www.burks.de Foren-Übersicht www.burks.de
Burkhard Schr�ders [Burks] Forum - f�r Kosmopoliten und Kaltduscher
burks.de: Forum für Kosmopoliten und Kaltduscher
burksblog.de: ab 01.01.2008 geht es hier weiter!
privacyfoundation.de: German Privacy Foundation
 FAQ  •  Suchen  •  Mitgliederliste  •  Benutzergruppen   •  Registrieren  •  Profil  •  Einloggen, um private Nachrichten zu lesen  •  Login
 Garcia Ventura Calderon: Schildkrötensuppe Nächstes Thema anzeigen
Vorheriges Thema anzeigen
Neues Thema eröffnenNeue Antwort erstellen
Autor Nachricht
burks
Webmaster
Webmaster


Anmeldungsdatum: 07.10.2002
Beiträge: 6757
Wohnort: Berlin-Neukoelln

BeitragVerfasst am: 04.11.2003, 00:02 Antworten mit ZitatNach oben

Schildkrötensuppe

von Garcia Ventura Calderon

Eine Schildkröte, die nichts vom Tode wissen will, zu töten, ist wahrlich nicht leicht. Mag man den unklugen Kopf, der sich aus der Schale hervorwagt, noch so gut treffen - sie läuft weiter, schlingert wie ein steuerloses Schiff, dass man seekrank werden könnte.

Unsere beiden Indianer warfen die Schildkröte erst auf den Rücken, ehe sie ihr mit ein paar Machetenhieben den Garaus machten, und über das blutige Fleisch gebeugt, gab mein Begleiter, Doktor Winkel, ernst und gewissenhaft, sein Urteil ab:

"Fett genug; sie wird wie ein Spanferkel schmecken."

Schön brodelte über einem Feuer aus harzigen Ästen das Wasser, als dieser vielseitige Mann, seine Hemdsärmel umschlagend, mir zurief:

"Sie haben wohl nicht zufällig eine Büchse kondensierte Milch?...Schade! Dann könnte ich nämlich eine Schildkrötensuppe bereiten, um die uns die Götter beneiden würden."

Eien drolligere Persönlichkeit als diesen Urwalddoktor lässt sich schwer vorstellen. Suchte er Waschgold, wollte er den Indianern Revolver verkaufen oder - wie er vorgab - die Tropenkrankheiten studieren? Drei Tage zuvor hatte ich ihn in der Hütte eines Gummisammlers kennengelernt. Klein und rundlich, glatzköpfig, zwei Revolver im Gürtel, wusste er alles, lachte er über alles und drehte sich mit Maisblättern unzählige Zigaretten. Aber warum hatte er jetzt unseren Lagerplatz verlassen und war in das alte Indianerdorf geschlendert?...Ich erfuhr den Grund erst später, als eine grelle Stimme durch das Laubwerk brach. Ein Mensch heulte vor Schmerz, doch in rhythmischem Schluchzen und sozusagen allzu musikalisch, als dass es der Ausdruck wahren Leidens hätte sein können.

Ich eilte dem Doktor nach. In der aus glatten Rohrschäften erbauten Hütte, deren einzige Lichtquelle die niedrige Türöffnung war, sah ich in dem Halbdunkel einen Indianer, der in einer Hängematte lag, heulte, grässliche Grimassen schnitt und sich den Bauch hielt. Zur Linderung seiner Schmerzen goss ihm ein altes Weib dann und wann einen kräftigen Schluck direkt in den Mund. Doch gleich darauf begann er sein Konzert von neuem.
"Sie gibt ihm Alkohol", sagte ich zu Winkel. "Ein Beruhigungsmittel wäre besser. Haben sie kein Morphium bei sich, Doktor?"

"O ja, aber ich werde mich hüten, ihm irgendetwas zu verabfolgen", erwiderte der Gefragte gleichmütig. "Der Mann ist so gesund wie Sie und ich. Er heult doch nur aus Anstand, aus einfacher Höflichkeit. Ist es ihnen nicht bekannt, dass es sich für einen Ehemann geziemt, die Wehen seiner Frau nachzuahmen? Je mehr er schreit, desto größere Achtung wird er bei seinen Stammesgenossen genießen. Das Kindchen hat übrigens eben das Licht der Welt erblickt, und das kommt mir sehr gelegen."

Während ich beim flüchtigen Licht eines Streichholzes das verzerrte Gesicht des Vaters betrachtete, verfügte sich der Doktor in die hinterste Ecke der Hütte, um, wie ich annahm, der Wöchnerin ein wenig beizustehen. Ein Wispern und Tuscheln, ein Kommen und Gehen, und schließlich händigte ihm die Alte verschämt ein Gefäß aus. Nachdem der jammernde Indianer noch mit ein paar Silbermünzen bedacht worden war, traten wir wieder hinaus ins helle Tageslicht, glücklich, diese schrillen Laute, die dem Ohr weh taten, wie das Kreischen einer Feile auf dem Eisen, nicht mehr anhören zu müssen.

In des Doktors Händen sah ich eine dieser peruanischen Kalebassen, deren hermetischer Verschluss aus einem sternförmigen, so geschickt herausgeschnittenen Stückchen besteht, dass die ausgehöhlte Frucht intakt zu sein scheint. Meine Frage, was er so sorgsam hüte, beantwortete er mit einem schalkhaften, geheimnisvollen Lächeln und begab sich, in unserem Lager angekommen, flugs zur Feuerstelle, um sich wiederum seiner Schildkrötensuppe zu widmen.

Erst als ich ihm zwei Stunden später ein wohlverdientes Kompliment über seine Kochkunst machte, erklärte er, woher der delikate Geschmack der Suppe rührte: aus der Brust der Wöchnerin hatte er die notwenige Ration Milch in die Kalebasse abgezapft.

Caramba! Ich belegte den eigenartigen Arzt mit hässlichen Namen, ich nannte ihn Schwein und anderes mehr. Jedoch dieser weise Mann, der sich nie aufregte, rückte seelenruhig seine Brille zurecht.
"Im Urwald, Senor", belehrte er mich, "darf man nicht zimperlich sein."

Ventura Garcia Calderon - die Geschichte "Schildkrötensuppe" stammt aus "Traum in der Sierra". Der peruanische Schriftsteller starb 1959 im Alter von 40 Jahren in Paris. [Calderons Werke, Staatsbibliothek Berlin]

© BurkS

Benutzer-Profile anzeigenPrivate Nachricht sendenE-Mail sendenWebsite dieses Benutzers besuchen
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:      
Neues Thema eröffnenNeue Antwort erstellen


 Gehe zu:   



Nächstes Thema anzeigen
Vorheriges Thema anzeigen
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht mitmachen.


Powered by phpBB © 2001, 2002 phpBB Group :: FI Theme :: Alle Zeiten sind GMT + 1 Stunde