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 [Mythos RAF 6] Die Anti-Terror-Gesetze Nächstes Thema anzeigen
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burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
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BeitragVerfasst am: 25.10.2003, 00:28 Antworten mit ZitatNach oben

Der Text ist Teil der Diplomarbeit "Die Rote Armee Fraktion und die Reaktion des Staates", Institut für politische Wissenschaft; Universität Hamburg 2002. Abdruck mit freundlicher Erlaubnis von Jana Kunath. Die Diplomarbeit gibt es auch bei www.diplom.de.

Die Anti-Terror-Gesetze


Die Anwendung und Auswirkungen der Anti-Terror-Gesetze

1. Zur Reichweite des § 138a StPO

Nach Inkrafttreten des § 138a ff. wurden im Stammheimer Verfahren gegen Baader die Anwälte Croissant, Groenwold und Ströbele von der Verteidigung ausgeschlossen. Außerdem wurde unter dem Vorsitz des Richter Dr. Prinzig der Beschluss gefasst, dass die ausgeschlossenen Anwälte keinen weiteren anderen Angeklagten verteidigen dürfen. Der Bundesgerichtshof bestätigte diesen Beschluss.

Jedoch wurde dieses Vorgehen der Richter bei der Begründung des Regierungsentwurfs nicht thematisiert, "sondern ganz allgemein auf die mangelnde Legitimation des Verteidigers bei Verdacht der Tatbeteiligung verwiesen". Zwar wurde bei einer Anhörung eines Vertreters des Strafrechtsausschusses erklärt, er habe für eine Untersagung der Verteidigung für die anderen Beschuldigten durch die ausgeschlossenen Verteidiger plädiert, jedoch sei die "Erstreckung" nicht als Konsequenz des Gesetzes bezeichnet worden. Auch der Justizminister habe in mehreren Stellungnahmen ausdrücklich nur auf die Ausschließung eines Verteidigers für einen Angeklagten verwiesen. Die Justizminister der Länder erklärten 1975, dieses Gesetz müsse noch auf seine Wirksamkeit überprüft werden, da es sich durch die fehlende Ausdehnung der Ausschließung auf andere Angeklagten als mangelhaft erwiesen habe. Später wurde das Gesetz noch erweitert, um die Rechtsprechung im nachhinein zu kodifizieren. Somit wurde die alte Vorschrift wegen der ?empfundenen Praxisuntauglichkeit? angepasst.

2. Die Auslegung des § 231a StPO (Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten)

Bei der Beratung dieses Gesetzes wurde nur über eine absolute, nicht über eine begrenzte Verhandlungsunfähigkeit gesprochen. Die Rechtsprechung sah jedoch anders aus. Die Entscheidung des Bundesgerichtshof (BGH) und des Bundesverfassungsgerichts von 1975/76 sah auf Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) in Stuttgart vor, die Verhandlung in Stammheim in Abwesenheit der Angeklagten fortzusetzen. Jedoch setzte das BGH und das OLG den Begriff der Verhandlungsunfähigkeit mit einer eingeschränkten gleich. Als Mindestmaß wurde eine Verhandlungsdauer von 9 bzw. 12 Stunden festgesetzt, um eine ordnungsgemäße Durchführung der Hauptverhandlung zu garantieren.

Die Merkmale einer vorsätzlichen und schuldhaften Herbeiführung erfolgte vom OLG und BGH mit gleichem Ergebnis, jedoch mit unterschiedlichen Begründungen. Das OLG hatte durch eine Auslegung von fachärztlichen Gutachten sowohl die Haftbedingungen als auch die Hungerstreiks als ursächlich angesehen, um die Anwendung des § 231a zu begründen. Das BGH begründete dies im Gegensatz zum OLG mit den besonderen und "isolierenden" Haftbedingungen, legte somit dies als Begründungsschwerpunkt an. Mit dieser Begründung erkannte das Gericht die gesundheitsgefährdeten Auswirkungen der Haftbedingungen an. Jedoch seien diese Haftbedingungen wegen der Gefährlichkeit der Angeklagten "unabweislich notwendig". Dass die Hungerstreiks der RAF-Gefangenen zu einem Zeitpunkt stattfanden, als es noch keinen Termin für die Hauptverhandlung gab, ließen beide Gerichte nicht gelten.

3. Die §§ 129, 129a StGB

RAF-Mitglieder und andere Terroristen wurden nach § 129 StGB angeklagt. Der ehemalige Generalbundesanwalt M. Martin schrieb, dass man sich für den § 129 entschieden habe, da dadurch die Gruppe als Ganzes verfolgt werden konnte. In anderen Fällen hätte man die Straftaten einzeln nachweisen müssen und die Staatsanwaltschaften der einzelnen Bundesländer wären zuständig gewesen.

Der § 81 (Hochverrat gegen den Bund) wurde ebenfalls diskutiert. Mit diesem Paragraphen wäre es auch möglich gewesen, die Gruppe als Ganzes zu verfolgen, und es wären sogar höhere Strafen möglich gewesen. Man entschied sich jedoch für den § 129, denn durch eine Anklage nach § 81 StGB hätten die Bundesregierung, die Bundesanwaltschaft und das Bundeskriminalamt die politische Dimension der RAF praktisch anerkennen müssen.

Die strategische Entscheidung, wegen des Vorliegens einer Straftat im Sinne des § 129a ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, liegt bei den Staatsanwaltschaften. Ihnen kommt somit die entscheidende Definitions- und Zurichtungsmacht zu. Mehrere Gerichtsurteile bestätigen dem § 129a eine "Tendenz zur ständigen Erweiterung".

Sogar Hausbesetzern bei einer Räumung sei das "Vorliegen einer kriminellen Vereinigung für den Fall der Vorbereitung von Straftaten gegen die Polizei" durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs bescheinigt worden.

Bezüglich so genannter Sympathiewerbung für die RAF wurde ein Verfahren nach § 129a eröffnet. Der Angeklagte wurde wegen des Anbringens von Parolen wie "Die RAF lebt" nach § 129a verurteilt.

Diese Beispiele lassen den Eindruck entstehen, dass sich die Justiz demonstrativ an die Seite des Staates stellt, um Einigkeit bei der Bekämpfung des Terrorismus zu signalisieren.

Die Kontraproduktivität der Anti-Terror-Gesetze am Beispiel der §§ 88 und 130

Angesichts der sehr vielfältigen gesetzlichen Maßnahmen ist es kaum möglich, eine Wirksamkeitsanalyse zu erstellen. Die begrenzte Wirksamkeit gesetzlicher Maßnahmen bei der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus ist jedoch weitgehend unbestritten.
Der erste Direktor im Bundeskriminalamt Manfred Klink legt dar, dass eine wirksame Strafverfolgung bei hochkonspirativen Gruppen ohne diese Gesetze nicht möglich wäre. Leider legt er keine empirischen Untersuchungen vor, um seine These zu belegen. Einige Wissenschaftler argumentieren im Gegensatz dazu, dass Gesetze "mehr Schaden als Nutzen" brächten und dass die Verschärfung der Gesetze dem Terrorismus mehr Zulauf bringe.

Mit dem § 88 StGB (Befürwortung von Straftaten) war eine "Vorfeldkriminalisierung" offensichtlich.

Der Spiegel resümiert, dass der Staat bezüglich dieser Paragraphen, seine Legitimation im Sinne der RAF behandele, indem er "selbstherrlich über Gesetze" hinweg sah.

Die Kontraproduktivität der Anti- Terror-Gesetze lässt sich an den Begründungen für den § 88, für den § 130a StGB (Anleitung zu Straftaten) und an der Diskussion um die Abschaffung dieser Paragraphen aufzeigen. Die Abschaffung wurde dadurch begründet, dass den Paragraphen nur eine geringe kriminalpolitische Bedeutung zugekommen sei. Die Verurteilungen nach § 88 und § 130a seien zu gering gewesen. Dies wird durch den großen Anteil eingestellter Ermittlungsverfahren deutlich: Circa 75% wurden nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Negative Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit ließen sich nicht ausschließen, da die Grenzen zwischen Meinungsfreiheit und Strafbarkeit fließend sind, so dass sich die Abwehr von der Befürwortung von Straftaten nicht ohne eine Gefährdung des Grundprinzips der Meinungsfreiheit verwirklichen ließ. Bei der intellektuellen Jugend ergaben sich "delegitimierende Wahrnehmungen" wie der Eindruck, die politische Meinungsäußerungsfreiheit sei durch den § 88 eingeengt worden.

Bis 1982 sind die § § 88, 130a StGB abgeschafft worden, bis dahin waren sie jedoch die einzigen.

Kritik an den Anti-Terror-Gesetzen

Ein wesentliches Ziel der Gesetzgebung gegen den Terrorismus war eine Beschleunigung der Strafverfahren gegen Mitglieder der RAF und anderer Terrororganisationen. Ein gewisser Beschleunigungseffekt ist wohl anzunehmen, jedoch wird er in einzelnen Bereichen eher skeptisch zu beurteilen sein.

Besonders bei den komplizierten Verteidigerausschlussverfahren oder dem Verbot der Mehrfachverteidigung erweist die Gesetzgebung sich als kontraproduktiv bezüglich des Beschleunigungseffekts. Durch die nun mühselig gewordene Suche nach einem sachkundigen Verteidiger werden die Verfahren mehr behindert als beschleunigt.

Die durch den § 148 Abs. 2 StPO ermöglichte Überwachung der Verteidigerpost lässt insofern Verzögerungen zu, als sich die Postlaufzeit entsprechend verlängert, wobei dadurch bei der Durchführung eines Beschwerdeverfahrens die Verzögerung entsprechend zunimmt.

Ebenso lässt sich auf der "Ebene der Umschichtung normativer Prinzipien" eine mögliche negative Einschränkung einiger Freiheitsrechte - wie zum Beispiel der Meinungsfreiheit - nicht leugnen.

Der Eindruck, den die Terroristenprozesse gerade auf die Jugend machten, die Justiz ließe sich in die Bekämpfung gegen den Terrorismus eingliedern, und der damit verbundene Eindruck, diese Prozesse ließen es an Fairness vermissen, lässt sich durch empirische Untersuchungen durchaus belegen.

Der Verzicht auf eine Befristung der Sondergesetze hatte die "Veralltäglichung des Ausnahmezustandes" zur Folge.

Strafrechtliche Sanktionen können auch im Vorfeld neue terroristische Straftaten nicht verhindern. Darüber hinaus wurden immer weitere Straftatbestände geschaffen, die jedoch nur im Rahmen der Verfassung verfassungsgemäß sind, wenn die Unzulänglichkeit bereits bestehender Gesetze dargelegt werden kann. Gerade hierbei bestehen erhebliche Zweifel, wie zum Beispiel an der Bedeutungslosigkeit der §§ 88, 130a StGB zu sehen ist.

Die Zielrichtung neuer Strafandrohungen war die Verhinderung der weiteren Ausbreitung des Terrorismus. So sollte verhindert werden, dass Einzelpersonen aus dem Kreis der legalen Helfer der RAF in die Illegalität abtauchen. Klughardt äußert jedoch erhebliche Zweifel, ob eine wirksame Abschreckung auf dem Wege der Strafgesetze überhaupt erreichbar sei. Diese Mitglieder seien schon so weit ideologisch radikalisiert, dass ein Denken im Freund-und-Feind-Schema vorherrscht und dieses bereits eine politische Diskussion ersetzt habe.

Diese Abschreckungswirkungen durch die Anti-Terror-Gesetze haben sich demzufolge auch nur teilweise verwirklichen lassen.

Zusammenfassend stellt Klughardt dar, dass in den Bereichen Verteidigung, Richterablehnung, Anwesenheitsrecht usw. die Abschreckung durch diese Gesetze eher überschätzt wurde. Andere sehen durch die Verschärfung der Gesetze sogar eine Zunahme des Linksterrorismus und keine wirkungsvolle Verhinderung.

I. Fetcher sieht die Gewaltenteilung in Gefahr, wenn die Legislative und Judikative immer dann Gesetze ändern, wenn ihnen bestehende unbequem seien.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass eine bedeutsame Wirksamkeit der Anti- Terror- Gesetze nicht nachzuweisen oder zumindest umstritten ist. Die Gefahr, dass der Staat sich fast "zu Tode geschützt" hat, war durchaus gegeben, wenn man bedenkt, wie wenig diese Gesetze zur Verhinderung des Terrorismus beigetragen haben. Sie haben weder Anschläge und Morde verhindert noch konnte im Vorfeld Terrorismus verhindert werden.

Fortsetzung folgt.
25.10.2003
© BurkS

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