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burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
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BeitragVerfasst am: 27.09.2003, 23:32 Antworten mit ZitatNach oben


















[Feuerwehr 1] Von Kielschweinen und Samaritern

Heute Nacht werde ich das Kielschwein sein. Das Kielschwein ist eine Unterart der Spezies Feuerwehrmann und hockt wahrend eines Alarmeinsatzes im hinteren Teil des Rettungswagens. Ich bin für die Dreckarbeit zuständig, darf und soll Brechschalen ihrer Bestimmung zuführen, schreiende Verletzte beruhigen und Blutungen stillen. Vorn sitzen der Maschinist, der das Feuerwehrauto durch den großstädtischen Verkehr lenkt, und der Samariter. Noch ein zweites Kielschwein begleitet uns, da ich nur Feuerwehrmann inkognito bin und von tuten, blasen oder löschen nicht die geringste Ahnung habe.

Feuerwehrmann ist ein Männerberuf (1), und ich will herausfinden, warum. Damit beginne ich bei der "Freiwilligen", der Feuerwache in Berlin-Staaken. Später will ich mich zur hochtechnisierten Variante, der Berufsfeuerwehr, wagen. In Staaken hat man keine Einwände gegen meinen nächtlichen Besuch. Der erste Gesprächspartner rückt mein Weltbild zurecht. Sie ist eine Frau, Hauptbrandmeister und heisst Rosemarie. Die Feuerwehrfrau reicht mir zwar gerade eben bis zu den Brustwarzen, wirkt aber überaus trainiert, so dass ich keine Bedenken hätte, mich von ihr aus einem flammenden Inferno retten zu lassen.

"Die Feuerwehr ein Männerberuf? Das ist 'ne gute Frage, die ich mir vor einigen Jahren auch gestellt habe", meint Frau Hauptbrandmeister bei Schichtbeginn um 18 Uhr. Sie nervte den Landesbranddirektor solange, bis der einen Modellversuch wagte. Allerdings nur bei der Freiwilligen. Die Feuerwehrmänner schwankten zunächst zwischen ungläubigem Staunen und Irritation, als Feuerwehrfrau Rosemarie ihren Dienst an Schlauch und Leiter antrat. Einer bockte: "Mit einer Frau fahre ich nicht, basta." Dreau Hauptbrandmeister kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. "Ich hatte ja Rückendeckung von oben. Ich habe ihm vorgeschlagen, sein Problem mit den Vorgesetzen zu diskutieren", meint sie und fügt hinzu: "Ich sagte ihm, dass er meinetwegen die Wache wechseln könnte, wenn er allzu große Schwierigkeiten mit Frauen hätte. Das wollte er auch nicht. Ich bin jetzt acht Jahre dabei und mache die gleiche Arbeit wie alle: Verletzte auf die Trage hochwuchten, bei einem Brand den ersten Angrifsstrupp führen - aber zugeben werden das die Männer nie.

Oberfeuerwehrmann Ingo, ein stämmiger Jüngling, der mit seinen roten Backen glaubwürdig für Bio-Äpfel Reklame machen könnte, sitzt neben mir auf der Bank for dem Wachgebäude. Ingo hat das Selektivsuchgerät umgeschnallt. Es piept, wenn es brennt, selbst wenn man gerade auf dem Klo sitzt oder im Bett liegt. Wir warten auf den ersten Einsatz. Die Abendsonne taucht die Umgebung in ein friedliches Licht. Vögel zwitschern, und Bernd, mein vorgesetztes Kielschwein, übt seelenruhig fußballerische Kunststücke. Sein Partner Daniel ist kein ausgewachsener Mann, sondern dreizehn und Mitglied der Jugendfeuerwehr. Jeden Montag abend, wenn Daniels Schulfreunde sich die neuesten Videofilme zu Gemüte führen oder Ausschau nach Mädchen halten, pflegt er sein ausgefallenes Hobby. Er hantiert mit der Nebelpistole einschließlich des Stützkrümmers (ein Apparat, der wie die Saurier-Variante einer Wasserpistole aussieht), rollt flink C- oder sogar B-Schläuche aus (je weiter vorn im Alfabet, desto dicker sind sie), montiert wasserführende Standrohre (und zwar korrekt, dass ihm beim Kommando Wasser marsch! das Gerät nicht gleich um die Ohren fliegt), und kennt den Unterschied zwischen Voll- und Sprühstrahl; letzterer bietet Mannschutz, auch für Frauen.

Ingo und Daniel weisen mich geduldig in die höheren Geheimnisse der Feuerwehrtechnik ein. Vor meinem inneren Auge richtet sich drohend eine Flammenwand auf, deren Ausläufer schon um meine Fußspitzen züngeln. Der schlaue Feuerwehrmann greift zur Spritze und stellt Sprühstrahl ein, so dass das Wasser wie aus einer zu groß geratenen Gießkanne zischt. Da muss selbst ein mittleres Buschfeuer klein beigeben, denn acht Atü bedeuten achtzig Meter Wassersäule nach oben!

Es ist 19 Uhr 15. Zeit für einen Umtrunk. Alle anwesenden Feuerwehrmänner und die Feuerwehrfrau schwören beim zuständigen Schutzpatron, dem heiligen Florian: das härteste Getrönk, das in der kleinen Bar unter dem Wachraum serbiert werde, sei der Kümmerling, eine Art Magenschnaps, der auch so schmeckt. Ich spende daher eine Runde Malzbier. Meine Flasche ist gerade halb geleert, da gibt der Lautsprecher ein schnarrendes Geräusch von sich, ringt sich dann, als räusperte er sich, zu einer Mischung als Scheppern und Klingeln durch: der erste Alarm!

Die Parole, verkündet vom Wachhabenden, der oben Bildschirm und Telefon belauert, lautet: "Verletzte Person, Imbiss Brunsbütteler Damm!"

Wir poltern die Treppe hinaus. In meinen Stiefeln ist noch viel Platz, trotz meiner imposanten Schuhgrösse. Das spüre ich, als beim Spring in den Rettungstransportwagen (in Zukunft feuerwehrmännisch RTW genannt) mein Schienbein mit dem Türrahmen in Berührung kommt. Während Maschinist Ingo den Motor startet, arrangiere ich meinen Helmriemen, der unvorschriftsmässig quer über meiner Brille sitzt und knöpfe dienstmässig mein Jackett zu.

Zwei Minuten 30 Sekunden, drei sind erlaubt. Ingo schaltet Sirene und Blaulicht ein, das Tor hebt sich, Rosemarie vergewissert sich, dass ich nicht hinausgefallen bin, und Bernd, mein vorgesetztes Kielschwein, klappt liebenswürdigerweise die Armlehne meines Sitzes hinunter, dass ich während der wilden Jagd nicht auf die teure Vakuummatratze rechts neben mir falle oder sonstige kostbare Innereien demoliere.

Lalülalülalü. Ich orientiere mich. Neben mir die Krankentrage mit Hebeautomatik. Wenn ich wüsste, welcher der vielen Hebel der richtige ist, könnte ich eine verletzte Person in jede gewünschte Lage bringen; Kopf hoch, Beine hoch, starre oder elastische lage, eine Reservematratze ausklappen, auf der Aluminiumunterlage eine Herzmassage versuchen, Pumpen in Betrieb setzen, die die Luft zwischen den Styroporkügelchen in der Vakuummatratze hinaussaugte und sie der Form jeder auch nur annähernd humanoiden Wirbelsäule anpasste. Wenn ich mich mit dem Stecksystem auskennen würde, könnte ich die stationäre Inhalationsanlage anschliessen, um jeder Atemnot und der an ihr leidenden Person auf die Sprünge zu helfen. Bernd weist ein: Wir werden den Koffer mit Verbandsmaterial mitschleppen, ich soll, falls nötig, die rote Tasche mit Funkgerät, Beatmungsbeutel, Absaugkatheter und einigen hübschen Dingen mehr tragen.

Wir sausen über die Brücke der Eichholzbahn. Vorn, zwischen Maschinist und Samariterin, knistert das Funkgerät. Noch 500 Meter geradeaus.. Vollgas. Alle anderen Fahrzeuge halten eingeschüchtert am Strassenrand. Vor mir im Schrank scheppern kleine Gerätschaften in den Schubladen: die unvermeidlichen Brechbeutel, Schutzvisiere, Tupfer, Handschuhe, Nabelklemmen und ein komplettes Entbindungsset, Staubinde, Blutdruckmessapparat, Unterbindungsmanschette, Dreiecktücher, Kleiderschere, Nierenschalen. ein Fläschchen Merphen sehe ich statt des bekannten, aber jetzt verbotenen Jods, nach deren Anwendung zimperliche Verletzte früher einen kleinen Zwischensprint einlegten. Stabile Gurte, falls ein Selbstmordkandidat auf seiner Absicht beharrt, Augendusche, Wasserbehälter, je einer für Alt- und Frischwasser. Waschlotion, Desinfektionsmittel. Wenn Wasser in das Handwachbecken gelassen wird, ertönt ein fröhliches Summen. Oben in der Ablage über dem Krankentragestuhl klappert alles in Sachen Knochenbruch, schienen, Bandagen zum aufblasen für die kleinsten Knöchelchen, Bergetuch - nur für wirklich schlimme Fälle. ein Intubationsbesteck, um sich direkten Zugang zur Lunge zu verschaffen, allein Ärzten vorbehalten. Über mir ein Ventilator, daneben eine Lichtorgel: Wenn die Tür hinten sich öffnet, geht vor das Licht aus; wenn aber der Schalter herumgelegt wird, erlischt die Lampe vorn nur, wenn die Tür geschlossen ist. Oder war es umgekehrt?

Wir sind da, sechs Minuten 40 Sekunden. Tür auf. Kielschweine mit Köfferchen hinaus, Samariterin hinaus, Maschinist hinaus. Der Ort des Geschehens ist ein Strassencafé der einfachen Art. Zwei Polizisten warten etwas ratlos neben einem Arrangement aus Stühlen, einem Sonnenschirm, wie der Turm von Pisa geneigt, einem Tischchen, umrahmt von leeren Bierflaschen. Auf der ersten Sitzgelegenheit lümmelt sich ein Herr, dessen Blick in weite Fernen zu schweifen scheint. Auf der anderen eine jüngere Frau, die sich den Unterleib mit beiden Händen hält und dabei "mein Bauch! Mein Bauch!" schreit.

Unsere Samariterin redet ihr gut zu. Ich weiß die Klientin in erfahrenen Händen und sehe mich um, was zu meinen feuerwehrlichen Pflichten gehören könnte. Schaulustige zurückdrängen? Wirt und Gäste des Etablissements sind offenbar froh, die Angelegenheit losgeworden zu sein. Den Unfallort weiträumig absperren? Ein Unfall liegt nicht vor. Auch droht, wie mir scheint, keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben vorbeieilender Passanten. Irgendetwas muss ich tun! Die Situation erinnert mich an ein gehässigtes Demonstrantenwort: Ich bin nicht, ich kann nichts, gebt mir eine Uniform! Die habe ich an. Also rücke ich meine Helm zurück und bitte in Umkehrung der sonstigen Verhältnisse die beiden Polizisten, ein wenig zurückzutreten.

Eine Schwangerschaft oder eine Schlägerei können wir ausschließen. Also bitten wir die Dame, uns zur Diagnostik ins Krankenhaus zu begleiten. Die schreit und Lamentiert "mein Bauch!" Dann, mit plötzlich ruhiger, gefasster Stimme: "Aber mein Freund muss mit!" Zum Schluss ihrer Ausführungen der Refrain, mit hohem, sich überschlagendem Sopran: "Mein Bauch!"

Nun gut. Der Freund soll mit. Dieser versucht sich zu erheben, wankt gefährlich, rudert mit den Armen und stürzt, bevor wir ihm unten dieselben greifen können, quer zwischen Tisch und Stuhl. Leider hat er sich dabei die Stirn aufgeschlagen, so dass wir es jetzt mit zwei verletzten Personen zu tun haben. Ingo behält den Überblick. Er rennt hinter dem Polizeiwagen her, der sich schon auf die gegenüberliegende Fahrbahn entfernt hat. Die Polizisten sind nicht dumm und lehnen eine Beförderung des besäuselten Herrn ab. Die Feuerwehr muss also dran glauben. Wir schnallen die Delinquenten auf die beiden Sitze, und ab geht die Post. Während der intensiven Personenbefragung stellt sich heraus, dass wir es mit alten Bekannten zu tun haben, die sich häufig und gern ins Krankenhaus fahren lassen. Am Ziel angelangt, organisieren wir einen zweiten Krankentransportstuhl. Der diensthabende Arzt macht ein gelangweiltes Gesicht und übergibt unsere Patientin einer Kollegin, womit für uns der Fall abgeschlossen ist. Der besäuselte Mann wird auf eine Bank gesetzt, versucht noch, seiner Bekannten nachzueilen, die ihm Abschiedsblicke zuwirft.

Mein erster Alarm ist vorbei, nichts besonders Aufregendes, Gefährliches oder gar Heldenhaftes. Die Kollegen wollen dem nachhelfen und plaudern angeregt aus ihrem Erfahrungsschatz, um mir die Vielfalt ihrer Aufgaben zu verdeutlichen. Ein Freund, seines Zeichens frisch eingestellter Feuerwehrmann, so erzählt Ingo behaglich, habe den Auftrag bekommen, des Nachts eine Wohnungstür aufzubrechen, während ein Kamerad versuchte, von aussen mit Hilfe einer Leiter in ein Zimmer zu gelangen. Mit dem Handscheinwerfer leuchtete er in alle Räume, niemand war aufzufinden. Beim letzten, dem Schlafzimmer, drückte er vorsichtig die Tür auf. Die Leuchte vorgestreckt, blickte er in den riesigen Spiegel gegenüber. Darin sah er, wie sich die Tür hinter ihm langsam schloss, ein aufgequollenes, verwestes Etwas sich von der Wand löste und auf ihn zu kippen drohte. In diesem Augenblick klirrten die Scheiben, und der Kollege enternte das Zimmer. Sein Freund sei, so schließ Ingo den Bericht grinsend, wie ein geölter Blitz die Leiter hinunter, in den RTW gesprungen und habe sich geweigert, diesen während des Einsatzes einmal zu verlassen.

Die Nacht bleibt ruhig. Bevor ich mich am Morgen verabschiede, legt mir ein Feuerwehrmann die Hand auf die Schulter: "Schickt uns doch neulich der Einsatzleiter zu einer Gaststätte. 'Abgetrenntes Glied' hieß das Stichwort. War aber nur 'ne Currywurst."

Fortsetzung folgt.

(1) Die - hier leicht gekürzte - Reportage wurde 1988 geschrieben. Sie erschien in meinem Buch Unter Männern, 1998 bei Rowohlt. Sie wurde 1995 als Fortsetzungsgeschichte nachgedruckt in "B 112", dem Magazin der Feuerwehr Berlin/Brandenburg.

28.09.2003
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