burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
Beiträge: 6757
Wohnort: Berlin-Neukoelln
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Verfasst am:
07.10.2003, 00:37 |
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Oma drei antwortet nicht
Fortsetzung von [Feuerwehr 1] Von Kielschweinen und Samaritern
und [Feuerwehr 2] Die Leiche und der Wellensittich
19.30 Uhr. Eine bewusstlose Person soll in einer öffentlichen Toilette liegen. In einer der Kabinen entdecken die Kollegen zwei Männer, die noch aktiv sind und rufen irgendetwas nicht Druckreifes, fühlen sich aber nicht zuständig. Die bewusstlose Person hat sich offenbar schon entfernt.
20.15. Uhr. Ein Rohr hängt im Baum. Der Zugführer befragt den Anrufer auf dem Balkon seiner Wohnung, und wir rätseln, wie es da hinaufgekommen sein mag und ob es wieder hinunterfallen werde. Es stellt sich heraus, dass das "Rohr" schon über fünf Jahre da oben hängt und auch den nächsten Winter überstehen wird. Vielleicht ist es auch nur, die Nachbarn sind sich da nicht einig, ein Besenstil. Wir rücken ohne weitere Maßnahmen ab.
23.15 Uhr. Oma drei antwortet nicht. Das Schloss ihrer Wohnungstür leistet Widerstand wie ein Schweizer Tresor. Drei Bohrstifte verbiegen sich unwiderruflich, als wir dem Zylinder zu Leibe rücken. Ich habe die ehrenvolle Aufgabe, einen Schalter zu bewachen und ihn im Bruchteil einer Sekunde zu drücken, falls das Flurlicht erlischt. Die neugierig herbeigeeilten Nachbarn fragen sich, warum wir eine halbe Stunde in einer Tür herumbohren, obwohl unsere Äxte griffbereit an der Wand lehnen. Die Oma rumort, ruft nicht um Hilfe, ist also auch nicht tot; deshalb gehen wir kostengünstig vor und demolieren nicht den gesamten Eingang. Aber wenn es darauf ankäme, wären wir in spätestens drei Minuten drin.
Die Situation verkompliziert sich. Mittlerweile sind uns die Bohrer ausgegangen. Die Kollegen wollen versuchen, mit Hilfe des Hebelgesetzes und eines Stemmeisens den Zylinder zum Verlassen der Tür zu bewegen. Wir anderen verteilen uns gleichmässig im Gang wie ein Anti-Terror-Kommando, das in die Wohnung eines schiesswütigen Desperados eindringen will und sich wechselseitig Feuerschutz gibt. Denn wenn der Zylinder aufgibt und plötzlich hinausknallt, besteht Verletzungsgefahr. Einer der beiden anwesenden Polizisten versteckt sich hinter mir.
00.15 Uhr. Hammer, Meissel und Trennschleifer haben das Schloss besiegt. Die Oma sitzt auf dem Boden, kaum zwei Meter von der Türklinke entfernt und erklärt, dass sie hingefallen sei. Sie wolle aber nicht ins Krankenhaus. Wir überlassen sie unseren grünberockten Kollegen, sammeln das Werkzeug ein und rücken ab.
01.20 Uhr. Schon wieder weigert sich eine Tür, den Wohnungsinhaber einzulassen. Auf dem Weg zum Einsatzort gerät der achtzehnjährige Fahrer mit unserem "LHF" - trotz meiner ortskundigen, aber zu schüchtern vorgetragenen Warnung - in eine baustellenbedingte Sackgasse. Er verbeult beim Wenden ein parkendes Auto. Während wir auf Polizei und höhere Vorgesetzte warten, wird unser Jüngling, der sich nur mühsam das Schluchzen verkneift, von allen liebevoll getröstet.
02.45 Uhr. Eine weitere Oma. Die Dame sei zuckerkrank, müsse schnell ins Krankenhaus, könne aber nicht mehr laufen. Sie wohnt im Hinterhaus, und der Eingang zum Hof ist verschlossen. Da wir keine Schusswaffen tragen, um das Schloss stilvoll entfernen zu können, entschliessen wir uns für die "fliegende" Methode: vier Meter Anlauf, Schultern vor und durch! Die Oma ist zum Knuddeln. Mit ihrem fertig gepackten Täschchen steht sie in der Wohnungstür und entschuldigt sich schrecklich aufgeregt, dass sie uns belästigen muss. Während wir zum Krankenhaus rasen, überlegt sie angestrengt. Sie soll sich erinnern, in welcher Versicherung sie ist. Das fällt ihr nicht ein. Ich sehe, wie sie denkt. Ihr Mund klappt unkontrolliert auf und zu, mit der Hand umklammert sie ihre Utensilien. Die Krankenschwester, die sie in Empfang nimmt, hat kurze dunkle und sehr zerzauste Haare. Ihre Augen funkeln neugierig. Sie scheint mein Inkognito durchschaut haben. "Gehört ihr wirklich alle zusammen?" fragt sie und macht schelmische Grübchen in meine Richtung.
03.40 Uhr. Ich falle vor Müdigkeit fast die Treppe hinunter. Die Stange zum Rutschen, an die im Film die Feuerwehrmänner fotogen abwärts sausen, wartet zwar auf uns, wird aber nicht benutzt. Ich würde mir beim Aufprall unten in der Fahrzeughalle ohnehin die Füße brechen. Einsatz der "RTW". Wir fahren Schlangenlinie durch eine Fußgängerzone. Einer der Nachtschwärmer hat mangels besserer Ideen zur Freizeitgestaltung die Scheibe eines Feuermelders eingeschlagen und sich dann leider getrollt. Eine neue wird eingeklemmt. Der abwesende Täter muss sich Schlechtigkeiten über sich und seine Vorfahren nachsagen lassen.
Zwanzig Stunden im Dienst. Ich lasse mich auf eine Pritsche fallen. Hart über mir schrillt eine Sirene, und eine Stimme sagt erbarmungslos: Alarm für "RTW", "LHF", "TLF". Mein rechter Fuß schwebt in der Luft und sucht vergeblich einen Halt. Ich krache vom Bett auf den Boden, rapple mich hoch und suche meine Hose. 5.05 Uhr. Sei's drum.
Von allen Seiten stolpern die Kameraden in die Halle, entern die Wagen. Ich springe in das "TLF", weil da noch Platz ist. Motoren dröhnen, Tore heben sich fast lautlos, die letzten setzen die Helme auf. Friedrich-Krause-Ufer? Das hat gerade noch gefehlt. Wenn wir in einen Bezirk ausrücken müssen, der weit von unserem Zuständigkeitsbereich entfernt liegt, bedeutet das, dass die dortigen Wehren mit der Situation nicht allein fertig werden. Also ein Großbrand oder eine Katastrophe.
Fortsetzung folgt.
Die - hier leicht gekürzte - Reportage wurde 1988 geschrieben. Sie erschien in meinem Buch Unter Männern, 1998 bei Rowohlt. Sie wurde 1995 als Fortsetzungsgeschichte nachgedruckt in "B 112", dem Magazin der Feuerwehr Berlin/Brandenburg.
07.10.2003
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