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burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
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BeitragVerfasst am: 20.09.2003, 02:49 Antworten mit ZitatNach oben

Fortsetzung von [Neuapostolische Kirche] "Unter Aposteln 1"

[Neuapostolische Kirche] Unter Aposteln 2

Körpersprache und Minik des neuapostolischen Prediers haben für mich ein so aufwühlendes Charismua wie das einen Sparkassen-Filialleiters. Dennoch horche ich auf. Natürlich erfahren wir Brüder nichts über Politik, Feminismus, Fussball oder andere Themen, die die Herzen der Männer bewegen. Der fromme Redner hinter dem Holzaltar entwickelt einen Mythos, der den brüderlichen Männerbund psychologisch festigen soll. Er stammt aus der Offenbarung des Johannes, dem apokalyptischen Schlussakkord des "neuen" Testaments.

Vor unseren geistigen Augen erscheint eine Frau, das biblische Sonnenweib, versehen mit astrologischen Querverweisen (Sonne Mond und Sterne), die in den Wehen liegt. Vor ihr tobt ein roter Drache, der wutschnaubend schon einen Teil der Sterne mit seinem Schweif vom Himmel gefegt hat. Das Untier gibt wie jeder Drache unmissverständlich zu verstehen, dass es das neugeborene Knäblein fressen will. Das Kind solle, so der Apokalyptiker Johannes und sein neuapostolischer Interpret, "die Völker weiden mit eisernem Stab". Das ist keine sexuelle Anspielung, sondern ein Hinweis auf die künftige Herrschaft eines starken Führers, nach dem sich ratlose und sozial schwächere Maenner in Deutschland manchmal sehnen. Gott greift doch im letzten Moment ein und holt das verängstigte Knäblein zu sich in himmlische Regionen, die für Drachen im allgemeinen tabu sind. Die Dame schickt er verständlicherweise in die Wüste. Sonst wuerde jeder Gläubige verwirrt annehmen, sie sei seine, Gottes Ehefrau. Die christliche Mythologie sieht allerdings bis heute trotz eines "Gottessohnes" keine Frau Gottes vor.

Der so abgewimmelte Drache versucht das "Sonnenweib" mit einem Schwall Wasser, den er ausspeit, zu ertränken, was ihm aber in der wüstenhaft sandigen Umgebung von vorneherein misslingt, wendet sich frustriert ab und anderen unschuldigen Opfern zu. Solche Dreiecksgeschichten zwischen den Geschlechtern kennen wir aus anderen Männerbünden. Die katholischen Brueder und Gläubigen verehren Maria, eine Frau ohne sexuell aktiven Mann, die aus durchsichtigen Gründen vom übergeordneten Geistvater schwanger geworden ist. Das Kind, natürlich ein Sohn, muss sich opfern und kreuzigen lassen, um mit dem Vater ein intimes Verhältnis zu erreichen und ihn auf die Menschheit versöhnlich zu stimmen.

Der Held der freimaurerischen Mythen, Hiram, ist "Sohn einer Witwe", einer abgeschwächten Form der Jungfrau. Er stirbt symbolisch im Ritual des Meistergrades und kann nur durch eine "Bruderkette" wiederbelebt werden. Der geheime Wunsch, so die psychoanalytische Interpretation, ist auch hier Vater des Gedankens und des Mythos. Der Sohn spüre Konkurrenz des Vaters und möchte die Mutter allein besitzen. Der Wunsch nehme jedoch keine konkreten sexuellen Formen an, obwohl er so gemeint sei, denn das sei verboten. Mütter erscheinen in Mythen daher als geschlechtslos, als "Witwe" oder Jungfrau.

Unser mythologischer Held, das Knäblein, und seine Mutter, das "Sonnenweib", schweben in Lebensgefahr. Der Mythos führt vor, wie man als zukünftiger Mann allen derartigen Bedrohungen, insbesondere der Sexualität und den uebermächtigen Müttern entrinnen kann. Die Frau muss sich verdrängen lassen, Wasser, Schleim und Blut des Drachen werden ausgetrocknet, und der Knabe initiiert mit dem starken Vater einen schützenden Männerbund.

Dieses Modell eines Beziehungsgeflechts zwischen Vater, Mutter und Sohn durchzieht die Predigten der neuapostolischen Brüder. Ihr Interpretation nach symbolisiere das "Sonnenweib" die gesamte Kirche, der Drache den Teufel und das Böse, das Knäblein den besonders frommen Kern der neuapostolischen Gläubigen, natürlich in der Mehrzahl Brüder höherer Grade. Diese, so hoffen sie jedenfalls, wuerden vor dem bald zu erwartenden grossen Knall gerettet. Anschliessend, wenn das göttliche Imperium gegen das Böse zurueckschlage, dürften sie die gesamte Menschheit in schönster Bescheidenheit auf Dauer beherrschen.

Mythen und bildhafte Vergleiche wie unsere seltsame Familie mit dem Drachen stammen aus Zeiten, in denen die alten Muttergottheit der Menschheit noch nicht vollständig vom Patriarchat verdrängt worden waren. Selbstverständlich spielen männliche Helden hier die Hauptrolle, denn der Kampf gegen mächtige Frauen ist keine einfache, dafür um so ehrenvollere Aufgabe.

Mythen kanalisieren wie ihre volkstümliche Variante, die Märchen, kollektive Ängste, geben in verschüesselter Form Verhaltensmuster vor, wie man mit der inneren Furcht umgehen kann. Unsere "Brüder, die sich in ständiger Wiederholung mit Drachen, Knäblein und Sonnenweibern beschäftigen, wollen keine Informationen über den Geschlechterkampf vermitteln. Sie erzeugen vielmehr bei der lauschenden Gemeinde mit Hilfe dieser Denkschablonen bestimmte Gefühle. Die Metaphern, aus denen im Wesentlichen die Glaubenslehre nicht nur der neuapostolischen Brüder besteht, wirken wie Kitsch. Nicht psychologische Tiefe ist für die Zuhörer interessant, sondern das fertige und bekannte Klischee. Das Ergebnis einer Predigt steht vorab schon fest: Die Welt ist noch so, wie wir sie glauben zu kennen, demnach nicht weiter beunruhigend. Der berühmte röhrende Hirsch auf dem Wandteppich, die Schwarzwaldklinik und das "Sonnenweib" funktionieren nach dem gleichen Prinzip. Gewährleistet ist, dass du bestimmte Signale eines erwünschter Gefühlszustand abgerufen werden kann.

Die Predigt steuert nun, das spüren alle, auf den Höhepunkt zu, das Opferritual. Ungeachtet der Tageszeit nennen Christen diese Kulthandlung "Abendmahl". Vorab huldigt die Gemeinde dem höheren Geistwesen "Unser Vater". Dessen ausführendes Organ, der charismatische Filialleiter, versichert nachdrücklich und nicht ohne innere Bewegung in der Stimme, der himmlische Vorsitzende des Männerbundes habe unser aller Verfehlungen gegen Sitte und Moral "vergeben und vergessen", also, wie Psychoanalytiker diesen Vorgang nennen, verdrängt.

Männliche Kulthandlungen wie Fahnenweihen (ein ehemals ritueller Tanz um eine Stange) und das Abendmahl (Völkerkundler behaupten, es handele sich um einen gemeinsamen Verzehr des väterlichen Totemtieres) scheiden die profane von der heiligen Welt. Ursprünglich waren das Opfer und das anschliessende Mahl ein Menschenopfer. Später weihte man den Göttern, die versöhnlich gestimmt werden mussten, Tiere oder Früchte. Wird die gesellschaftliche Produktion komplexer und der Tauschverkehr eingefuehrt, nimmt man für das Opfertier abstrakte Zeichen. So zeigen die ersten Münzen Tiersymbole, die auf die Totemtiere der Ahnen zurückgehen.

Einige Anhänger von 0pferkulten im antiken Griechenland ahnten die kannibalistischen Ursprünge und verdrängten sie, indem sie jeglichen Fleischgenuss ablehnten. Pythagoras kommentierte das mit den Worten: "Die unglücklichen Menschen wissen nicht, dass sie ihre Väter, Mütter und Söhne schlachten und das eigene Fleisch hinunterschlingen."

Das Opfer ist immer eine abenteuerliche und gefährliche Angelegenheit, denn die Ängste, die gebannt werden sollen, lauern im psychischen Hintergrund. Die Vermittlung der unversöhnten Gegensätze funktioniert nicht wirklich, nur an den heiligen Orten und zu bestimmten Zeiten. Deshalb muss man darauf achten, das Ritual periodisch zu wiederholen und genau die äusseren Bedingungen einzuhalten, die den Zauber ermöglichen. Ein falsches Wort, eine falsche Geste und Ernst und Heiligkeit der Stunde sind dahin.

Ruft der Prediger: "Himmlischer Vater!" überfällt die Brüder ein frommes Kräuseln der Rückenbehaarung. Betet er hingegen: "Verehrtes höheres Geistweisen!" vermutet die Gemeinde, obwohl es auf dasselbe hinausliefe, ein böser Dämon habe ihn befallen.

Häufig werden bei Opferhandlungen, symbolisch für den eigenen seelischen Zustand, Gegenstände von einer Form in die andere überführt. Christliche Männer essen "Fleisch und Blut" des Gottes. Die freimaurerischen Brüder verbrennen beim alljährlichen "Rosenfest", der klassischen "Danksagung" an die Frauen" - drei Rosen im ewig Feuer. Im Mittelalter warf die katholische Kirche Frauen nicht symbolisch, sondern ganz real in die Flammen.

Die Versöhnung, das Ziel der Opferhandlung, muss scheitern, wenn die Angst, das auslösende Moment, nicht mehr im Bewusstsein präsent ist. Man weiss es nicht, aber man tut es dennoch. Nur in den alten Mythen spukt der eigentliche Sinn der Veranstaltung noch herum. <a href="http://www.mythologica.de/furien.htm"<Furien, weibliche Rachegöttinnen, verfolgen den Helden, der sich an der Muttergottheit vergriffen hat. Den Jünglingen, die in altgriechischer Zeit das Geschlecht der grossen Göttin gesehen hatten, wurde eine Fibel (eine Art Spange) ins Herz gestossen.

Der "Bruder" muss als Mitglied eines religiösen Männerbundes das Böse, das schlechte Gewissen in seinem Inneren, mit dem Willen des übermächtigen Geistvaters versoehnen. Im Opfer der eigenen Triebwünsche werde die Beziehung zur Frau geopfert, meint Sigrun Anselm fast bedauernd. Der Vater gebe seine Selbstkastration an den Sohn weiter, der Zusammenhalt beider beruhe auf Verzicht. Im Schuldgefühl des Sohnes steckt das ewige Misslingen dieser Solidarität, die im immer erneuten Konkurrieren wieder zunichte wird.

Auch die heilige Handlung, der ich beiwohne, droht beinahe zu scheitern. Ihr Ernst wird durch eine kleine Rangelei unter den "Brüdern" gestört. Die Gemeinde, mich eingeschlossen, eilt Reihe für Reihe nach vom zum Altar, um Brot und Wein, als Hostie verteilt zu verzehren. Einer der gläubigen Maenner drei Bankreihen vor mir will sich soeben in die Oblaten-Schlange einreihen, da wieselt ein schwarzgekleideter "Amtsbruder" von hinten zu ihm, fasst ihn an den Arm drückt ihn in die Bank zurück. Ich blicke meinen Nachbarn fragend an. "Der ist nicht würdig, am Opfer teilzunehmen", flüstert mein Informant.

Wird einem Mann der religiöse Versöhnungsversuch mit der Geschlechterspannung - statt der Solidarität mit den Frauen der gegen sie gerichtete Bund mit dem Vater - verweigert, hat er keine rituelle Möglichkeit mehr, mit seinen Ängsten vor dem anderen Geschlecht umzugehen. Der Ausschluss vom "Abendmahl" ist daher eine schlimme Strafe. Der zurückgewiesene "Bruder" wischt sich, wie ich heimlich beobachte, die Tränen aus den Augen.

Über die "Würdigkeit, am Ritus teilzuhaben, klärt ein Rundschreiben der neuapostolischen Kirchenleitung an die "herzlich geliebten Brüder" auf. Darin heisst es zu den interessanten Themen "Konkubinat und Homosexualität": "Den Brüdern und Schwestern, die in den genannten Gefängnissen sind, soll man mit Freundschaft und Achtung begegnen. Man soll sich ihrem Problem besonders annehmen und ihnen behilflich sein, ihre Veranlagung zu überwinden oder den nicht gottgewollten "Ehestand" zu ändern. Regelmässige Betreuung hilft ihnen, den Weg zu finden, worauf der Herr sein Wohlgefallen legen kann. Steter Tropfen höhlt den Stein... Auf Grund gemachter Erfahrungen wird es nur wenige Unverbesserliche geben, welche vorerst in ihren Zuständen beharren."

Eine der "Schwestern", die, wie ich später erfahre, zu den Sympathisantinnen des rebellischen "Apostels" R. gehoert, will sich mit dem weinenden "Bruder" nicht abfinden. Sie bricht die ihr zugeteilte Oblate in zwei Stücke und teilt sie geschwisterlich mit dem angeblich unwürdigen Herrn. Niemand wagt es, sie daran zu hindern.

Die Veranstaltung ebbt mit gesungenem "Amen" der Gemeinde und "Halleluja" des Chores ab. Ich muss zu meinem Vergnügen nicht länger in einem den Rückenschmerz fördernden Zustand verharren und verlasse die Kirche.

Der Text wurde 1987 verfasst und geringfügig geändert. Er erschien zuerst 1988 in meinem Buch Unter Männern. Fortsetzung folgt.

[Teil 1: Unter Aposteln] [[Neuapostolische Kirche] Unter Aposteln 2][[Neuapostolische Kirche] Unter Aposteln 3].




20.09.2003
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