[NETZ]KULTUR | | Aktuell | 12. Januar 2004 |
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KINDERPORNOGRAFIE IM INTERNET Ein Prozent ZuwachsVon Burkhard Schröder |
Kinderpornografie - ein ekliges Thema. Und das Internet ist schuld, dass es davon mehr gibt. Das behaupten die üblichen Verdächtigen. Ich erwarte aber, dass Journalisten die Quellen für ihre Aussagen überprüfen. Eine Organisation "renommiert" zu nennen, ohne zu verraten, warum das so sei, ist nicht seriös. Und jemand ist nicht automatisch "Experte", nur weil er angeblich Kinder "schützt".
Die These der NCH, formerly known as the National Children's Home: je mehr kinderpornografische Darstellungen, um so mehr gäbe es Kindermissbrauch. Das behauptet ihr "Internet-Experte" John Carr. Jeder normale Mensch wird stutzen. Wenn diese Medientheorie stimmte, müsste ebenso die These zutreffen: je mehr Gewaltdarstellungen per Internet ins Haus kommen, um so mehr Gewalt gibt es.
Beim Thema Kinderpornografie im Internet jedoch fliegen rationale Argumentation und journalistisches Tugenden meistens sofort über Bord. Die Behauptungen Carrs sind reine Lobbyarbeit und haben mit der Realität nichts zu tun. Telepolis berichtet im Artikel "Spitze des Eisbergs" vorsichtig, verzichtet aber darauf, die ominöse Organisation einzuordnen und deren Motive zu nennen. Spiegel online zitiert den groben Unfug, denn Carr absondert, wörtlich: "Das Internet hat das alles verändert. Menschen, die ein unterdrücktes oder nur latent vorhandenes Interesse an Kinderpornografie hatten, haben jetzt eine Plattform dafür, weil sie denken, das Internet wäre anonym." Wer denkt, das Internet, was auch immer damit gemeint ist, sei "anonym"? Und woher weiß der so genannten Experte das?
Worum es geht, wird nach kurzer Recherche deutlich. Die NHC ist eine Organisation, die 1869 von methodistischen Geistlichen gegründet wurde und ist dementsprechend weltanschaulich in der freikirchlichen, ja fundamentalistischen Ecke angesiedelt. Eine Organisation also, die im letzten Jahrhundert vermutlich Heime für gefallene Mädchen errichtet hat oder ähndliches. Die NCH propagiert heute den Einsatz von Filtern im Internet, also von technischen statt pädagogischen Lösungen. Nicht die Eltern, sondern die Industrie soll ideologische Duftmarken setzen und die Kinder erziehen - ein grausiger Gedanke.
Die Website von ChildLine spricht das offen aus: "NCH's Internet Consultant John Carr explained: "Parents buy their children computers with Internet access because they know they are essential for their education, as well as for fun and games. Unfortunately many parents remain completely at sea when it comes to the Internet. Children need help and advice if they are to use the Internet wisely and safely. We believe this should come not only from parents and teachers, but also from the companies selling the technology. The children's charities are looking to companies who market computers for educational and family use to pre-install safety software."
Der "Report", der bestimmt wieder als Sau durch die Medien gejagt wird und den die hiesigen Jugendschutzwarte und Zensur-Freunde dankbar begrüssen werden, dient dazu zu fordern, der Polizei noch mehr Befugnisse zu geben, die Nutzer des Internet zu überwachen. So schreibt es Carr im Guardian. Mit einem wirklichen Kampf gegen Kindesmissbrauch hat die hysterische und zynische Attitude, die Botschaft für die Realität verantwortlich zu machen, nichts zu tun. Ein Prozent Zuwachs, 50 Prozent oder lächerliche 1500 Prozent - was will uns der Künstler damit sagen?
Diese "Jugend-" und "Kinderschützer" erinnern an den Perserkönig Xerxes I.. Der ließ von seinen Soldaten das Meer auspeitschen, weil seine Flotte in der Seeschlacht von Salamis vernichtend geschlagen wurde. Das Internet ist an gar nichts schuld. Ganz im Gegenteil. Es zwingt uns, die Realität zur Kenntnis zu nehmen. Und das ist auch gut so. Aber was rede und schreibe ich pädagogisch wertvoll... Jugendschutzwarte sind in der Regel genau so belehrungsresistent wie Verehrer höherer Wesen. Man sollte seine kostbare Lebenszeit nicht mit ihnen und ihren merkwürdigen Ergüssen verschwenden.
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BURKS ONLINE 12.01.2004 Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des BurksVEB.
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