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burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
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BeitragVerfasst am: 26.10.2003, 00:29 Antworten mit ZitatNach oben

"Das Wunder von Bern"

Gut gemachter Humbug und nationaler Wahn



Der Film von Sönke Wortmann "Das Wunder von Bern" wird ein Kinorenner und rührte bereits Kanzler Schröder zu Tränen. Überall im Lande soll des Wunders von Bern im Jahr 1954 gedacht werden. Dabei steht nicht die sachlich fachliche Erinnerung an den überraschenden Gewinn der Fußballweltmeisterschaft durch das deutsche Team im Mittelpunkt, sondern die Wiedergewinnung von nationalem Stolz. Im Jahr 2003 ist dies neuerlich eine Herzensangelegenheit der gesamten politischen Kaste.

Kanzler Schröder sprach kürzlich von einer "neuen deutschen Normalität" und der "Wiedererlangung unserer Souveränität" (Rede zum Tag der Deutschen Einheit 3.10.03). Die Erinnerung an Bern, die Tore von Helmut Rahn im Endspiel gegen Ungarn 1954, dienen filmisch aufbereitet der deutschen Geschichtsentsorgung, dem Kult der harten Männer und der Durchsetzung deutscher Interessen im Weltmaßstab. Ein Fußballspiel wird für reaktionäre politische Konzepte mißbraucht, ein völkischer Mythos weiterentwickelt. Deshalb weint der Kanzler, nicht wegen dem in Wirklichkeit tatsächlich sympathischen Helmut Rahn oder wegen der technischen Brillanz eines Fritz Walter. Der Film von Sönke Wortmann hat in der Tat wenig mit Fußball zu tun, dafür um so mehr mit nationaler Gefühlsduselei und der Haltung "wir sind wieder wer".

Kein Film für Fußballbegeisterte und Fußballinteressierte

Nichts, buchstäblich nichts, außer den Resultaten, erfährt der Laie über die beiden Siege des DFB-Teams gegen die Türkei in der Vorrunde 1954 in der Schweiz. Warum Nationaltrainer Herberger damals in der Vorrunde gegen die Fußballmacht Ungarn die Reserve spielen ließ und mit 8:3 verlor, überläßt Wortmann der Spekulation. Im Viertelfinale ließ Herberger statt Berni Klodt Helmut Rahn über rechts angreifen und das Spiel gegen Jugoslawien wurde 2:0 gewonnen. Ob das Resultat mit der geänderten Aufstellung zu tun hatte, oder an der defensiven Spielweise des DFB-Teams in diesem Match lag, erfährt der Besucher des Filmes nicht. Herrn Wortmann, der selbst einige Zeit in der zweiten Liga Fußball spielte, tangieren solche Fragen nicht sonderlich.

Warum im Halbfinale gegen Österreich Rahn nicht traf, dafür Ottmar Walter aber um so mehr, ist ebenfalls nicht von belang. Statt dessen werden die Fußballkalauer von Herberger: "Der Ball ist rund, ein Spiel dauert neunzig Minuten, nach dem Spiel ist vor dem Spiel" auf eine Putzfrau aus der Schweiz zurückgeführt. Das mag ein gelungener Regieeinfall gewesen sein und ist nicht verwerflich. Allerdings das Finale am 4. Juli 1954 einfach als "Wunder" hinzustellen, den 3:2 Sieg des deutschen Teams gegen Ungarn zu mystifizieren, ist mehr als bedenklich. Diese traditionelle Betrachtung des Endspiels von Bern, "das Wunder, "der Wahnsinn", ist irrational und steht intellektuell unter der Binsenweisheit Herbergers: "Der Ball ist rund". Zudem wird dem keineswegs fortschrittlich gesinnten Herberger der Fußballfachverstand abgesprochen. Denn wenn der Sieg ein "Wunder" war, dann hatte die Anweisung Herbergers an Hans Schäfer, "offensiv die Schwächen der ungarischen Abwehr über links zu nutzen", keine wirklich entscheidende Bedeutung. Auch nicht die Order für Horst Eckel, "den ungarischen Spielmacher hauteng zu decken."

Die Freiheiten, die Herberger, Helmut "Boß" Rahn über rechts gewährte, werden ebenfalls nicht richtig gewichtet. Rahn galt als nervenstarker Fußballegozentriker, der schwer auszurechnen war. Der berühmte Kommentar: "Schäfer nach innen geflankt, abgewehrt, aus dem Hintergrund müßte Rahn schießen, Rahn schießt, Tor, Tor, Tor, Tor" konnte nur deshalb gesprochen werden, weil Rahn statt mit rechts einfach draufzuhalten, sich den Ball auf den linken Fuß legte, dadurch rutschte der ungarische Verteidiger ins Leere, es entstand eine Lücke und der nervenstarke "Boß" knallte den Ball mit dem linken Fuß ins Tor. Diese Szene wird im Film gegen Ende kurz nachgestellt, aber Rahn gelingt in dem Film die Aktion nur, weil er einen kleinen deutschen Jungen aus Essen am Spielfeldrand erblickt, der ihn mystisch animiert, den Ball für ihn und alle Deutschen ins Tor zu hauen.

Darum, um den völkischen Wahn, geht es dem Filmemacher Sönke Wortmann in Wahrheit. Anders sind solche sachlichen Fehler, wie die Beziehungskiste zwischen Fritz Walter und Helmut Rahn, falsch darzustellen, nicht erklärbar. In dem Film ist der sensible Techniker Walter der Starke und der in Wahrheit robuste Rahn der Weiche. Das Gegenteil war der Fall, ein Blick in die Memoiren von Fritz Walter hätte Wortmann belehren müssen. Aber es geht in Wirklichkeit in dem Film nicht um ein Fußballspiel und seine Typen, sondern um nationalen Pathos. Dass Fußball immer etwas mit Glück zu tun hat, ist eine Binsenwahrheit. Glück gehört zu jedem gelungenen Torschuß, entscheidend ist aber das Training, die Taktik, das System und die Einstellung der Mannschaft.

Dennoch ist dem Zufall im Fußball, Tür und Tor geöffnet, kein Ergebnis kann sicher prognostiziert werden. Fußball ist ein Spiel und der Ausgang, wenn halbwegs gleichwertige Mannschaften aufeinander treffen, relativ offen. Deshalb hat der Aberglaube, die Hoffnung und das Metaphysische, in diesem Sport breiten Raum. Das "Wunder von Bern" stellt den Sieg der deutschen Mannschaft 1954 als nationale "Wiedergeburt" nach der "Niederlage" von 1945 hin. Eine Familie aus Essen hat in dem Film die Starrolle. Die deutsche Familie hat die Hauptrolle und nicht Toni Turek, Werner Liebrich, Boß Rahn oder der fußballerisch geniale Fritz Walter.

Eine Familie aus Essen, eine Dame aus München

Ein kleiner Junge aus Essen ist Freund, Fan und Kofferträger von Helmut Rahn, der damals für Rot-Weiß Essen kickte. Der älterer Bruder des Jungen schmeißt die Kneipe der Mutter und ist Kommunist. Die Mutter rackert zusammen mit ihrer Tochter in der Arbeiterkneipe. Ein gutes Geschäft verspricht sich die Mutter von der kommenden WM und stellt ein TV Gerät im Lokal auf. Kurz vor der WM kehrt der Vater aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück. Tyrannisch behandelt er seinen Jüngsten, dem er die Bewunderung für Helmut Rahn austreiben will. Er ohrfeigt den Jungen und fügt hinzu: "Ein deutscher Junge weint nicht". Der Tochter verbietet er, mit amerikanischen Soldaten zu tanzen und Schminke zu benützen. Dem älteren Sohn verübelt er den Kommunismus und die Renitenz. Die Mutter versucht, den Streit beizulegen, indem sie auf Papas Schicksal hinweist. Sie prägt den Satz: "Wir alle sind unschuldig".

Gemeint sind damit alle Deutschen, bezogen auf die jüngste Vergangenheit. Der älteste Sohn ist nicht gewillt, an dieser Versöhnung teilzunehmen und übersiedelt in die DDR. Der jüngere Bruder verurteilt diesen Schritt, denn "soziale Gleichheit könne es nicht geben". Wunder gibt es nach dem Kleinen nur, wenn der Boß Fußball spielt. Der tyrannische Vater entdeckt seine Liebe zum Fußball wieder und fährt mit seinem Filius zum Endspiel nach Bern. Beglückt nimmt der Mann den Sieg der Fußballmannschaft wahr und freut sich über das "deutsche Wunder". In der Kneipe der Eltern werden anlässlich der Übertragung der Spiele laufend rassistische Sprüche geklopft, wie: "Vorsicht, die Jugos sind alle Partisanen und unfair". Ein anderer Kneipengast sagt, nachdem Ungarn im Endspiel früh 2:0 führt: "Wir werden das Spiel genauso verlieren, wie den Krieg."

Die Message des Films ist jedoch eine andere, das Spiel endete 3:2 für Deutschland, die Kriegsniederlage wiederholte sich nicht. Eine verwöhnte Dame aus München, Frau eines SZ-Reporters, ist anfangs nicht am Fußball interessiert. Im Lauf des Turniers entwickelt sie sich zum "Fan". Vor dem Spiel gegen Ungarn fordert sie: "Schickt sie zurück in die Puszta, macht Schaschlik aus den Ungarn". Während des Spiels kommt die deutsche "Walküre" groß ins Bild und brüllt "Deutschland, Deutschland", die Haupttribüne folgt der Dame aus München blind. Kurz nach diesem Gefühlsausbruch schießt Max Morlock den Anschlußtreffer für Deutschland. Kitsch, Nationalismus und Rassismus prägen den Film. "Das Wunder von Bern" wird neuzeitlich instrumentalisiert. Dichtung und Wahrheit liegen nah zusammen, die Kernaussage ist jedoch "Deutschland, Deutschland über alles in der Welt". Die führenden Politiker des Landes sind von dem Film begeistert, ein Schelm wer böses dabei denkt. Sind doch alle bloß Fußballfans, oder ?

Links:
"Tull" Harder - Vom Idol zum Kriegsverbrecher
Chronik des Weglassens

Abdruck mit freundlicher Erlaubnis des Autors.

26.10.2003
Max Brym/© BurkS

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