Am 1. April - kein Scherz! - ist der neue klostertaugliche Jugendmedienschutzstaatsvertrag (O, du schöne deutsche Sprache!) in Kraft getreten. Jetzt brauchen wir noch die dazu passenden obersten Jugendschutzwarte für die [räusper] "Kommission für den Jugendmedienschutz". Vier Personen sind in diesem erlauchten Kreis: Volker Hönge, Martina Kobringer, Ben Bachmair und Frauke Wiegmann. Wir veröffentlichen hier exklusiv die "Kaderakten" der neu bestellten Sittenwächter. Da es sich um ein eventuell Alpträume bereitendes Thema handelt und die Website Kinder und Jugendliche sittlich gefährdet, haben Sie, wohlwollende Leserin und geneigter Leser, mit dem Mausklick erklärt, dass Sie über 21 Jahre alt sind.

Kaderakte Folker Hönge, ständiger Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden bei der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK) in Wiesbaden: so alt wie der Betreiber dieser Seite und schon Jugendschützer! Das stimmt nachdenklich. Gelernter Geograf. Deshalb ist Hönge Spezialist für Grenzen: Er will "der Medienindustrie Grenzen aufzeigen und den EU-Mitgliedsstaaten in ihren kulturellen, gesellschaftlichen und religiösen Traditionen gerecht werden." Welche Traditionen? Meint er die Kreuzritter? Den ersten und zweiten Weltkrieg? Den Islam? Da das hier das Internet ist, verweisen wir auf ein Live-Video mit Hönge und ein Bild, auf dem er zu sehen ist. Merksätze zu seiner jugendschützenden Meinung: Der Film "Der Soldat James Ryan" von Steven Spielberg enthalten Sequenzen intensiver Gewaltdarstellungen, "die für unter 16-Jährige nicht verkraftbar sind." Zitat: "Eine Deregulierung, die versucht, Jugendschutzaufgaben allein Eltern zu übertragen oder davon auszugehen, dass Kinder und Jugendliche so medienkompetent wären, dass sie sich alleine schützen können, ist naiv." Das heisst: Die Jugendschützer im staatlichen Auftrag könnten Kinder besser vor dem Bösen bewahren als die Eltern.

Kaderakte Martina Kobringer: Erste (!) Präsidentin des Bayrischen Jugendschutzringes. Starke Thesen über die Jugend: "Denn ich bin überzeugt: die Jugend hätte dem ländlichen Raum ebensoviel zu bieten, wie der ländliche Raum der Jugend!" Und: "Wir wissen alle, dass Jungen draußen toben, mit oder ohne Ball spielen, während Mädchen ihre freie Zeit anders verbringen...Je weiter man sich vom Haus entfernt, je weniger Mädchen sind anzutreffen." Das wusste ich nicht. Gut, dass es Frau Kobringer gibt. Da fällt einem nichts mehr ein.

Kaderakte Prof. Dr. Ben Bachmair - wenn die Familie vor der Glotze sitzt, weiß Professor Ben immer Rat, weil er darüber schon viele kluge Bücher geschrieben hat. Kernsatz des Professors, der uns erklärt, warum die lieben Kleinen beim Nintendo gegen uns Erwachsene immer gewinnen: "Entsteht nicht so eine empathische Form der Interaktion zwischen den Generationen, wobei sich die Elterngeneration schon ihrer Ausdrucks- und Gestaltungsformen versichert hat und deshalb der Kindergeneration den Freiraum lassen kann, sich auch Konsumobjekte dienstbar zu machen? Erwachsenen, insbesondere Pädagogen bleibt die Aufgabe, auf der Metaebene bewusst darüber zu wachen, ob und wie medialer Konsum Kinder zu Objekten macht..."

Ich habe zwar nicht verstanden, was diese intelligenten Sätze sagen wollen, aber ich bin mir sicher, der geneigte Leser und die wohlwollende Leserin können das. Es hört sich sehr intellektuell und gut gemeint an, nach mindestens 85 Fachartikeln in Fachzeitschriften.

Kaderakte Frauke Wiegmann, 48, Diplom-Soziologin, Leiterin des Jugendinformationszentrums Hamburg. Die Dame scheint ein Mensch zu sein, den man schnell fröhlich machen kann. "Hier beweist sich, dass auch ein Apfelsaft lustig macht und für gute Laune sorgt. Maßvolles Genießen ist meine Devise: damit mein Kopf klar bleibt und meine Sinne nicht schwinden." Also SelbstbeHERRschung, ja nicht ausflippen, keine psychotrophen Substanzen, nicht die Grenzen überschreiten - die Werte der neuen Mittelschichten in Reinkultur. Optimale Orientierung für Jugendliche in der Pubertät. [Ironie off] Jede Wette, Frau Wiegmann ist eine soziale Aufsteigerin. Die fordern normalerweise so etwas.

Eines wollen wir dem wohlwollenden Leser und der geneigten Leserin nicht vorenthalten, da wir schon beim Thema Medien und Jugendschutz sind: das Apokalypse-Spiel auf der wunderbaren Website etika.com. Dort wird Jugendschützerwart Hönge falsch geschrieben, sonst hätten wir sie übersehen. Und auch dort sind Leute, die uns vor dem Bösen schützen wollen: "Der Geist des Antichrist hat seine Weltherrschaft angetreten. Er setzt alle modernen Medien ein: Fernsehen, Internet etc. Tausende Gefahren lauern auf jeden von uns."

Halleluja und Amen. Gott und die Jugendschützer - vereint im Kampf gegen das Böse! Da kann nichts mehr schief gehen.

Dieser Artikel erschien bei spiggel.de/Burks' Weblog am 26.03.2003 und war bis jetzt der meist gelesene Beitrag. Deshalb habe ich die Links erneuert und das Layout angepasst,

26.03.2003/08.11.2003
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