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 [Feuerwehr 4] Grossbrand in Moabit Nächstes Thema anzeigen
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burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
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Wohnort: Berlin-Neukoelln

BeitragVerfasst am: 20.10.2003, 00:15 Antworten mit ZitatNach oben

Grossbrand in Moabit

Fortsetzung von
[Feuerwehr 3] Oma drei antwortet nicht

Von allen Seiten stolpern die Kameraden in die Halle, entern die Wagen. Ich springe in das "TLF", weil da noch Platz ist. Motoren dröhnen, Tore heben sich fast lautlos, die letzten setzen die Helme auf. Friedrich-Krause-Ufer? Das hat gerade noch gefehlt. Wenn wir in einen Bezirk ausrücken müssen, der weit von unserem Zuständigkeitsbereich entfernt liegt, bedeutet das, dass die dortigen Wehren mit der Situation nicht alleiin fertig werden. Also ein Großbrand oder eine Katastrophe.

Wir jagen im Konvoi quer durch Moabit, erschrecken die ersten Frühaufsteher, die schlaftrunken in Richtung Untergrundbahn tappen, biegen mit quietschenden Reifen in die Stromstrasse ein und nehmen Anlauf für die Steigung zur Putlitzbrücke. Oben angelangt, breitet sich vor unseren Augen eine Szenerie aus, die wie eine Mischung aus frühkapitalistischem Sperrmüll und Raumhafen auf dem Mond aussieht. Links, soweit das Auge reicht, ein Gewirr von Geleisen, die sich zwischen grauen Farbikhallen verlieren. Überall verteilt Strommasten, Industrielaternen, Oberleitungen, dazwischen glitzern die Wasserflächen des Westhafens. Die Sonne ist gerade aufgegangen, versteckt sich aber noch hinter den Häuserfluchten des Wedding.

Rechts versperren uns klotzige rotbraune Fabrikgebäude die Sicht. Sie trennen wie ein mittelalterlicher Burgwall die beiden Stadtteile Moabit und Wedding, mit dem Güterbahnhof und dem Spandauer Schiffahrtskanal als Burggraben. Über den Gebäuden ziehen rabenschwarze Rauchwolken gegen den Himmel. Sie gewinnen an Höhe und verlieren ihre bedrohliche Finsternis, quellen auf und toben endlich nach Norden. Wir fahren auf Sicht. Niemand weiß genau, wo es brennt, aber es nicht zu übersehen, dass wir zum Ende der Uferstraße müssen, da, wo die S-Bahn-Linie den Kanal und die Fahrbahn überkreuzt. Am Kraftwerk biegen wir ins Friedrich-Krause-Ufer ein. Mindestens zwanzig Löschwagen haben sich versammelt. Armdicke Schläuche ringeln sich vom Kanal hoch und transportieren Unmengen von Wasser zum Brandherd. Der weiträumige Platten- und Plastikflachbau der Asylbehörde ist in ein gelbrotes tosendes Flammenmeer getaucht. Die Feuerwand tanzt auf dem Dach, greift gierig nach der wellenden pappe, verbiegt Aluminium, lässt Kunststoff mit plötzlichem Knall zerplatzen.

Jeder der Kollegen scheint ohne Kommandos zu wissen, was er zu tun hat. Schläuche werden ausgerollt, miteinander verbunden. Angriffstrupps scharen sich um silberglänzende Sprühpistolen und kämpfen sich gegen die sengende Hitze zu den Ecken des Gebäudes vor. Oben auf dem Dach unseres Tanklöschfahrzeugs steht breitbeinig Kurt, den Helm verwegen in den Nacken geschoben, graue, verschwitzte Haarsträhnen in der Stirn und die Hakennase kühn nach vorn gerichtet. Mit einer Feder am Helm sähe er Winnetou nicht unähnlich. Mit beiden Händen hat er die Bedienungshebel des Wasserwerfers gepackt. "Trutz, blanke Hans!" möchte ich ihm kernig zurufen, aber der blanke Hans ist ja heute unser wichtigster Verbündeter.

"Da hast du deinen Brand!" schreit mir unser Maschinist gegen den Lärm ins Ohr. Peinlich ist nur, dass ich einen Zugführer-Helm auf dem Kopf trage und keine Züge führen kann. Da passiert es auch schon: Ein triefend nasser stämmiger Feuerwehrmann mit verdreckter Uniform wankt auf mich zu un dbrüllt, weil er meint, ich könnte etwas zügig anordnen: "Nehmt euch 'ne Haspel und helft uns...!" Ich winke aus Leibeskräften ab, denn ich weiß weder, was eine Haspel ist, noch kann ich ihm damit helfen.

Weitab vom hin- und herwogenden Geschehen steht ein wunderschöner moderner Bus, vollgestopft bis an die Decke mit den neuesten Errungenschaften der Brandbekämpfung. Monitore zeigen das brennende Gebäude aus jedem Blickwinkel, und ich beobachte möglichst unauffälllig die eifrigen Führungskräfte bei der visuellen Arbeit. Viel ist leider auf den Bildschirmen nicht zu erkennen. Die Hälfte des Gebäudekomplexes besteht nur noch aus einem qualmenden, wie ein abgestorbener Wald traurig nach oben ragenden, geschwärztem Gerippe. Die Brandstifter, "Revolutionäre Viren", wie später ein Bekennerbrief klarstellt, haben sechs 20-Liter-Kanister Benzin oder Diesel auf dem Dach ausgekippt und angezündet. Die Asylunterlagen fast aller in Berlin lebender Asylbewerber sind unter Stapeln verschmorter Ordner und angeschmolzener Karteikästen begraben, und manche Abschiebung von Frauen und Kindern in ihre idyllisch-friedlichen Heimatländer, etwa den Libanon, wird sich um Monate verzögern, bis die Behörde die aktenmäßige Sicherheit und Ordnung haben rekonstruieren können.

Einer der Einsatzleiter verlässt den Bus und geruht, die schon zahlreiche versammelte, verschlafen dreinblickende Presse zu informieren. Um 6.30 Uhr haben Wasserwerfer, B- und C-Schläuche das Feuer erstickt. An einigen Stellen kokelt es noch vor sich hin. Wir sitzen gemeinsam in den Fahrzeugen und warten auf das Kommando des Zugführers zum Abrücken. Dann brausen wir zurück. Ich kämpfe mit dem Hustenreiz, weil die den Zigaretten gerade entwöhnte Lunge meine scheinbare Inkonsequenz nicht fassen kann. Winnetou-Kurt hat die Hände in den Schoß gelegt und schaut auf die morgendliche Rush-hour. Mein Kollege auf dem Nebensitz wundert sich über seine zerissene Jacke. Der Maschinist dreht sich um, grinst und findet wie die Faust auf's Auge die richtigen Worte: "Das ist unser Leben."

Ende

Die - hier leicht gekürzte - Reportage wurde 1988 geschrieben. Sie erschien in meinem Buch Unter Männern, 1998 bei Rowohlt. Sie wurde 1995 als Fortsetzungsgeschichte nachgedruckt in "B 112", dem Magazin der Feuerwehr Berlin/Brandenburg.

20.10.2003
© BurkS

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