Informationsquellen haben dagegen die rechercheorientierten Befragten häufiger genutzt: Pressemitteilungen (47,6% zu 30,4%) und Agenturmeldungen (57,1% zu 30,4%).

Offensichtlich existieren strukturelle Unterschiede bei der Informationsbeschaffung, die sich im Vergleich zu den "normalen" Journalisten noch verstärken dürften. Insbesondere im Zusammenhang mit der Nutzung von Pressemitteilungen wird dies offensichtlich. Zusammen mit Agenturmeldungen und Straßen-Interviews haben sie nach den Angaben der Befragten die geringste Bedeutung. Untersuchungen zum Einfluss der Öffentlichkeitsarbeit kommen dagegen übereinstimmend zu dem Schluss, dass Pressemitteilungen eine der wichtigsten journalistischen Quellen sind.

2.10 Motive
Wie dargestellt, sind investigative Journalisten starkem Druck und hoher Arbeitsbelastung ausgesetzt. Zudem bedarf es einer besonderen Affinität, ein Thema über lange Zeit zu verfolgen und zahlreiche Quellen zu befragen, wie es für IJ charakteristisch ist. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Gründe Journalisten dazu bewegen, investigativ zu arbeiten. Den Befragten wurde eine Reihe von möglichen Motiven vorgelegt, darunter sowohl idealistische, pragmatische, karriereorientierte und finanzielle. Insgesamt 47 Respondenten haben die Frage beantwortet und 121 Einzelnennungen abgegeben. Im Durchschnitt wurden also zwei bis drei Motive genannt.

Vor allem zwei Motive sind entscheidend und wurden jeweils von mehr zwei Drittel der Befragten genannt: Zum einen das persönliche Interesse, Dingen auf den Grund zu gehen; zum anderen der Wunsch, Missstände zu beseitigen.



Vielleicht ist es bezeichnend für eine Journalismusform, deren Ausübung hohen persönlichen Einsatz verlangt, aber nur unzureichend mit innerprofessioneller Anerkennung bzw. materiellen Vorteilen gratifiziert wird, dass idealistische Motive und persönliche Vorlieben dominieren. Diese Hauptmotive stimmen auch mit dem Grundcharakter des IJ überein, sie lassen sich insofern besser als in anderen Journalismusformen verwirklichen. Schließlich umschreibt der Wunsch, den Dingen auf den Grund zu gehen die Methodik des IJ und das Motiv, Missstände aufzudecken, ist identisch mit den Zielen. Investigative Berichterstattung kann somit in gewisser Hinsicht als eine Möglichkeit der beruflichen Selbstverwirklichung interpretiert werden. Auch in den sonstigen Angaben nennen die Befragten vor allem idealistische oder "spaßorientierte" Motive der Arbeit.

Pragmatische, karrieorientierte oder finanzielle Beweggründe spielen in der Befragungsgruppe dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Dies liegt sicherlich auch daran, dass andere Journalismuskonzepte in diesen Punkten vielversprechender und damit anziehender sind. Wer sich im Journalismus einen Namen machen will, so darf vermutet werden, wird Kommentare schreiben, Moderieren bzw. eine Führungsposition anstreben. Finanzielle Motive werden wohl nur von einer kleinen Minderheit genannt, da der Aufwand investigativer Recherchen selten adäquat honoriert wird.

Zumindest eines der Hauptmotive wird nach Ansicht der Respondenten in der Praxis durchaus realisiert. Mehr als die Hälfte der Befragten sagt, dass sie mit journalistischen Beiträgen "oft" oder "gelegentlich" erreicht hätten, Missstände zu beseitigen. Zwar sind 40% der Meinung, dies sei "selten" der Fall, aber nur 2,2% haben dies "nie" erreicht:



Es zeigt sich, dass IJ nach Ansicht der Befragten durchaus Handlungsrelevanz besitzt und sowohl dem individuellen Motiv als auch dem normativen Anspruch "Missstände zu beseitigen", gerecht wird. Dabei stellt sich die Frage, ob dieses Ziel nicht ein übergreifendes und allgemeines Journalismusziel ist, dass auch vom Informations- oder Meinungsjournalismus erfüllt wird. Dass dem nicht so ist, zeigen die Angaben der Vergleichsgruppe. Zwar werden auch von Ihnen Missstände gelegentlich beseitigt, aber längst nicht in dem Ausmaß, wie es bei investigativen Journalisten der Fall ist.

3. Bilanz: Investigativer Journalismus in Deutschland

"Jeder weiß wie ein investigativer Journalist aussieht. Das ist der Kerl mit der Zigarrette, dem grimmigen Gesichtsausdruck, dem verknitterten Trenchcoat und dem tief in die Stirn gezogenen Filzhut. Ständig ist er am Telefonieren, spricht lässig aus dem Mundwinkel und ignoriert die anderen, unwichtigen Reporter.

Er musste sein Handwerk nie lernen. Er war dazu geboren. Von Kindesbeinen an lief er mit einem eselsohrumrandeten Adressbuch und einem Packen geheimer Akten herum. Er hat eine endlose Liste von Kontakten und sein Job besteht größtenteils darin, sie anzurufen und zu fragen: "Hast Du was für mich?" Den Informanten brennen die Hinweise natürlich nur so unter den Fingernägeln und sie sind froh, endlich auspacken zu dürfen. Er hat alle Zeit der Welt, schmierige Typen mit cleveren Tricks zur Strecke zu bringen und erscheint höchstens alle zwei oder drei Monate in der Redaktion, um seinem verdutzten Chef die nächste Story auf den Tisch zu knallen. Dann murmelt er noch ein paar Worte und verschwindet wieder im Dunkel der Nacht."
(11)

So umschreibt ein amerikanischer Autor das gängige Klischee vom investigativen Journalisten und fügt bereits im nächsten Satz hinzu: "Dieses Buch ist in dem Glauben geschrieben, dass es so eine Person nicht gibt."(12) Im Rahmen der vorliegenden Arbeit lässt sich dieses Resultat voll und ganz bestätigen.

Investigativer Journalismus in Deutschland - das hat wenig mit dem Mann im Trenchcoat zu tun, dafür um so mehr mit einem enormen Arbeitspensum, mit hohem Druck und viel Idealismus. In Deutschland liegt dies jedoch nicht nur am grundsätzlichen Charakter des IJ, als einer ohnehin besonders aktiven und intensiven Berichterstattungsform, sondern maßgeblich auch an den Bedingungen des Mediensystems.

Auf theoretischer Ebene kann festgestellt werden, dass in Deutschland zwar die (verfassungs)rechtlichen Rahmenbedingungen für investigativen Journalismus vorhanden sind, IJ aber bislang nur von einigen wenigen Medien institutionalisiert wurde und auch das allgemeine Bewusstsein für einen Journalismus der Machtkontrolle nicht sonderlich ausgeprägt ist.

Eine maßgebliche Ursache dafür ist in der presse- und gesellschaftshistorischen Entwicklung zu sehen. Insbesondere die lange Tradition der Zensur und Beeinflussung ist dafür veranwortlich, dass sich die Presse in Deutschland nicht als eigenständige und unabhängige Kontrollinstitution emanzipieren konnte. Die andauernden Folgen dieser obrigkeitsstaatlichen Prägung werden noch heute deutlich, betrachtet man etwa die mitunter politisch motivierte Personalpolitik der öffentlich-rechtlichen Anstalten, die verbreitete innerprofessionelle Skepsis gegenüber einem Selbstverständnis als "Vierte Gewalt" und die Ablehnung konfliktreicher Recherchemethoden. Für einen Journalismus, der es sich zum Ziel setzt, Macht zu kontrollieren, sind die normativen Voraussetzungen damit äußerst negativ. Hinzu kommen medienstrukturelle Besonderheiten. Aufgrund ihrer lokalen Bindung und damit einhergehender Faktoren wie niedrigen Auflagen und Gewinnmargen kommt die deutsche Tagespresse für IJ kaum in Frage. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen und die Printmagazine können dieses Defizit nur unzureichend kompensieren.

Für Journalisten, die in Deutschland dennoch versuchen, investigativ zu arbeiten, können diese Rahmenbedingungen nicht ohne Folgen bleiben. Im empirischen Teil der Arbeit, konnte bestätigt werden, dass investigativer Journalismus in Deutschland fast ausschließlich auf überregionaler Ebene stattfindet - sowohl in Bezug auf die Medien- und Ressortzugehörigkeit der Befragten, als auch hinsichtlich ihrer Themenwahl. Damit wird jedoch ein wesentlicher gesellschaftlicher Bereich - nämlich das lokale Umfeld des Bürgers - von der Kontrollfunktion der Medien überhaupt nicht, oder nur ansatzweise erfasst.

Die aufgeführten Rahmenbedingungen sind auch dafür verantwortlich, dass investigativer Journalismus in Deutschland überwiegend ein Ergänzungsjournalismus ist, der nur gelegentlich und neben der "normalen" Alltagsarbeit praktiziert wird. Dies vor allem, weil es in den deutschen Medien keine Ressortstrukturen gibt, die eine Spezialisierung auf IJ erlauben würden. Insofern ist es kaum verwunderlich, dass IJ für seine Akteure mit einer enormen Arbeitsbelastung verbunden ist. Vergleichsweise gute Bedingungen scheinen dabei noch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu herrschen, für den die Hälfte der Befragten arbeitet.

Den ernüchternden Befunden über die Bedingungen des IJ in Deutschland kann allerdings auch ein positiver Aspekt entnommen werden: Die Teilnehmer der Befragung belegen in ihren Merkmalen und Einstellungen, die sich deutlich von denen "normaler" Journalisten unterscheiden, dass es überhaupt investigativen Journalismus gibt.

Damit lässt sich abschließend festhalten: Es gibt investigativen Journalismus in Deutschland. Der Stellenwert des IJ ist höher als bislang vermutet und geht über Einzelfälle hinaus. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass investigative Berichterstattung in Deutschland nicht wegen, sondern trotz der institutionellen Rahmenbedingungen erfolgt.


1) Das Interview wurde ausgestrahlt in: NDR-Panorama: Millionen von Leo Kirch. Das Schweigen der Politiker, Sendung vom 15.05.2003.
2) Leyendecker, Hans: Vorwort. Recherche: Kein Zauberwerk - sondern Handwerk. In: Leif, Thomas (Hrsg.): Leidenschaft: Recherche. Skandal-Geschichten und Enthüllungs-Berichte, Opladen/Wiesbaden 1998 (2. erw. Aufl.), S. 9.
3) Vgl. Esser, Frank: Gehemmter Investigativgeist. Enthüllungsjournalismus im internationalen Vergleich. In Message, 2/1999, S. 26-31.
4) Vgl. Langenbucher, Wolfgang, R. (Hrsg.): Journalismus & Journalismus. Plädoyers für Recherche und Zivilcourage, München 1980.
5) Vgl. Netzwerk Recherche: Online-Veröffentlichung. Aufnahmerichtlinien des Vereins Netzwerk Recherche.
6) Vgl. Weischenberg, Siegfried / Löffelholz, Martin / Scholl, Armin: Journalismus in Deutschland II: Merkmale und Einstellungen von Journalisten. In: Media Perspektiven, Nr. 4/1994, S. 155.
7) Vgl. ebd.
8) Vgl. ebd., S. 154.
9) Dies wird aus den Ressortzuschreibungen deutlich, bei denen einige Respondenten direkt das politische Magazin genannt haben, für das sie arbeiten.
10 Vgl. Weischenberg/Löffelholz/Scholl 1994, a.a.O., S. 157.
11) Vgl. Anderson, David / Benjaminson, Peter: Investigative Reporting, Bloomington/London 1976, S. 3.
12) Vgl. ebd.

4. Literatur und Quellen
ANDERSON, David / BENJAMINSON, Peter: Investigative Reporting, Bloomington/London 1976.
ESSER, Frank: Gehemmter Investigativgeist. Enthüllungsjournalismus im internationalen Vergleich. In: Message, 2/1999, S. 26-31.
LANGENBUCHER, Wolfgang, R. (Hrsg.): Journalismus & Journalismus. Plädoyers für Recherche und Zivilcourage, München 1980.
LEIF, Thomas (Hrsg.): Leidenschaft: Recherche. Skandal-Geschichten und Enthüllungs-Berichte, Opladen/Wiesbaden 1998 (2. erw. Aufl.)
LEYENDECKER: Vorwort. Recherche: Kein Zauberwerk - sondern Handwerk. In: Leif, Thomas (Hrsg.): Leidenschaft: Recherche. Skandal-Geschichten und Enthüllungs-Berichte, Opladen/Wiesbaden 1998 (2. erw. Aufl.), S. 9-11.
NDR-PANORAMA: Millionen von Leo Kirch. Das Schweigen der Politiker, Sendung vom 15.05.2003.
NETZWERK RECHERCHE: Online-Veröffentlichung. Verein. Aufnahmenrichtlinien. Aufnahmerichtlinien des Vereins Netzwerk Recherche.
WEISCHENBERG, Siegfried / LÖFFELHOLZ, Martin / SCHOLL, Armin: Journalismus in Deutschland II: Merkmale und Einstellungen von Journalisten. In: Media Perspektiven, Nr. 4/1994, S. 154 - 167.



Der Text stammt aus Hielscher, Henryk: Investigativer Journalismus in Deutschland, unveröffentlichte Diplomarbeit, Ludwig-Maximilians-Universität München, Fachbereich
Kommunikationswissenschaft, München 2004. Mit freundlicher Erlaubnis des Autors. Links von Burks.

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BURKS ONLINE 04.04.2004
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