www.burks.de Foren-Übersicht www.burks.de
Burkhard Schr�ders [Burks] Forum - f�r Kosmopoliten und Kaltduscher
burks.de: Forum für Kosmopoliten und Kaltduscher
burksblog.de: ab 01.01.2008 geht es hier weiter!
privacyfoundation.de: German Privacy Foundation
 FAQ  •  Suchen  •  Mitgliederliste  •  Benutzergruppen   •  Registrieren  •  Profil  •  Einloggen, um private Nachrichten zu lesen  •  Login
 [Mythos RAF 9] Das Kontaktsperregesetz Nächstes Thema anzeigen
Vorheriges Thema anzeigen
Neues Thema eröffnenNeue Antwort erstellen
Autor Nachricht
burks
Webmaster
Webmaster


Anmeldungsdatum: 07.10.2002
Beiträge: 6757
Wohnort: Berlin-Neukoelln

BeitragVerfasst am: 05.11.2003, 00:37 Antworten mit ZitatNach oben

Der Text ist Teil der Diplomarbeit "Die Rote Armee Fraktion und die Reaktion des Staates", Institut für politische Wissenschaft; Universität Hamburg 2002. Abdruck mit freundlicher Erlaubnis von Jana Kunath. Die Diplomarbeit gibt es auch bei www.diplom.de.


Das Kontaktsperregesetz



Oliver Tolmein fasst die Situation, die im Herbst 1977 vorlag, wie folgt zusammen: "Die Reaktion (nach den Ermordungen Bubacks, Pontos und Schleyers; Anm. d. Verf.) war bemerkenswert. Innerhalb kürzester Zeit wurde faktisch ein Notstandsregime über die Republik verhängt - ohne dass allerdings die in der Notstandsverfassung vorgesehenen Wege beschritten worden wären. Am Anfang standen die weitgehende Ausschaltung der gewählten politischen Gremien und die Abkehr vom Prinzip der Gewaltenteilung. Mit dem Großen und dem Kleinen Krisenstab wurden zwei Entscheidungsgremien installiert, in denen Exekutive und Legislative vereint waren. Die Jurisdiktion wurde nötigenfalls ignoriert. Ein Beispiel dafür war die sofort und ohne gesetzliche Grundlage verhängte Kontaktsperre über sämtliche politischen Gefangenen. Sie durften sich nicht mehr untereinander sehen, keine Besuche empfangen, ihre Fernseh- und Radiogeräte wurden konfisziert. Obwohl Gerichte anordneten, dass den Verteidigern Zutritt zu inhaftierten Mandanten zu gewähren sei, blieben sie auf Anweisung aus Bonn ausgeschaltet. Es wurde eine Nachrichtensperre verhängt, die den Medien am Morgen des 8. September auch mitgeteilt wurde. Die Zeitungen und Rundfunkanstalten unterwarfen sich dieser Kontrolle der Öffentlichkeit und druckten auch Nachrichten der Entführer, die ihnen direkt zugingen, nicht, sondern legten sie dem BKA zur Begutachtung vor. Diskutiert wurde in diesen Tagen in den Medien wenig - die Stimmung war äußerst aggressiv. Die "Sympathisanten"- Hatz bestimmte das öffentliche Klima. Wer sich nicht engagiert von der radikalen Linken und jeder Form von Militanz distanzierte, geriet in Gefahr, ins Visier genommen zu werden." Verstärkt wurde diese "Hatz" durch die Entführung der Lufthansamaschine "Landshut" von Palästinensern, um unter anderem RAF-Gefangene freizupressen.

Im Folgenden werden das Kontaktsperregesetz und seine Auswirkungen erläutert.

Während der Entführung von Hanns-Martin Schleyer wurde das so genannte Kontaktsperregesetz erlassen, das auch noch heute in Kraft ist. Die RAF entführte Schleyer am 05.09. 1977, um RAF-Gefangene freizupressen. Unter Bundeskanzler Helmut Schmidt wurde daraufhin ein so genannter Krisenstab (bekannt geworden unter der Bezeichnung Kleiner und Großer Krisenstab) eingerichtet. Diese Einrichtung ist jedoch in der Verfassung (auch im Notstandsgesetz) nicht vorgesehen, und dadurch wurde die Gewaltenteilung aufgehoben. Das Parlament hatte keinerlei Kontrolle über die Aktivitäten des Krisenstabs.

Die erste Handlung des Krisenstabes war die Verhängung einer Nachrichtensperre. Die Öffentlichkeit hatte nunmehr keine Kontrolle, und eventuelle Einflussmöglichkeiten wurden dadurch entzogen. Faktisch wurde mit der Nachrichtensperre eine Gleichschaltung der öffentlichen Meinung durch die Presse betrieben.

Am 06.09.1977 wurde die Kontaktsperre für alle Gefangenen, die nach § 129a StGB angeklagt oder verurteilt wurden, erlassen. Betroffen von der Kontaktsperre waren insgesamt 72 Gefangene. Diese konnten keine Briefe mehr nach draußen schreiben, sie bekamen keine Post mehr, sie durften keine Besuche empfangen und es wurde ihnen auch der Besuch ihrer Verteidiger verweigert. Zwar wurden die Besuche von Verteidigern durch zwei Richter (BGH-Richter Kuhn und der Vorsitzende des 1. Strafsenats in Berlin) ausdrücklich ausgenommen, aber die Justizverwaltungen der Länder weigerten sich, diesen richterlichen Anordnungen Folge zu leisten. Nur in Berlin wurde den Verteidigern der Zugang zu ihren Mandanten nicht verwehrt.

Dazu Tolmein: "Der Ermittlungsrichter am BGH Kuhn hatte am 6. September 1977 einen Kontaktsperrebescheid erlassen, der Verteidiger ausdrücklich ausnahm, weil er eine Unterbindung des Kontakts zwischen Anwälten und Mandanten für ungesetzlich hielt. Ähnlich sah es auch das OLG Frankfurt. Kuhn räumte gegenüber einem Anwalt, der trotz eines entsprechenden Beschlusses nicht ins Gefängnis vorgelassen wurde, ein, er könne seine haftrichterliche Verfügung nicht durchsetzen, er könne ja nicht mit einer Gruppe von Justizbeamten gegen die Anstalt vorgehen".

Die Zeitschrift Konkret war in diesem Zusammenhang zu lesen, dass die Bundesrepublik ihren ersten Staatsstreich erlebt habe.

Die Justizminister beriefen sich auf § 34 StGB, der einen übergesetzlichen rechtfertigenden Notstand vorsah. § 34 StGB ist jedoch eine Ergänzung zu den durchgeführten Reformen der Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch. Daher war § 34 zum Zeitpunkt des Erlasses der Kontaktsperre nicht zur "Legitimation staatlichen Handels gedacht".

Der damalige Justizminister Vogel rechtfertigt jedoch das Gesetz, weil anderenfalls

  • - "eine Verständigung insbesondere der Gefangenen, deren Freilassung die Entführer gefordert haben, untereinander, aber auch mit den Entführern nicht mit Sicherheit hätte verhindert werden können;
  • - andere Gefangene sich untereinander oder mit den Entführern in einer Weise hätten verständigen können, die es den Entführern unter Umständen hätte ratsam erscheinen lassen, deren Freilassung zusätzlich zu den oder anstelle der zunächst genannten zu fordern;
  • - Mitteilungen oder Hinweise von Gefangenen an die Entführer und/oder andere in Freiheit befindlichen Terroristen laufende oder neue verbrecherische Aktivitäten hätten bestärken können".
Einen zusätzlichen Beweis für die Annahme, die Gefangenen hätten Kontakt zu der RAF-Mitgliedern draußen, sollte eine im Auto des Rechtsanwalts Newerla gefundene Handskizze liefern, die für eine Darstellung der Zufahrt der Kölner Wohnung von Schleyer gehalten werden könne. Die Entführer von Schleyer erklärten, dass Baader nach der Freilassung der RAF-Gefangenen ein Codewort sagen werde, das den Entführern die Erfüllung ihrer Forderung signalisieren werde. Diese Mitteilung war jedoch, wie später bekannt wurde, eine Fälschung. Nachvollziehbare Beweise konnte die Bundesregierung nicht liefern.

In einem Interview bestätigte Innenminister Vogel jedoch 1978, dass die Bundesregierung schon damals nicht angenommen habe, dass es eine Planung oder eine Steuerung aus den Zellen heraus gegeben habe. Kraushaar ist bezüglich dieser Aussage der Meinung, dass damit "auch der Rest des mühseligen Legitimationskonstruktes wie ein Kartenhaus" in sich zusammenstürze.

Die Kontaktsperre wurde vollzogen, noch bevor das Parlament das Kontaktsperregesetz verabschiedet hatte. Somit fehlte für die Ausführung der Kontaktsperre jegliche rechtliche Grundlage. Daher waren die Politiker bestrebt, dieses Gesetz so schnell wie möglich zu legalisieren. Das Gesetz wurde am 01.10.1977 vom Bundespräsidenten gegengezeichnet und trat am folgenden Tag in Kraft. Das Kontaktsperregesetz war das bisher schnellste verabschiedete Gesetz (in nur drei Tagen) in der Geschichte der Bundesrepublik. Dem Eindruck, dass das Gesetz ein "situationsbedingtes Maßnahmegesetz" zu sein schien, konnte nichts entgegengesetzt werden.

Am 23.09.1977 legalisierte der 3. Senat des Bundesgerichtshofs in seiner Entscheidung das Kontaktsperregesetz, das ausdrücklich eine Kontaktsperre zwischen den Gefangenen und ihren Verteidigern einschloss. Auch das Bundesverfassungsgericht erklärte am 04.10.1977 das Kontaktsperregesetz für rechtens. Ein Einspruch gegen diese Entscheidung war nun nicht mehr möglich.

Doch wie waren die praktischen Auswirkungen für die Gefangenen im einzelnen? Dies soll folgender Auszug aus einem Schreiben des Leiters des Moabiter Gefängnisses an einige Verteidiger vom 06.10.1977 dokumentieren:
  1. 1. Teilnahme am Einzel- und Gemeinschaftsrundfunkempfang sowie der Besitz von Fernsehgeräten wird untersagt.
  2. Jeglicher Besuchsverkehr ist untersagt. Auch Anstaltsbeiräte sind nicht zum Besuch zugelassen.
  3. Ausschluß von allen Gemeinschaftsveranstaltungen (also Kirchgang, Sport usw.); im übrigen: Einzelfreistunden , Einzelbaden.
  4. Kommunikationsmittel jeglicher Art (Zeitungen, Briefe, Pakete usw.) dürfen bis auf weiteres nicht mehr ausgehändigt oder befördert werden. Das gilt auch für Verteidigerpost. Ausnahmen:
    • Gemäß § 34 Abs. 3 Ziffer 8 EGGVG in der Fassung vom 30.9.1977 (Gesetz- und Verordnungsblatt Berlin vom 1.10.) darf sich der Gefangene in gegen ihn gerichteten Strafverfahren schriftlich an das Gericht oder die Staatsanwaltschaft wenden.
    • Von diesen Gerichten und Staatsanwaltschaften eingehende Post darf dem Gefangenen ausgehändigt werden, wenn sie aa) unverschlossen eingeht oder bb) der Gefangene sich damit einverstanden erklärt, daß sie zur Identitätskontrolle von der Anstalt geöffnet wird.
    • An den Senator für Justiz gerichtete und von dort eingehende Post.
    • Schreiben der Gefangenen an Volksvertretungen des Bundes und der Länder (nicht an einzelne Abgeordnete, Fraktionen oder Ausschüsse gerichtete Briefe mit Ausnahme des Petitionssauschusses), soweit die Schreiben an die Anschriften dieser Volksvertretungen gerichtet sind und den Absender zutreffend angeben, sowie an die Europäische Kommission für Menschenrechte gerichtete Schreiben mit ordnungsgemäßer Absenderangabe.
    • Vom Bundesverfassungsgericht eingehende Briefe sowie an dieses Gericht gerichtete Post, sofern sie unverschlossen ist oder der Gefangene sich zur Identitätskontrolle einverstanden erklärt.

  5. Verbote des Um- und Zusammenschlusses mit anderen Gefangenen.
  6. Ausschluß jeden Kontaktes zu Mitgefangenen (insbesondere Pendeln).
  7. Der mündliche Verkehr mit den Verteidigern in allen Verfahren ist untersagt.
  8. Keine Einzelseelsorge, da die Anstaltsgeistlichen und ihre Helfer keine Anstaltsbediensteten sind und somit der Außenwelt im Sinne des Gesetzes zuzurechnen sind.
  9. Auf Antrag der Gefangenen wird die Anstaltsleitung prüfen, ob und ggf. in welcher Form nahe Angehörige von der Feststellung nach §§ 31, 32 EGGVG und den darauf beruhenden Maßnahmen unterrichtet werden können."
Bakker Schut hält die Begründung der Bundesregierung für vorgeschoben. Er ist der Meinung, dass das Kontaktsperregesetz einen Vorschub für die Hinhaltetaktik des BKA-Chefs Herold darstellt. Seine Taktik ziele darauf ab, die Entführer hinzuhalten, Handlungen seitens der Regierung zu verzögern und somit auf Zeitgewinn zu spekulieren. Mit dieser Zielsetzung hätte man jedoch das Gesetz als nicht begründbar gegenüber der Öffentlichkeit legalisieren können.

Kritiker des Gesetzes sehen ebenfalls durch die Legalisierung Missbrauchsmöglichkeiten:
  • Die Einschränkung einer sinnvollen Wahrnehmung von Verteidigermitteln.
  • Ein erhöhter psychischer Druck auf Inhaftierte, durch die Wegnahme sämtlicher sozialer Bezüge. Die gesundheitlichen Auswirkungen wurden bereits erläutert.
  • Gefahr einer Gefangenenmisshandlung durch die Ausschaltung einer öffentlichen Kontrolle, denn der Gefangene ist somit dem staatlichen Gewaltapparat ausgesetzt.
  • Ob dieser möglichen Missbräuche erscheint es zweifelhaft, ob ein Rechtsstaat solche Mittel auch nur in Ausnahmesituationen ergreifen darf.

    Das Kontaktsperregesetz und die Einrichtung eines Krisenstabs waren und sind bis heute umstritten. Durch die Errichtung des Krisenstabs wurde die Exekutive gestärkt und die Funktion des Parlaments enorm geschwächt. Das Parlament konnte in seiner Funktion als Legislative nicht definieren, was unter einem "Notstand" zu verstehen ist und welche Situation diesen Notstand widerspiegeln soll. Da die Einrichtung eines Krisenstabs auch im Notstandsgesetz nicht vorgesehen ist, ist er "schlichtweg verfassungswidrig". Tolmein spricht hierbei von der Errichtung eines "autoritären Kanzlerregimes".

    Laut dem Wochenmagazin Spiegel, dem Auszüge der Protokolle des Krisenstabs zugespielt wurden, sollte unter dem Vorschlag Nummer 6 eine Gesetzesänderung herbeigeführt werden, nach der es möglich sein sollte, solche Personen zu erschießen, die von Terroristen durch menschenerpresserische Geiselnahme freigepresst werden sollen: ["Durch höchstrichterlichen Spruch wird das Todesurteil gefällt. Keine Rechtsmittel möglich." Laut Punkt 8 sollte im Fall einer Freipressung durch Terroristen für in Haft sitzende Terroristen ein Internierungslager eingerichtet werden. Die vollständigen Protokolle des Krisenstabs wurden bis heute nicht veröffentlicht, so dass es nicht möglich ist, die Situation endgültig zu beurteilen.

    Der Herbst 1977 stellte in der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus eine Zäsur dar. Denn durch das Kontaktsperregesetz und andere Anti- Terror-Gesetze entstand bei vielen Bürgern der Eindruck, der Überwachungsstaat sei Realität geworden. "Es hat lange gedauert, diesen Eindruck beim Bürger wieder zu relativieren."

    05.11.2003
    © BurkS
    Benutzer-Profile anzeigenPrivate Nachricht sendenE-Mail sendenWebsite dieses Benutzers besuchen
    Beiträge der letzten Zeit anzeigen:      
    Neues Thema eröffnenNeue Antwort erstellen


     Gehe zu:   



    Nächstes Thema anzeigen
    Vorheriges Thema anzeigen
    Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
    Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
    Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
    Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
    Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht mitmachen.


    Powered by phpBB © 2001, 2002 phpBB Group :: FI Theme :: Alle Zeiten sind GMT + 1 Stunde