burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
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Verfasst am:
18.11.2003, 12:19 |
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| Vertraulich
Die ausserordentlich ernste Lage zwingt und - im Interesse unserer Partei, im Interesse der Arbeiterklasse-, Ihnen offen zu sagen, dass der gesamten Partei schwerwiegende, schlimme Folgen drohen, wenn die Politik der Mehrheit [...] fortgesetzt wird. Die seit Ende Juli dieses Jahres entstandene Wirtschafts- und Finanzkrise mit allen sich daraus ergebenden politischen Folgen, u.a. innerhalb der Partei, hat schonungslos die unbefriedigende Führung durch die Partei im Bereich der Wirtschaft sowie insbesondere auf dem Gebiet der innerparteilichen Beziehungen aufgedeckt.
Im Bereich der innerparteilichen Beziehungen erblicken wir genau dieselbe falsche Führung, die die Partei lähmt und zersetzt, was sich in der augenblicklichen Krise besonders deutlich bemerkbar macht. Wir erklären dies nicht mit der politischen Unfähigkeit der jetzigen Parteiführer; im Gegenteil, sowenig wir bei der Beurteilung der Lage und bei der Wahl der Maßnahmen zur Änderung der Lage auch mit ihnen übereinstimmen mögen, so glauben wir doch, dass die Partei die jetzigen Führer unter allen Umständen mit den führenden Posten der Arbeiterdiktatur betrauen muss. Wir erklären es vielmehr damit, dass wir es unter der äusseren Form der offiziellen Einheit in Wirklichkeit mit einer einseitigen, an die Auffassungen und Sympathien eines kleinen Kreises angepassten Auslese von Menschen und einer entsprechend ausgerichteten Handlungsweise zu tun haben.
Angesichts einer durch solche engstirnigen Manipulationen entstellten Parteiführung hört die Partei in beträchtlichem Maße auf, jenes lebendige, an Eigeninitiative reiche Kollektiv zu sein, das in feinfühliger Weise die lebendige Wirklickeit erfasst, da es durch Tausende von Fäden mit der Wirklichkeit verbunden ist. Statt dessen beobachten wir eine immer weiter voranschreitende und fast durch nichts mehr bemäntelte Teilung der Partei in einer Hierarchie von Sekretären und in "Laien", in von oben ausgewählte berufsmäßige Parteifunktionäre und in die übrige Parteimasse, die am öffentlichen Leben keinen Anteil nimmt.
Das ist eine Tatsache, die jedem Parteimitglied bekannt ist. Parteimitglieder, die mit dieser oder jener Anweisung [...] unzufrieden sind, die diese oder jene Zweifel hegen, die diese oder jene Fehler, Unstimmigkeiten und Missstände "für sich" bemerken, haben Angst, darüber auf Parteiversammlungen zu sprechen, mehr noch, sie haben schon Angst, sich miteinander zu unterhalten, wenn der Gesprächspartner kein vollkommen verlässlicher Mensch [...] ist: die freie Diskussion innerhalb der Partei ist faktisch verschwunden, die öffentliche Parteimeinung ist verstummt. [...]...in immer stärkerem Maße wählt die Sekretärshierarchie der Partei die Delegierten der Konferenzen und Parteitage aus, welche in immer stärkerem Maße zu Versammlungen werden, in denen diese Hierarchie ihre Weisungen erteilt.
Das Regime, das sich innerhalb der Partei gebildet hat, ist völlig unerträglich; es tötet die Eigeninitiative der Partei und ersetzt die Partei durch einen ausgewählten Bematenapparat, der in normalen Zeiten reibungslos funktioniert, der jedoch in Krisenzeiten unweigerlich versagt und sich angesichts herannahender erster Ereignisse als völlig unselbständig zu erweisen droht. Die entstandene Lage ist damit zu erklären, dass sich das Regime einer Fraktionsdiktatur innerhalb der Partei [...] überlebt hat. Viele von uns wählten bewusst den Weg der Widerstandslosigkeit gegenüber einem solchen Regime...
E. Preobrazenskij
B. Breslav
L. Serebrjakov
Der Text stammt aus der Erklärung der 46: am 15.10. 1923 erklärten sechsundvierzig bekannte Bolschewiki in einem offenen Brief "An das Politbüro des Zentralkomitees der RKP" ihren Widerstand gegen die Bürokratisierung der Russischen Kommunistischen Partei. Die 46 waren Anhänger Trotzkis.
Die Abbildung oben zeigt ein antisemitisches Plakat der Gegner der russischen Revoluton, der so genannten "Weißen", aus dem Jahr 1919. Die Abbildung unten zeigt Lenin und Trotzki mit Soldaten in Petrograd 1921.
18.11.2003
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